Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXVII. Betrachtung. überall nahm er die stille bescheidene Rechtschaffenheitin Schutz, wurde ihr Lobredner und ihr Vertheidi- ger. Ein andermal, als Maria aus Hochachtung und Dankbarkeit für seine Lehren, und für die Auf- erweckung ihres Bruders, des Lazarus, eine Flasche voll kostbaren Balsams zu seiner Erquickung, nach den Sitten des Morgenlandes, auf ihn verwandte, und als man ihr von Seiten seiner Schüler deswegen Vorwürfe machte, und sie für eine Verschwenderin erklärte, vertheidigte er sogleich das gute Herz und die lobenswürdige Absicht dieser Person, und beschäm- te die unzufriedenen Jünger, besonders den habsüch- tigen, und durch den ihn beherrschenden Geiz so sehr verderbenen Judas, indem er sprach: was beküm- mert ihr das Weib, sie hat ein gut Werk an mir ge- than.*) Unter andern Umständen hätte Jesus, der sonst von aller Pracht entfernt war, wohl selbst die- sen Aufwand getadelt: aber bey der gegenwärtigen Lage der Umstände, blieb die Handlung zu schön, und sie empfahl sich selbst zu sehr durch die guten Gesin- nungen, mit welchen sie verrichtet wurde. Denn Maria verrichtete die ganze Handlung mit einem sol- chen Anstande, daß man deutlich sahe, wie sehr ihr gefühlvolles und mit stillen Dank erfülltes Herz dar- an Antheil nahm. Daher sprach der Erlöser: wo dies Evangelium geprediget wird in der ganzen Welt, *) Matth. 26, 7-13.
XXVII. Betrachtung. überall nahm er die ſtille beſcheidene Rechtſchaffenheitin Schutz, wurde ihr Lobredner und ihr Vertheidi- ger. Ein andermal, als Maria aus Hochachtung und Dankbarkeit für ſeine Lehren, und für die Auf- erweckung ihres Bruders, des Lazarus, eine Flaſche voll koſtbaren Balſams zu ſeiner Erquickung, nach den Sitten des Morgenlandes, auf ihn verwandte, und als man ihr von Seiten ſeiner Schüler deswegen Vorwürfe machte, und ſie für eine Verſchwenderin erklärte, vertheidigte er ſogleich das gute Herz und die lobenswürdige Abſicht dieſer Perſon, und beſchäm- te die unzufriedenen Jünger, beſonders den habſüch- tigen, und durch den ihn beherrſchenden Geiz ſo ſehr verderbenen Judas, indem er ſprach: was beküm- mert ihr das Weib, ſie hat ein gut Werk an mir ge- than.*) Unter andern Umſtänden hätte Jeſus, der ſonſt von aller Pracht entfernt war, wohl ſelbſt die- ſen Aufwand getadelt: aber bey der gegenwärtigen Lage der Umſtände, blieb die Handlung zu ſchön, und ſie empfahl ſich ſelbſt zu ſehr durch die guten Geſin- nungen, mit welchen ſie verrichtet wurde. Denn Maria verrichtete die ganze Handlung mit einem ſol- chen Anſtande, daß man deutlich ſahe, wie ſehr ihr gefühlvolles und mit ſtillen Dank erfülltes Herz dar- an Antheil nahm. Daher ſprach der Erlöſer: wo dies Evangelium geprediget wird in der ganzen Welt, *) Matth. 26, 7-13.
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XXVII. Betrachtung.
überall nahm er die ſtille beſcheidene Rechtſchaffenheit
in Schutz, wurde ihr Lobredner und ihr Vertheidi-
ger. Ein andermal, als Maria aus Hochachtung
und Dankbarkeit für ſeine Lehren, und für die Auf-
erweckung ihres Bruders, des Lazarus, eine Flaſche
voll koſtbaren Balſams zu ſeiner Erquickung, nach
den Sitten des Morgenlandes, auf ihn verwandte,
und als man ihr von Seiten ſeiner Schüler deswegen
Vorwürfe machte, und ſie für eine Verſchwenderin
erklärte, vertheidigte er ſogleich das gute Herz und
die lobenswürdige Abſicht dieſer Perſon, und beſchäm-
te die unzufriedenen Jünger, beſonders den habſüch-
tigen, und durch den ihn beherrſchenden Geiz ſo ſehr
verderbenen Judas, indem er ſprach: was beküm-
mert ihr das Weib, ſie hat ein gut Werk an mir ge-
than. *) Unter andern Umſtänden hätte Jeſus, der
ſonſt von aller Pracht entfernt war, wohl ſelbſt die-
ſen Aufwand getadelt: aber bey der gegenwärtigen
Lage der Umſtände, blieb die Handlung zu ſchön, und
ſie empfahl ſich ſelbſt zu ſehr durch die guten Geſin-
nungen, mit welchen ſie verrichtet wurde. Denn
Maria verrichtete die ganze Handlung mit einem ſol-
chen Anſtande, daß man deutlich ſahe, wie ſehr ihr
gefühlvolles und mit ſtillen Dank erfülltes Herz dar-
an Antheil nahm. Daher ſprach der Erlöſer: wo
dies Evangelium geprediget wird in der ganzen
Welt,
*) Matth. 26, 7-13.
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