Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXVII. Betrachtung. die vielleicht von vielen verkannt werden, von ihrerguten Seite schildern kann; wenn es mir dadurch ge- lingt, die Verläumdungen zu zernichten, die man wider sie ausgestreuet hat. Denn es ist kein kleines Verdienst, wenn man die Unschuld rettet, und des Nächsten gekränkte Ehre gegen schiefe Urtheile ver- theidiget, wenn man die Welt auf seine guten Eigen- schaften aufmerksam macht, und ihm dadurch zu sei- nem Fortkommen beförderlich wird. Da es überdie- ses nichts leichtes ist, den Werth menschlicher Hand- lungen richtig zu schätzen, da es mir in den meisten Fällen an Kenntnissen und Gelegenheit fehlt, die in- nern verborgenen Absichten der Menschen zu erfor- schen: so will ich desto behutsamer in meinen Urthei- len seyn, damit ich ihre Handlungen nicht in einem falschen verhaßten Lichte darstelle; ich will lieber zu günstig als zu strenge urtheilen, damit ich niemanden wehe thue, und mich an niemanden versündige. Ma- che du mich selbst dazu geschickt, o Jesu! Laß mich beständig dahin sehn, Mit jeglichem so umzugehn, Wie ichs von ihm begehre; Damit ich keines Menschen Herz Durch meine Härte je mit Schmerz Und Kümmerniß beschwere. Acht-
XXVII. Betrachtung. die vielleicht von vielen verkannt werden, von ihrerguten Seite ſchildern kann; wenn es mir dadurch ge- lingt, die Verläumdungen zu zernichten, die man wider ſie ausgeſtreuet hat. Denn es iſt kein kleines Verdienſt, wenn man die Unſchuld rettet, und des Nächſten gekränkte Ehre gegen ſchiefe Urtheile ver- theidiget, wenn man die Welt auf ſeine guten Eigen- ſchaften aufmerkſam macht, und ihm dadurch zu ſei- nem Fortkommen beförderlich wird. Da es überdie- ſes nichts leichtes iſt, den Werth menſchlicher Hand- lungen richtig zu ſchätzen, da es mir in den meiſten Fällen an Kenntniſſen und Gelegenheit fehlt, die in- nern verborgenen Abſichten der Menſchen zu erfor- ſchen: ſo will ich deſto behutſamer in meinen Urthei- len ſeyn, damit ich ihre Handlungen nicht in einem falſchen verhaßten Lichte darſtelle; ich will lieber zu günſtig als zu ſtrenge urtheilen, damit ich niemanden wehe thue, und mich an niemanden verſündige. Ma- che du mich ſelbſt dazu geſchickt, o Jeſu! Laß mich beſtändig dahin ſehn, Mit jeglichem ſo umzugehn, Wie ichs von ihm begehre; Damit ich keines Menſchen Herz Durch meine Härte je mit Schmerz Und Kümmerniß beſchwere. Acht-
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XXVII. Betrachtung.
die vielleicht von vielen verkannt werden, von ihrer
guten Seite ſchildern kann; wenn es mir dadurch ge-
lingt, die Verläumdungen zu zernichten, die man
wider ſie ausgeſtreuet hat. Denn es iſt kein kleines
Verdienſt, wenn man die Unſchuld rettet, und des
Nächſten gekränkte Ehre gegen ſchiefe Urtheile ver-
theidiget, wenn man die Welt auf ſeine guten Eigen-
ſchaften aufmerkſam macht, und ihm dadurch zu ſei-
nem Fortkommen beförderlich wird. Da es überdie-
ſes nichts leichtes iſt, den Werth menſchlicher Hand-
lungen richtig zu ſchätzen, da es mir in den meiſten
Fällen an Kenntniſſen und Gelegenheit fehlt, die in-
nern verborgenen Abſichten der Menſchen zu erfor-
ſchen: ſo will ich deſto behutſamer in meinen Urthei-
len ſeyn, damit ich ihre Handlungen nicht in einem
falſchen verhaßten Lichte darſtelle; ich will lieber zu
günſtig als zu ſtrenge urtheilen, damit ich niemanden
wehe thue, und mich an niemanden verſündige. Ma-
che du mich ſelbſt dazu geſchickt, o Jeſu!
Laß mich beſtändig dahin ſehn,
Mit jeglichem ſo umzugehn,
Wie ichs von ihm begehre;
Damit ich keines Menſchen Herz
Durch meine Härte je mit Schmerz
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Acht-
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