Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXXII. Betrachtung. hannem äußerten, gleich rief er sie zu sich, suchte siewieder mit einander auszusöhnen, und gab ihnen eine Lehre, die eben so beschämend für ihren Ehrgeiz als für ihre Eifersucht war. Denn ihm war sehr viel daran gelegen, daß seine Schüler ein Herz und eine Seele bleiben möchten, damit sie mit einem desto glücklichern Erfolge, nach seinem Abschiede, seine Leh- re ausbreiten könnten. Daher unterdrückte er in Zeiten jeden Keim der Zwietracht; darum ermahn- te er sie so dringend zur herzlichen gegenseitigen Liebe, die die Mutter aller Verträglichkeit ist; da- rum betete er sogar in seinem Abschiedsgebete für sie: Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, daß sie eins seyn, gleich wie wir.*) Das heißt, daß sie eines Sinnes seyn, und so einmüthig für meine und deine Sache arbeiten mögen. Willst du nun auch ein wahres Kind Gottes, te *) Joh. 17, 11. O 2
XXXII. Betrachtung. hannem äußerten, gleich rief er ſie zu ſich, ſuchte ſiewieder mit einander auszuſöhnen, und gab ihnen eine Lehre, die eben ſo beſchämend für ihren Ehrgeiz als für ihre Eiferſucht war. Denn ihm war ſehr viel daran gelegen, daß ſeine Schüler ein Herz und eine Seele bleiben möchten, damit ſie mit einem deſto glücklichern Erfolge, nach ſeinem Abſchiede, ſeine Leh- re ausbreiten könnten. Daher unterdrückte er in Zeiten jeden Keim der Zwietracht; darum ermahn- te er ſie ſo dringend zur herzlichen gegenſeitigen Liebe, die die Mutter aller Verträglichkeit iſt; da- rum betete er ſogar in ſeinem Abſchiedsgebete für ſie: Heiliger Vater, erhalte ſie in deinem Namen, die du mir gegeben haſt, daß ſie eins ſeyn, gleich wie wir.*) Das heißt, daß ſie eines Sinnes ſeyn, und ſo einmüthig für meine und deine Sache arbeiten mögen. Willſt du nun auch ein wahres Kind Gottes, te *) Joh. 17, 11. O 2
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XXXII. Betrachtung.
hannem äußerten, gleich rief er ſie zu ſich, ſuchte ſie
wieder mit einander auszuſöhnen, und gab ihnen eine
Lehre, die eben ſo beſchämend für ihren Ehrgeiz als
für ihre Eiferſucht war. Denn ihm war ſehr viel
daran gelegen, daß ſeine Schüler ein Herz und eine
Seele bleiben möchten, damit ſie mit einem deſto
glücklichern Erfolge, nach ſeinem Abſchiede, ſeine Leh-
re ausbreiten könnten. Daher unterdrückte er in
Zeiten jeden Keim der Zwietracht; darum ermahn-
te er ſie ſo dringend zur herzlichen gegenſeitigen
Liebe, die die Mutter aller Verträglichkeit iſt; da-
rum betete er ſogar in ſeinem Abſchiedsgebete für ſie:
Heiliger Vater, erhalte ſie in deinem Namen, die
du mir gegeben haſt, daß ſie eins ſeyn, gleich wie
wir. *) Das heißt, daß ſie eines Sinnes ſeyn, und
ſo einmüthig für meine und deine Sache arbeiten
mögen.
Willſt du nun auch ein wahres Kind Gottes,
ein ächter Nachfolger Jeſu ſeyn; ſo habe mit allen
Menſchen Friede. Beobachte auf deiner Seite al-
les, was Friede und Freundſchaft zwiſchen dir und
deinem Nächſten befördern kann; meide hingegen al-
les ſorgfältig, was Zank und Uneinigkeit zwiſchen dir
und deinen Brüdern verurſacht. Handle gegen Je-
den recht, billig und redlich: ſchone ſeine Ehre, und
beurtheile ſeine Fehler glimpflich, damit Niemand
gegründete Urſache habe, über dich zu klagen. Hü-
te
*) Joh. 17, 11.
O 2
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