Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXXIII. Betrachtung. Menschen schuld, daß er Mosen schände und ihre Ge-bräuche verachte.*) Verrichtete er viele Wunder- werke, die man nicht ableugnen konnte, weil immer mehrere Zeugen zugegen waren, die alles genau prüfen konnten, gleich hieß es, er thäte das alles durch Hül- fe des Teufels.**) Erklärte er sich für den Sohn Gottes, und suchte er seine göttliche Sendung zu be- weisen, so hieß es: du bist ein Samariter, ein Ver- fälscher der wahren Religion. Fand er unter dem Volke Beyfall, so hieß es: er verführe das Volk.***) Verrichtete er gleich öffentlich viele Wunder, so war man doch vermessen genug, von ihm ein Zeichen am Himmel oder in der Luft zu fordern: und wenn er es aus Gründen ausschlug, so war es nicht recht.+) Stets wurden seine vortreflichen Lehren unrecht ge- deutet, seine edelsten Thaten lieblos beurtheilt, und alles hervorgesucht, um ihn tadeln und verunglim- pfen zu können. Aus seinen wohlthätigsten Hand- lungen wurde Gift gesogen, und alle seine Reden und Thaten wurden übel ausgelegt. Aber was that der Erlöser, wie verhielt er sich bey diesen ungerech- ten Urtheilen, und bey diesem unverdienten Tadel? Er ließ sich dadurch nicht auf-und aus der Fassung bringen. Nein, er widerlegte sie mit wenig Wor- ten, oder durch die That selbst. Sanfte Vorstel- lun- *) Joh. 7, 19. **) Luc. 11, 15. ***) Joh. 7, 12. +) Matth. 12, 38. f. O 4
XXXIII. Betrachtung. Menſchen ſchuld, daß er Moſen ſchände und ihre Ge-bräuche verachte.*) Verrichtete er viele Wunder- werke, die man nicht ableugnen konnte, weil immer mehrere Zeugen zugegen waren, die alles genau prüfen konnten, gleich hieß es, er thäte das alles durch Hül- fe des Teufels.**) Erklärte er ſich für den Sohn Gottes, und ſuchte er ſeine göttliche Sendung zu be- weiſen, ſo hieß es: du biſt ein Samariter, ein Ver- fälſcher der wahren Religion. Fand er unter dem Volke Beyfall, ſo hieß es: er verführe das Volk.***) Verrichtete er gleich öffentlich viele Wunder, ſo war man doch vermeſſen genug, von ihm ein Zeichen am Himmel oder in der Luft zu fordern: und wenn er es aus Gründen ausſchlug, ſo war es nicht recht.†) Stets wurden ſeine vortreflichen Lehren unrecht ge- deutet, ſeine edelſten Thaten lieblos beurtheilt, und alles hervorgeſucht, um ihn tadeln und verunglim- pfen zu können. Aus ſeinen wohlthätigſten Hand- lungen wurde Gift geſogen, und alle ſeine Reden und Thaten wurden übel ausgelegt. Aber was that der Erlöſer, wie verhielt er ſich bey dieſen ungerech- ten Urtheilen, und bey dieſem unverdienten Tadel? Er ließ ſich dadurch nicht auf-und aus der Faſſung bringen. Nein, er widerlegte ſie mit wenig Wor- ten, oder durch die That ſelbſt. Sanfte Vorſtel- lun- *) Joh. 7, 19. **) Luc. 11, 15. ***) Joh. 7, 12. †) Matth. 12, 38. f. O 4
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XXXIII. Betrachtung.
Menſchen ſchuld, daß er Moſen ſchände und ihre Ge-
bräuche verachte. *) Verrichtete er viele Wunder-
werke, die man nicht ableugnen konnte, weil immer
mehrere Zeugen zugegen waren, die alles genau prüfen
konnten, gleich hieß es, er thäte das alles durch Hül-
fe des Teufels. **) Erklärte er ſich für den Sohn
Gottes, und ſuchte er ſeine göttliche Sendung zu be-
weiſen, ſo hieß es: du biſt ein Samariter, ein Ver-
fälſcher der wahren Religion. Fand er unter dem
Volke Beyfall, ſo hieß es: er verführe das Volk. ***)
Verrichtete er gleich öffentlich viele Wunder, ſo war
man doch vermeſſen genug, von ihm ein Zeichen am
Himmel oder in der Luft zu fordern: und wenn er es
aus Gründen ausſchlug, ſo war es nicht recht. †)
Stets wurden ſeine vortreflichen Lehren unrecht ge-
deutet, ſeine edelſten Thaten lieblos beurtheilt, und
alles hervorgeſucht, um ihn tadeln und verunglim-
pfen zu können. Aus ſeinen wohlthätigſten Hand-
lungen wurde Gift geſogen, und alle ſeine Reden
und Thaten wurden übel ausgelegt. Aber was that
der Erlöſer, wie verhielt er ſich bey dieſen ungerech-
ten Urtheilen, und bey dieſem unverdienten Tadel?
Er ließ ſich dadurch nicht auf-und aus der Faſſung
bringen. Nein, er widerlegte ſie mit wenig Wor-
ten, oder durch die That ſelbſt. Sanfte Vorſtel-
lun-
*) Joh. 7, 19.
**) Luc. 11, 15.
***) Joh. 7, 12.
†) Matth. 12, 38. f.
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