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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXIII. Betrachtung.
war, was ihm seine Feinde vorwarfen. Bisweilen
suchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern,
welche die boshafte Beurtheilung seiner Feinde auf
die Umstehenden machen konnte; aber nie mißbrauch-
te er die Hochachtung des Volks, um das Ansehn
seiner Gegner zu schmählern, nie vergalt er Böses
mit Bösem.

Sehr weit sind also diejenigen von dem Geiste
Christi entfernt, die sich durch geringe Vorwürfe
aufbringen lassen; die ohne alle Mäßigung Schimpf-
worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt-
tereyen, Lästerungen mit Lästerungen erwiedern. Die
sind noch keine ächten Schüler Jesu, sie haben bey
aller ihrer Unschuld wenig vor ihren Beleidigern vor-
aus, sie sind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm-
niß. Möchten sie doch von Jesu lernen, wie man
sich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein
Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen
Fällen, also auch in diesen ganz unschuldig. Allein
mit uns möchte es wohl nicht immer diese Bewand-
niß haben. Wir geben gewiß sehr oft unsern Geg-
nern Veranlassung zum Tadel über unsre Auffüh-
rung. Siehe also wenigstens zuerst zu, lieber Freund,
ob etwas Wahres in den lieblosen Urtheilen und in
dem harten Tadel deines Nächsten liegt; und findest
du dich wirklich getroffen, so gehe in der Stille hin,
und beßre dich. Gesetzt auch, andre hätten deine

Feh-
O 5

XXXIII. Betrachtung.
war, was ihm ſeine Feinde vorwarfen. Bisweilen
ſuchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern,
welche die boshafte Beurtheilung ſeiner Feinde auf
die Umſtehenden machen konnte; aber nie mißbrauch-
te er die Hochachtung des Volks, um das Anſehn
ſeiner Gegner zu ſchmählern, nie vergalt er Böſes
mit Böſem.

Sehr weit ſind alſo diejenigen von dem Geiſte
Chriſti entfernt, die ſich durch geringe Vorwürfe
aufbringen laſſen; die ohne alle Mäßigung Schimpf-
worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt-
tereyen, Läſterungen mit Läſterungen erwiedern. Die
ſind noch keine ächten Schüler Jeſu, ſie haben bey
aller ihrer Unſchuld wenig vor ihren Beleidigern vor-
aus, ſie ſind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm-
niß. Möchten ſie doch von Jeſu lernen, wie man
ſich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein
Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen
Fällen, alſo auch in dieſen ganz unſchuldig. Allein
mit uns möchte es wohl nicht immer dieſe Bewand-
niß haben. Wir geben gewiß ſehr oft unſern Geg-
nern Veranlaſſung zum Tadel über unſre Auffüh-
rung. Siehe alſo wenigſtens zuerſt zu, lieber Freund,
ob etwas Wahres in den liebloſen Urtheilen und in
dem harten Tadel deines Nächſten liegt; und findeſt
du dich wirklich getroffen, ſo gehe in der Stille hin,
und beßre dich. Geſetzt auch, andre hätten deine

Feh-
O 5
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[217/0243] XXXIII. Betrachtung. war, was ihm ſeine Feinde vorwarfen. Bisweilen ſuchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern, welche die boshafte Beurtheilung ſeiner Feinde auf die Umſtehenden machen konnte; aber nie mißbrauch- te er die Hochachtung des Volks, um das Anſehn ſeiner Gegner zu ſchmählern, nie vergalt er Böſes mit Böſem. Sehr weit ſind alſo diejenigen von dem Geiſte Chriſti entfernt, die ſich durch geringe Vorwürfe aufbringen laſſen; die ohne alle Mäßigung Schimpf- worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt- tereyen, Läſterungen mit Läſterungen erwiedern. Die ſind noch keine ächten Schüler Jeſu, ſie haben bey aller ihrer Unſchuld wenig vor ihren Beleidigern vor- aus, ſie ſind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm- niß. Möchten ſie doch von Jeſu lernen, wie man ſich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen Fällen, alſo auch in dieſen ganz unſchuldig. Allein mit uns möchte es wohl nicht immer dieſe Bewand- niß haben. Wir geben gewiß ſehr oft unſern Geg- nern Veranlaſſung zum Tadel über unſre Auffüh- rung. Siehe alſo wenigſtens zuerſt zu, lieber Freund, ob etwas Wahres in den liebloſen Urtheilen und in dem harten Tadel deines Nächſten liegt; und findeſt du dich wirklich getroffen, ſo gehe in der Stille hin, und beßre dich. Geſetzt auch, andre hätten deine Feh- O 5

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/243>, abgerufen am 24.11.2024.