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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXIV. Betrachtung.
verschaft, so kann doch daher nicht füglich eine Er-
munterung zur Fürbitte für unsre Brüder genommen
werden. Weit eher und schicklicher ließe sich daraus
die sonst wichtige und doch sehr verkannte Wahrheit
herleiten, daß handeln edler sey als beten, daß
thätige Hülfsleistungen, die wir unsern Mitmenschen
erweisen, einen weit größern Werth vor Gott haben,
als die andächtigsten Fürbitten. Dem allen ohnge-
achtet hat doch auch die bloße Fürbitte, ohne thätige
Hülfe, ihren großen und vielfachen Nutzen; ja sie
ist oft in sehr vielen Fällen das einzige Mittel, wo-
durch wir unsre Liebe und unser Wohlwollen gegen
andre beweisen können. Hierzu finden wir nun in
der Geschichte des irdischen Lebens Jesu sehr viele Er-
munterungen. Man lese nur sein vortrefliches Ab-
schiedsgebet, welches im siebenzehnten Kapitel Jo-
hannis enthalten ist, womit er sein Lehramt beschloß,
und welches als der Ausdruck seines ganzen Charak-
ters angesehen werden kann. Wer kann ohne Rüh-
rung des Herzens dieses letzte Gebet Jesu lesen, wor-
inne er nicht nur über seine eigenen Angelegenheiten,
in einem so ruhigen und vertraulichen Tone mit Gott
spricht, sondern in welchem er auch seine damaligen
und zukünftigen Verehrer, dem himmlischen Vater
so nachdrücklich empfiehlt? Wer lieset ohne Theil-
nehmung das, was Jesus kurz vor seinem Leiden zum
Petrus sagte, als er ihm seinen nahen Fall ankün-

digte:

XXXIV. Betrachtung.
verſchaft, ſo kann doch daher nicht füglich eine Er-
munterung zur Fürbitte für unſre Brüder genommen
werden. Weit eher und ſchicklicher ließe ſich daraus
die ſonſt wichtige und doch ſehr verkannte Wahrheit
herleiten, daß handeln edler ſey als beten, daß
thätige Hülfsleiſtungen, die wir unſern Mitmenſchen
erweiſen, einen weit größern Werth vor Gott haben,
als die andächtigſten Fürbitten. Dem allen ohnge-
achtet hat doch auch die bloße Fürbitte, ohne thätige
Hülfe, ihren großen und vielfachen Nutzen; ja ſie
iſt oft in ſehr vielen Fällen das einzige Mittel, wo-
durch wir unſre Liebe und unſer Wohlwollen gegen
andre beweiſen können. Hierzu finden wir nun in
der Geſchichte des irdiſchen Lebens Jeſu ſehr viele Er-
munterungen. Man leſe nur ſein vortrefliches Ab-
ſchiedsgebet, welches im ſiebenzehnten Kapitel Jo-
hannis enthalten iſt, womit er ſein Lehramt beſchloß,
und welches als der Ausdruck ſeines ganzen Charak-
ters angeſehen werden kann. Wer kann ohne Rüh-
rung des Herzens dieſes letzte Gebet Jeſu leſen, wor-
inne er nicht nur über ſeine eigenen Angelegenheiten,
in einem ſo ruhigen und vertraulichen Tone mit Gott
ſpricht, ſondern in welchem er auch ſeine damaligen
und zukünftigen Verehrer, dem himmliſchen Vater
ſo nachdrücklich empfiehlt? Wer lieſet ohne Theil-
nehmung das, was Jeſus kurz vor ſeinem Leiden zum
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[221/0247] XXXIV. Betrachtung. verſchaft, ſo kann doch daher nicht füglich eine Er- munterung zur Fürbitte für unſre Brüder genommen werden. Weit eher und ſchicklicher ließe ſich daraus die ſonſt wichtige und doch ſehr verkannte Wahrheit herleiten, daß handeln edler ſey als beten, daß thätige Hülfsleiſtungen, die wir unſern Mitmenſchen erweiſen, einen weit größern Werth vor Gott haben, als die andächtigſten Fürbitten. Dem allen ohnge- achtet hat doch auch die bloße Fürbitte, ohne thätige Hülfe, ihren großen und vielfachen Nutzen; ja ſie iſt oft in ſehr vielen Fällen das einzige Mittel, wo- durch wir unſre Liebe und unſer Wohlwollen gegen andre beweiſen können. Hierzu finden wir nun in der Geſchichte des irdiſchen Lebens Jeſu ſehr viele Er- munterungen. Man leſe nur ſein vortrefliches Ab- ſchiedsgebet, welches im ſiebenzehnten Kapitel Jo- hannis enthalten iſt, womit er ſein Lehramt beſchloß, und welches als der Ausdruck ſeines ganzen Charak- ters angeſehen werden kann. Wer kann ohne Rüh- rung des Herzens dieſes letzte Gebet Jeſu leſen, wor- inne er nicht nur über ſeine eigenen Angelegenheiten, in einem ſo ruhigen und vertraulichen Tone mit Gott ſpricht, ſondern in welchem er auch ſeine damaligen und zukünftigen Verehrer, dem himmliſchen Vater ſo nachdrücklich empfiehlt? Wer lieſet ohne Theil- nehmung das, was Jeſus kurz vor ſeinem Leiden zum Petrus ſagte, als er ihm ſeinen nahen Fall ankün- digte:

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/247>, abgerufen am 21.11.2024.