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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXIV. Betrachtung.

Nun so will ich oft für meine christlichen Brü-
der, für alle meine Mitmenschen beten; ihre Wün-
sche und Bedürfnisse will ich zu den meinigen machen,
und ihre Angelegenheiten will ich als die meinigen be-
trachten. Jch kann ihnen ja ohnedem in vielen Fällen
nicht helfen, wie ich wünsche, weil es mir an Kraft
und Vermögen oder auch an hinlänglicher Bekannt-
schaft mit ihren Bedürfnissen fehlt. Wie sehr be-
kümmert es mein Herz, daß ich bey dem Anblick des
tausendfachen Elendes in der Welt oft gar nichts zur
Verminderung desselben beytragen kann! Wie nahe
geht es mir, wenn ich so manchen unter den heftig-
sten Schmerzen auf seinem Krankenlager Jahrelang
leiden sehe, ohne daß ich ihm Hülfe und Erleichterung
verschaffen kann! Wie besorgt bin ich nicht oft für
die Wohlfahrt der Meinigen, die weit von mir ent-
fernt leben, die vielleicht mit tausend Gefahren der
Gesundheit und des Lebens, der Unschuld und der
Tugend kämpfen, ohne daß ich ihnen mit Rath oder
That beystehen kann! Wie unruhig, wie unzufrie-
den mit mir selbst bin ich nicht, wenn ich so manchen
edlen Menschen, denen ich mein Fortkommen in der
Welt, meine Belehrung, Besserung und Beruhi-
gung schuldig bin, oder die sich sonst um mich ver-
dient gemacht haben, gerne dankbar seyn möchte, und
mich doch zu ohnmächtig dazu fühle! O warlich!
dann ist es große Beruhigung und erquickender Trost

für
XXXIV. Betrachtung.

Nun ſo will ich oft für meine chriſtlichen Brü-
der, für alle meine Mitmenſchen beten; ihre Wün-
ſche und Bedürfniſſe will ich zu den meinigen machen,
und ihre Angelegenheiten will ich als die meinigen be-
trachten. Jch kann ihnen ja ohnedem in vielen Fällen
nicht helfen, wie ich wünſche, weil es mir an Kraft
und Vermögen oder auch an hinlänglicher Bekannt-
ſchaft mit ihren Bedürfniſſen fehlt. Wie ſehr be-
kümmert es mein Herz, daß ich bey dem Anblick des
tauſendfachen Elendes in der Welt oft gar nichts zur
Verminderung deſſelben beytragen kann! Wie nahe
geht es mir, wenn ich ſo manchen unter den heftig-
ſten Schmerzen auf ſeinem Krankenlager Jahrelang
leiden ſehe, ohne daß ich ihm Hülfe und Erleichterung
verſchaffen kann! Wie beſorgt bin ich nicht oft für
die Wohlfahrt der Meinigen, die weit von mir ent-
fernt leben, die vielleicht mit tauſend Gefahren der
Geſundheit und des Lebens, der Unſchuld und der
Tugend kämpfen, ohne daß ich ihnen mit Rath oder
That beyſtehen kann! Wie unruhig, wie unzufrie-
den mit mir ſelbſt bin ich nicht, wenn ich ſo manchen
edlen Menſchen, denen ich mein Fortkommen in der
Welt, meine Belehrung, Beſſerung und Beruhi-
gung ſchuldig bin, oder die ſich ſonſt um mich ver-
dient gemacht haben, gerne dankbar ſeyn möchte, und
mich doch zu ohnmächtig dazu fühle! O warlich!
dann iſt es große Beruhigung und erquickender Troſt

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[223/0249] XXXIV. Betrachtung. Nun ſo will ich oft für meine chriſtlichen Brü- der, für alle meine Mitmenſchen beten; ihre Wün- ſche und Bedürfniſſe will ich zu den meinigen machen, und ihre Angelegenheiten will ich als die meinigen be- trachten. Jch kann ihnen ja ohnedem in vielen Fällen nicht helfen, wie ich wünſche, weil es mir an Kraft und Vermögen oder auch an hinlänglicher Bekannt- ſchaft mit ihren Bedürfniſſen fehlt. Wie ſehr be- kümmert es mein Herz, daß ich bey dem Anblick des tauſendfachen Elendes in der Welt oft gar nichts zur Verminderung deſſelben beytragen kann! Wie nahe geht es mir, wenn ich ſo manchen unter den heftig- ſten Schmerzen auf ſeinem Krankenlager Jahrelang leiden ſehe, ohne daß ich ihm Hülfe und Erleichterung verſchaffen kann! Wie beſorgt bin ich nicht oft für die Wohlfahrt der Meinigen, die weit von mir ent- fernt leben, die vielleicht mit tauſend Gefahren der Geſundheit und des Lebens, der Unſchuld und der Tugend kämpfen, ohne daß ich ihnen mit Rath oder That beyſtehen kann! Wie unruhig, wie unzufrie- den mit mir ſelbſt bin ich nicht, wenn ich ſo manchen edlen Menſchen, denen ich mein Fortkommen in der Welt, meine Belehrung, Beſſerung und Beruhi- gung ſchuldig bin, oder die ſich ſonſt um mich ver- dient gemacht haben, gerne dankbar ſeyn möchte, und mich doch zu ohnmächtig dazu fühle! O warlich! dann iſt es große Beruhigung und erquickender Troſt für

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/249>, abgerufen am 21.11.2024.