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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXVI. Betrachtung.
sehe es ein, daß ich in diesem gegenwärtigen Leben viel
Gutes lernen, thun und genießen, und daß ich mich
durch dessen rechte Anwendung zum bessern ewigen
Leben geschickt machen kann. Jch sehe es ein, daß
mein Leben auf Erden für mich eine Schule der
Weisheit und Tugend, eine Quelle unzählicher
Freuden und der Vorbereitungsstand zum höhern bes-
sern Leben seyn soll. Jmmer will ich also mein Le-
ben als das kostbarste Geschenk des Himmels betrach-
ten, und es so lange zu erhalten suchen, als es möglich
ist. Nie will ich auf eine leichtsinnige und verwege-
ne Art mich in Gefahr stürzen; nie will ich meine be-
sten Lebenskräfte im Dienste des Lasters verschwenden,
und mich nicht vor der Zeit durch Ausschweifungen
ins Grab stürzen. Nicht eher will ich den Platz ver-
lassen, auf dem ich stehe, als bis es Gott gefallen
wird, mich davon abzurufen; nie will ich aus Un-
muth oder aus Mistrauen mein Leben endigen.
Stets will ich den Selbstmord als den schändlichsten
Undank, als den strafbarsten Ungehorsam gegen
Gott, meinen Vater und Herrn, ansehen; ich will
ihn als eine Handlung verabscheuen, die das na-
türliche Gefühl und die Vernunft eben so laut ver-
dammen, als die Grundsätze des Christenthums.
Welche strenge Rechenschaft würde Gott einst von
mir fordern, wenn ich durch Lasterliebe mein Leben
abkürzen, mich für die Welt unbrauchbar, und zum

Guten

XXXVI. Betrachtung.
ſehe es ein, daß ich in dieſem gegenwärtigen Leben viel
Gutes lernen, thun und genießen, und daß ich mich
durch deſſen rechte Anwendung zum beſſern ewigen
Leben geſchickt machen kann. Jch ſehe es ein, daß
mein Leben auf Erden für mich eine Schule der
Weisheit und Tugend, eine Quelle unzählicher
Freuden und der Vorbereitungsſtand zum höhern beſ-
ſern Leben ſeyn ſoll. Jmmer will ich alſo mein Le-
ben als das koſtbarſte Geſchenk des Himmels betrach-
ten, und es ſo lange zu erhalten ſuchen, als es möglich
iſt. Nie will ich auf eine leichtſinnige und verwege-
ne Art mich in Gefahr ſtürzen; nie will ich meine be-
ſten Lebenskräfte im Dienſte des Laſters verſchwenden,
und mich nicht vor der Zeit durch Ausſchweifungen
ins Grab ſtürzen. Nicht eher will ich den Platz ver-
laſſen, auf dem ich ſtehe, als bis es Gott gefallen
wird, mich davon abzurufen; nie will ich aus Un-
muth oder aus Mistrauen mein Leben endigen.
Stets will ich den Selbſtmord als den ſchändlichſten
Undank, als den ſtrafbarſten Ungehorſam gegen
Gott, meinen Vater und Herrn, anſehen; ich will
ihn als eine Handlung verabſcheuen, die das na-
türliche Gefühl und die Vernunft eben ſo laut ver-
dammen, als die Grundſätze des Chriſtenthums.
Welche ſtrenge Rechenſchaft würde Gott einſt von
mir fordern, wenn ich durch Laſterliebe mein Leben
abkürzen, mich für die Welt unbrauchbar, und zum

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[239/0265] XXXVI. Betrachtung. ſehe es ein, daß ich in dieſem gegenwärtigen Leben viel Gutes lernen, thun und genießen, und daß ich mich durch deſſen rechte Anwendung zum beſſern ewigen Leben geſchickt machen kann. Jch ſehe es ein, daß mein Leben auf Erden für mich eine Schule der Weisheit und Tugend, eine Quelle unzählicher Freuden und der Vorbereitungsſtand zum höhern beſ- ſern Leben ſeyn ſoll. Jmmer will ich alſo mein Le- ben als das koſtbarſte Geſchenk des Himmels betrach- ten, und es ſo lange zu erhalten ſuchen, als es möglich iſt. Nie will ich auf eine leichtſinnige und verwege- ne Art mich in Gefahr ſtürzen; nie will ich meine be- ſten Lebenskräfte im Dienſte des Laſters verſchwenden, und mich nicht vor der Zeit durch Ausſchweifungen ins Grab ſtürzen. Nicht eher will ich den Platz ver- laſſen, auf dem ich ſtehe, als bis es Gott gefallen wird, mich davon abzurufen; nie will ich aus Un- muth oder aus Mistrauen mein Leben endigen. Stets will ich den Selbſtmord als den ſchändlichſten Undank, als den ſtrafbarſten Ungehorſam gegen Gott, meinen Vater und Herrn, anſehen; ich will ihn als eine Handlung verabſcheuen, die das na- türliche Gefühl und die Vernunft eben ſo laut ver- dammen, als die Grundſätze des Chriſtenthums. Welche ſtrenge Rechenſchaft würde Gott einſt von mir fordern, wenn ich durch Laſterliebe mein Leben abkürzen, mich für die Welt unbrauchbar, und zum Guten

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/265>, abgerufen am 22.11.2024.