Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXXIX. Betrachtung. ihnen ins Gesicht: ihr unehret mich,*) und gab ih-nen dadurch zu erkennen, wie sehr er ihre unverdien- te Lästerung empfände. Er fühlte es im Jnnersten der Seele, wie schimpflich, wie beleidigend für ihn die Behandlung war, die ihm bey seiner Gefangen- nehmung widerfuhr. Jhr seyd ausgegangen, sprach er zu denen, die ihn des Nachts in Gethsemane über- fielen, ihr seyd ausgegangen als zu einem Mörder mit Schwerdtern und mit Stangen, mich zu fahen. Bin ich doch täglich gesessen bey euch und habe ge- lehrt im Tempel, und ihr habt mich nicht gegrif- fen.**) Das ist ganz die Sprache eines Mannes, der sich der reinsten Unschuld vollkommen bewußt ist, und den es im Jnnersten schmerzt, wenn er sich fast überall verkannt, und seine Ehre beschimpft sieht. Er hatte sich verdienter um die Nation gemacht, als alle Propheten und große Männer, die vor ihm un- ter den Juden gelebt hatten. Er hatte in dem Tem- pel zu Jerusalem, in den Synagogen, in allen Ge- genden des Landes, öffentlich gelehret, und nichts heimlich gethan, das Verdacht wider ihn hätte erre- gen können. Sein einziges Geschäfte während seines Lehramts war gewesen, Weisheit und Tugend zu verbreiten. Viele tausend Menschen hatten ihm ih- re Gemüthsruhe, den Trost ihres Lebens und zum Theil auch ihre leibliche Gesundheit zu verdanken. Und *) Joh. 8, 49. **) Matth. 26, 55.
XXXIX. Betrachtung. ihnen ins Geſicht: ihr unehret mich,*) und gab ih-nen dadurch zu erkennen, wie ſehr er ihre unverdien- te Läſterung empfände. Er fühlte es im Jnnerſten der Seele, wie ſchimpflich, wie beleidigend für ihn die Behandlung war, die ihm bey ſeiner Gefangen- nehmung widerfuhr. Jhr ſeyd ausgegangen, ſprach er zu denen, die ihn des Nachts in Gethſemane über- fielen, ihr ſeyd ausgegangen als zu einem Mörder mit Schwerdtern und mit Stangen, mich zu fahen. Bin ich doch täglich geſeſſen bey euch und habe ge- lehrt im Tempel, und ihr habt mich nicht gegrif- fen.**) Das iſt ganz die Sprache eines Mannes, der ſich der reinſten Unſchuld vollkommen bewußt iſt, und den es im Jnnerſten ſchmerzt, wenn er ſich faſt überall verkannt, und ſeine Ehre beſchimpft ſieht. Er hatte ſich verdienter um die Nation gemacht, als alle Propheten und große Männer, die vor ihm un- ter den Juden gelebt hatten. Er hatte in dem Tem- pel zu Jeruſalem, in den Synagogen, in allen Ge- genden des Landes, öffentlich gelehret, und nichts heimlich gethan, das Verdacht wider ihn hätte erre- gen können. Sein einziges Geſchäfte während ſeines Lehramts war geweſen, Weisheit und Tugend zu verbreiten. Viele tauſend Menſchen hatten ihm ih- re Gemüthsruhe, den Troſt ihres Lebens und zum Theil auch ihre leibliche Geſundheit zu verdanken. Und *) Joh. 8, 49. **) Matth. 26, 55.
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XXXIX. Betrachtung.
ihnen ins Geſicht: ihr unehret mich, *) und gab ih-
nen dadurch zu erkennen, wie ſehr er ihre unverdien-
te Läſterung empfände. Er fühlte es im Jnnerſten
der Seele, wie ſchimpflich, wie beleidigend für ihn
die Behandlung war, die ihm bey ſeiner Gefangen-
nehmung widerfuhr. Jhr ſeyd ausgegangen, ſprach
er zu denen, die ihn des Nachts in Gethſemane über-
fielen, ihr ſeyd ausgegangen als zu einem Mörder
mit Schwerdtern und mit Stangen, mich zu fahen.
Bin ich doch täglich geſeſſen bey euch und habe ge-
lehrt im Tempel, und ihr habt mich nicht gegrif-
fen. **) Das iſt ganz die Sprache eines Mannes,
der ſich der reinſten Unſchuld vollkommen bewußt iſt,
und den es im Jnnerſten ſchmerzt, wenn er ſich faſt
überall verkannt, und ſeine Ehre beſchimpft ſieht.
Er hatte ſich verdienter um die Nation gemacht, als
alle Propheten und große Männer, die vor ihm un-
ter den Juden gelebt hatten. Er hatte in dem Tem-
pel zu Jeruſalem, in den Synagogen, in allen Ge-
genden des Landes, öffentlich gelehret, und nichts
heimlich gethan, das Verdacht wider ihn hätte erre-
gen können. Sein einziges Geſchäfte während ſeines
Lehramts war geweſen, Weisheit und Tugend zu
verbreiten. Viele tauſend Menſchen hatten ihm ih-
re Gemüthsruhe, den Troſt ihres Lebens und zum
Theil auch ihre leibliche Geſundheit zu verdanken.
Und
*) Joh. 8, 49.
**) Matth. 26, 55.
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