Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXXIX. Betrachtung.
lich war, das that er. Er redete und that nichts,
was sein Ansehn schwächen, was seine Ehre verdun-
keln konnte. Das Wohlgefallen seines himmlischen
Vaters schätzte er über alles, und strebte mit bestän-
digen Eifer nach der Ehre, der Heyland, der Er-
retter
der Menschen zu seyn; ohne sich dessen zu rüh-
men, weil er wohl wußte, wie sehr der Neid über-
all geschäftig war, ihn zu stürzen, eben darum, weil
er geehrt wurde. Daher kam es auch, daß er frey-
müthig und ohne Menschenfurcht, auf die Beschuldi-
gungen seiner Feinde antworten, und so unerschrocken
ihnen ins Gesicht sagen konnte: wer kann mich einer
Sünde zeihen?
*) Ja sein gutes Gewissen und das
frohe Bewustseyn seiner Unschuld, erhob ihn über al-
len Tadel. Das machte, daß er bey allen Beschim-
pfungen und Kränkungen, dennoch voll Zuversicht
zu Gott hinauf blicken, und ihn seinen Vater nen-
nen durfte.

Wohl uns also, wenn wir ihm in seinen Gesin-
nungen und Thaten immer ähnlicher werden; dann
werden wir alle Ehre zwar für einen Theil unsers
irdischen Glücks, aber auch für ein sehr unsicheres
Gut ansehn, grade so, wie er sie betrachtete; wir
werden sie für eine schimmernde Wolke halten, die
oft in einem Augenblicke ihren Glanz verliert. Dann
werden wir bey unverdienten Mishandlungen unsrer
Ehre den Trost eines guten Gewissens haben, wir

wer-
*) Joh. 8, 46.

XXXIX. Betrachtung.
lich war, das that er. Er redete und that nichts,
was ſein Anſehn ſchwächen, was ſeine Ehre verdun-
keln konnte. Das Wohlgefallen ſeines himmliſchen
Vaters ſchätzte er über alles, und ſtrebte mit beſtän-
digen Eifer nach der Ehre, der Heyland, der Er-
retter
der Menſchen zu ſeyn; ohne ſich deſſen zu rüh-
men, weil er wohl wußte, wie ſehr der Neid über-
all geſchäftig war, ihn zu ſtürzen, eben darum, weil
er geehrt wurde. Daher kam es auch, daß er frey-
müthig und ohne Menſchenfurcht, auf die Beſchuldi-
gungen ſeiner Feinde antworten, und ſo unerſchrocken
ihnen ins Geſicht ſagen konnte: wer kann mich einer
Sünde zeihen?
*) Ja ſein gutes Gewiſſen und das
frohe Bewuſtſeyn ſeiner Unſchuld, erhob ihn über al-
len Tadel. Das machte, daß er bey allen Beſchim-
pfungen und Kränkungen, dennoch voll Zuverſicht
zu Gott hinauf blicken, und ihn ſeinen Vater nen-
nen durfte.

Wohl uns alſo, wenn wir ihm in ſeinen Geſin-
nungen und Thaten immer ähnlicher werden; dann
werden wir alle Ehre zwar für einen Theil unſers
irdiſchen Glücks, aber auch für ein ſehr unſicheres
Gut anſehn, grade ſo, wie er ſie betrachtete; wir
werden ſie für eine ſchimmernde Wolke halten, die
oft in einem Augenblicke ihren Glanz verliert. Dann
werden wir bey unverdienten Mishandlungen unſrer
Ehre den Troſt eines guten Gewiſſens haben, wir

wer-
*) Joh. 8, 46.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="260"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXXIX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
lich war, das that er. Er redete und that nichts,<lb/>
was &#x017F;ein An&#x017F;ehn &#x017F;chwächen, was &#x017F;eine Ehre verdun-<lb/>
keln konnte. Das Wohlgefallen &#x017F;eines himmli&#x017F;chen<lb/>
Vaters &#x017F;chätzte er über alles, und &#x017F;trebte mit be&#x017F;tän-<lb/>
digen Eifer nach der Ehre, der <hi rendition="#fr">Heyland,</hi> der <hi rendition="#fr">Er-<lb/>
retter</hi> der Men&#x017F;chen zu &#x017F;eyn; ohne &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en zu rüh-<lb/>
men, weil er wohl wußte, wie &#x017F;ehr der Neid über-<lb/>
all ge&#x017F;chäftig war, ihn zu &#x017F;türzen, eben darum, weil<lb/>
er geehrt wurde. Daher kam es auch, daß er frey-<lb/>
müthig und ohne Men&#x017F;chenfurcht, auf die Be&#x017F;chuldi-<lb/>
gungen &#x017F;einer Feinde antworten, und &#x017F;o uner&#x017F;chrocken<lb/>
ihnen ins Ge&#x017F;icht &#x017F;agen konnte: <hi rendition="#fr">wer kann mich einer<lb/>
Sünde zeihen?</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 8, 46.</note> Ja &#x017F;ein gutes Gewi&#x017F;&#x017F;en und das<lb/>
frohe Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn &#x017F;einer Un&#x017F;chuld, erhob ihn über al-<lb/>
len Tadel. Das machte, daß er bey allen Be&#x017F;chim-<lb/>
pfungen und Kränkungen, dennoch voll Zuver&#x017F;icht<lb/>
zu Gott hinauf blicken, und ihn &#x017F;einen Vater nen-<lb/>
nen durfte.</p><lb/>
          <p>Wohl uns al&#x017F;o, wenn wir ihm in &#x017F;einen Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen und Thaten immer ähnlicher werden; dann<lb/>
werden wir alle Ehre zwar für einen Theil un&#x017F;ers<lb/>
irdi&#x017F;chen Glücks, aber auch für ein &#x017F;ehr un&#x017F;icheres<lb/>
Gut an&#x017F;ehn, grade &#x017F;o, wie er &#x017F;ie betrachtete; wir<lb/>
werden &#x017F;ie für eine &#x017F;chimmernde Wolke halten, die<lb/>
oft in einem Augenblicke ihren Glanz verliert. Dann<lb/>
werden wir bey unverdienten Mishandlungen un&#x017F;rer<lb/>
Ehre den Tro&#x017F;t eines guten Gewi&#x017F;&#x017F;ens haben, wir<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wer-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0286] XXXIX. Betrachtung. lich war, das that er. Er redete und that nichts, was ſein Anſehn ſchwächen, was ſeine Ehre verdun- keln konnte. Das Wohlgefallen ſeines himmliſchen Vaters ſchätzte er über alles, und ſtrebte mit beſtän- digen Eifer nach der Ehre, der Heyland, der Er- retter der Menſchen zu ſeyn; ohne ſich deſſen zu rüh- men, weil er wohl wußte, wie ſehr der Neid über- all geſchäftig war, ihn zu ſtürzen, eben darum, weil er geehrt wurde. Daher kam es auch, daß er frey- müthig und ohne Menſchenfurcht, auf die Beſchuldi- gungen ſeiner Feinde antworten, und ſo unerſchrocken ihnen ins Geſicht ſagen konnte: wer kann mich einer Sünde zeihen? *) Ja ſein gutes Gewiſſen und das frohe Bewuſtſeyn ſeiner Unſchuld, erhob ihn über al- len Tadel. Das machte, daß er bey allen Beſchim- pfungen und Kränkungen, dennoch voll Zuverſicht zu Gott hinauf blicken, und ihn ſeinen Vater nen- nen durfte. Wohl uns alſo, wenn wir ihm in ſeinen Geſin- nungen und Thaten immer ähnlicher werden; dann werden wir alle Ehre zwar für einen Theil unſers irdiſchen Glücks, aber auch für ein ſehr unſicheres Gut anſehn, grade ſo, wie er ſie betrachtete; wir werden ſie für eine ſchimmernde Wolke halten, die oft in einem Augenblicke ihren Glanz verliert. Dann werden wir bey unverdienten Mishandlungen unſrer Ehre den Troſt eines guten Gewiſſens haben, wir wer- *) Joh. 8, 46.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/286
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/286>, abgerufen am 16.07.2024.