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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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L. Betrachtung.
ben schien, that es doch. Seine Familie, die ehe-
mals dem Volke die größten Könige verschiedene
Jahrhunderte hindurch gegeben hatte, war freylich
durch die Länge der Zeit so tief herab gesunken, daß
die Mutter Jesu ihre vornehme Herkunft ganz verges-
sen, und einen gemeinen Handwerksmann heyrathen
mußte; und doch schämte er sich dieser seiner armen
Mutter nicht, doch duldete er ruhig die Beschwer-
den des Handwerkstandes. Lesen wir über dieses von
ihm, daß er je länger je mehr bey Gott und Menschen
beliebter wurde, so schlüßen wir daraus mit Recht
auf seine schön durchlebte Jugend, und auf sein gu-
tes Verhalten gegen seine Eltern. Während seines
öffentlichen Lehramts behielt er gegen die Maria, die
wahrscheinlich da schon Wittwe war, weil ihres Man-
nes des Josephs nicht mehr gedacht wird, die Ehrerbie-
tung bey, die er ihr als Mutter schuldig war, und
blieb gewiß immer ihre einzige Freude und Hofnung,
immer der, zu dem sie zu erst in jeder Verlegenheit
ihre Zuflucht nahm. Denn wenn er gleich auf dem
hochzeitlichen Gastmale zu ihr sprach: Weib, was
hab ich mit dir zu schaffen, meine Stunde ist noch
nicht kommen;
*) so scheint dieser Ausdruck nur in
unserer Sprache auffallend zu seyn. Maria hatte
sich nehmlich in der Verlegenheit über den Mangel
des Weins an ihn gewandt, weil sie vielleicht aus an-
dern Erfahrungen schon überzeugt war, daß er Rath

schaffen
*) Joh. 2, 4.

L. Betrachtung.
ben ſchien, that es doch. Seine Familie, die ehe-
mals dem Volke die größten Könige verſchiedene
Jahrhunderte hindurch gegeben hatte, war freylich
durch die Länge der Zeit ſo tief herab geſunken, daß
die Mutter Jeſu ihre vornehme Herkunft ganz vergeſ-
ſen, und einen gemeinen Handwerksmann heyrathen
mußte; und doch ſchämte er ſich dieſer ſeiner armen
Mutter nicht, doch duldete er ruhig die Beſchwer-
den des Handwerkſtandes. Leſen wir über dieſes von
ihm, daß er je länger je mehr bey Gott und Menſchen
beliebter wurde, ſo ſchlüßen wir daraus mit Recht
auf ſeine ſchön durchlebte Jugend, und auf ſein gu-
tes Verhalten gegen ſeine Eltern. Während ſeines
öffentlichen Lehramts behielt er gegen die Maria, die
wahrſcheinlich da ſchon Wittwe war, weil ihres Man-
nes des Joſephs nicht mehr gedacht wird, die Ehrerbie-
tung bey, die er ihr als Mutter ſchuldig war, und
blieb gewiß immer ihre einzige Freude und Hofnung,
immer der, zu dem ſie zu erſt in jeder Verlegenheit
ihre Zuflucht nahm. Denn wenn er gleich auf dem
hochzeitlichen Gaſtmale zu ihr ſprach: Weib, was
hab ich mit dir zu ſchaffen, meine Stunde iſt noch
nicht kommen;
*) ſo ſcheint dieſer Ausdruck nur in
unſerer Sprache auffallend zu ſeyn. Maria hatte
ſich nehmlich in der Verlegenheit über den Mangel
des Weins an ihn gewandt, weil ſie vielleicht aus an-
dern Erfahrungen ſchon überzeugt war, daß er Rath

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*) Joh. 2, 4.
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[328/0354] L. Betrachtung. ben ſchien, that es doch. Seine Familie, die ehe- mals dem Volke die größten Könige verſchiedene Jahrhunderte hindurch gegeben hatte, war freylich durch die Länge der Zeit ſo tief herab geſunken, daß die Mutter Jeſu ihre vornehme Herkunft ganz vergeſ- ſen, und einen gemeinen Handwerksmann heyrathen mußte; und doch ſchämte er ſich dieſer ſeiner armen Mutter nicht, doch duldete er ruhig die Beſchwer- den des Handwerkſtandes. Leſen wir über dieſes von ihm, daß er je länger je mehr bey Gott und Menſchen beliebter wurde, ſo ſchlüßen wir daraus mit Recht auf ſeine ſchön durchlebte Jugend, und auf ſein gu- tes Verhalten gegen ſeine Eltern. Während ſeines öffentlichen Lehramts behielt er gegen die Maria, die wahrſcheinlich da ſchon Wittwe war, weil ihres Man- nes des Joſephs nicht mehr gedacht wird, die Ehrerbie- tung bey, die er ihr als Mutter ſchuldig war, und blieb gewiß immer ihre einzige Freude und Hofnung, immer der, zu dem ſie zu erſt in jeder Verlegenheit ihre Zuflucht nahm. Denn wenn er gleich auf dem hochzeitlichen Gaſtmale zu ihr ſprach: Weib, was hab ich mit dir zu ſchaffen, meine Stunde iſt noch nicht kommen; *) ſo ſcheint dieſer Ausdruck nur in unſerer Sprache auffallend zu ſeyn. Maria hatte ſich nehmlich in der Verlegenheit über den Mangel des Weins an ihn gewandt, weil ſie vielleicht aus an- dern Erfahrungen ſchon überzeugt war, daß er Rath ſchaffen *) Joh. 2, 4.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/354>, abgerufen am 24.11.2024.