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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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LVI. Betrachtung.
und Menschenliebe. Der wahre große Mann
denkt und handelt wie Gott und Jesus Christus.

Nie will ich also Reichthum, Macht und Ehre als
das höchste Gut, als die vornehmste Quelle der
menschlichen Glückseligkeit ansehen, sondern ich will
sie blos als Mittel betrachten, wodurch ich auf eine
leichtere und thätigere Art meine und anderer Men-
schen Wohlfarth gründen und befestigen, wodurch
ich recht viel Gutes stiften, und mir die Sorgen und
Mühseligkeiten dieses Erdenlebens erleichtern kann.
Von meinem Erlöser will ich immer mehr lernen,
wie ich alle äußere Güter und Vorzüge nach ihrem
wahren Werthe beurtheilen muß, damit sie mich
durch ihren Glanz nicht blenden und täuschen; von
ihm will ich lernen, wie ich ruhig darnach streben,
und wie ich sie stets weise und mäßig genießen soll.
Versagt mir Gott Reichthum und großes Ansehn
unter den Menschen, so will ich denken: Gott, der
seine Gaben mit Weisheit austheilt, der Niemanden
übersieht, hat das gewiß nicht ohne Ursache gethan.
Vielleicht würde sich mein Herz verschlimmern, viel-
leicht wäre ich größern Versuchungen zum Bösen
ausgesetzt. Und eben deswegen, weil Reichthum und
Ehre so gefährlich für schwache Menschen werden
können, will ich die, welche diesen Vorzug haben,
nicht beneiden; deswegen will ich ihre Fehler nicht
zu streng, nicht zu lieblos beurtheilen. Gott hat ih-

nen

LVI. Betrachtung.
und Menſchenliebe. Der wahre große Mann
denkt und handelt wie Gott und Jeſus Chriſtus.

Nie will ich alſo Reichthum, Macht und Ehre als
das höchſte Gut, als die vornehmſte Quelle der
menſchlichen Glückſeligkeit anſehen, ſondern ich will
ſie blos als Mittel betrachten, wodurch ich auf eine
leichtere und thätigere Art meine und anderer Men-
ſchen Wohlfarth gründen und befeſtigen, wodurch
ich recht viel Gutes ſtiften, und mir die Sorgen und
Mühſeligkeiten dieſes Erdenlebens erleichtern kann.
Von meinem Erlöſer will ich immer mehr lernen,
wie ich alle äußere Güter und Vorzüge nach ihrem
wahren Werthe beurtheilen muß, damit ſie mich
durch ihren Glanz nicht blenden und täuſchen; von
ihm will ich lernen, wie ich ruhig darnach ſtreben,
und wie ich ſie ſtets weiſe und mäßig genießen ſoll.
Verſagt mir Gott Reichthum und großes Anſehn
unter den Menſchen, ſo will ich denken: Gott, der
ſeine Gaben mit Weisheit austheilt, der Niemanden
überſieht, hat das gewiß nicht ohne Urſache gethan.
Vielleicht würde ſich mein Herz verſchlimmern, viel-
leicht wäre ich größern Verſuchungen zum Böſen
ausgeſetzt. Und eben deswegen, weil Reichthum und
Ehre ſo gefährlich für ſchwache Menſchen werden
können, will ich die, welche dieſen Vorzug haben,
nicht beneiden; deswegen will ich ihre Fehler nicht
zu ſtreng, nicht zu lieblos beurtheilen. Gott hat ih-

nen
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[374/0400] LVI. Betrachtung. und Menſchenliebe. Der wahre große Mann denkt und handelt wie Gott und Jeſus Chriſtus. Nie will ich alſo Reichthum, Macht und Ehre als das höchſte Gut, als die vornehmſte Quelle der menſchlichen Glückſeligkeit anſehen, ſondern ich will ſie blos als Mittel betrachten, wodurch ich auf eine leichtere und thätigere Art meine und anderer Men- ſchen Wohlfarth gründen und befeſtigen, wodurch ich recht viel Gutes ſtiften, und mir die Sorgen und Mühſeligkeiten dieſes Erdenlebens erleichtern kann. Von meinem Erlöſer will ich immer mehr lernen, wie ich alle äußere Güter und Vorzüge nach ihrem wahren Werthe beurtheilen muß, damit ſie mich durch ihren Glanz nicht blenden und täuſchen; von ihm will ich lernen, wie ich ruhig darnach ſtreben, und wie ich ſie ſtets weiſe und mäßig genießen ſoll. Verſagt mir Gott Reichthum und großes Anſehn unter den Menſchen, ſo will ich denken: Gott, der ſeine Gaben mit Weisheit austheilt, der Niemanden überſieht, hat das gewiß nicht ohne Urſache gethan. Vielleicht würde ſich mein Herz verſchlimmern, viel- leicht wäre ich größern Verſuchungen zum Böſen ausgeſetzt. Und eben deswegen, weil Reichthum und Ehre ſo gefährlich für ſchwache Menſchen werden können, will ich die, welche dieſen Vorzug haben, nicht beneiden; deswegen will ich ihre Fehler nicht zu ſtreng, nicht zu lieblos beurtheilen. Gott hat ih- nen

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/400>, abgerufen am 24.11.2024.