den letzten Tagen seines Lebens, bis man ihn gewalt- sam daran hinderte.
Wir Menschen haben nun zwar keine so zuver- läßige Gewißheit, keine so bestimmte Erkenntniß von den auf uns wartenden Leiden; und doch ist es Pflicht, uns auch auf jede wahrscheinliche Veränderung un- sers Lebens gefaßt zu machen. Oft will ich mir da- her die Leiden und Widerwärtigkeiten, die Schmer- zen und Krankheiten, die Unfälle und den Verlust, denen ich vermöge meiner Natur und vermöge der Verbindung, in der ich mit andern stehe, ausgesetzt werden kann, lebhaft vorstellen, damit, wenn sie mich früher oder später treffen, sie mich desto weniger be- fremden. Jetzt bin ich noch gesund, frey von Schmer- zen und Krankheiten, noch kann ich alle meine Sin- ne und Gliedmaßen brauchen, noch kann ich meine Berufsgeschäfte mit Leichtigkeit verrichten, und die unschuldsvollen Freuden des Lebens froh geniessen. Aber wie bald kann mich eine Krankheit überfallen, die meine Sinne schwächt, meine Kräfte aufzehrt, und mich früh zum Grabe reif macht! Jtzt gehen meine Berufsgeschäfte glücklich von statten, Gott segnet meine Arbeiten, ich geniesse die Früchte meines Fleis- ses, und der Allgütige schenkt mir mehr, als ich brauche. Aber leicht können mich in Zukunft solche Fälle treffen, die mein Gewerbe, meine Handlung, die Mittel meines Unterhalts vermindern, und meine
klügsten
LXII. Betrachtung.
den letzten Tagen ſeines Lebens, bis man ihn gewalt- ſam daran hinderte.
Wir Menſchen haben nun zwar keine ſo zuver- läßige Gewißheit, keine ſo beſtimmte Erkenntniß von den auf uns wartenden Leiden; und doch iſt es Pflicht, uns auch auf jede wahrſcheinliche Veränderung un- ſers Lebens gefaßt zu machen. Oft will ich mir da- her die Leiden und Widerwärtigkeiten, die Schmer- zen und Krankheiten, die Unfälle und den Verluſt, denen ich vermöge meiner Natur und vermöge der Verbindung, in der ich mit andern ſtehe, ausgeſetzt werden kann, lebhaft vorſtellen, damit, wenn ſie mich früher oder ſpäter treffen, ſie mich deſto weniger be- fremden. Jetzt bin ich noch geſund, frey von Schmer- zen und Krankheiten, noch kann ich alle meine Sin- ne und Gliedmaßen brauchen, noch kann ich meine Berufsgeſchäfte mit Leichtigkeit verrichten, und die unſchuldsvollen Freuden des Lebens froh genieſſen. Aber wie bald kann mich eine Krankheit überfallen, die meine Sinne ſchwächt, meine Kräfte aufzehrt, und mich früh zum Grabe reif macht! Jtzt gehen meine Berufsgeſchäfte glücklich von ſtatten, Gott ſegnet meine Arbeiten, ich genieſſe die Früchte meines Fleiſ- ſes, und der Allgütige ſchenkt mir mehr, als ich brauche. Aber leicht können mich in Zukunft ſolche Fälle treffen, die mein Gewerbe, meine Handlung, die Mittel meines Unterhalts vermindern, und meine
klügſten
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LXII. Betrachtung.
den letzten Tagen ſeines Lebens, bis man ihn gewalt-
ſam daran hinderte.
Wir Menſchen haben nun zwar keine ſo zuver-
läßige Gewißheit, keine ſo beſtimmte Erkenntniß von
den auf uns wartenden Leiden; und doch iſt es Pflicht,
uns auch auf jede wahrſcheinliche Veränderung un-
ſers Lebens gefaßt zu machen. Oft will ich mir da-
her die Leiden und Widerwärtigkeiten, die Schmer-
zen und Krankheiten, die Unfälle und den Verluſt,
denen ich vermöge meiner Natur und vermöge der
Verbindung, in der ich mit andern ſtehe, ausgeſetzt
werden kann, lebhaft vorſtellen, damit, wenn ſie mich
früher oder ſpäter treffen, ſie mich deſto weniger be-
fremden. Jetzt bin ich noch geſund, frey von Schmer-
zen und Krankheiten, noch kann ich alle meine Sin-
ne und Gliedmaßen brauchen, noch kann ich meine
Berufsgeſchäfte mit Leichtigkeit verrichten, und die
unſchuldsvollen Freuden des Lebens froh genieſſen.
Aber wie bald kann mich eine Krankheit überfallen, die
meine Sinne ſchwächt, meine Kräfte aufzehrt, und
mich früh zum Grabe reif macht! Jtzt gehen meine
Berufsgeſchäfte glücklich von ſtatten, Gott ſegnet
meine Arbeiten, ich genieſſe die Früchte meines Fleiſ-
ſes, und der Allgütige ſchenkt mir mehr, als ich
brauche. Aber leicht können mich in Zukunft ſolche
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/438>, abgerufen am 24.11.2024.
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