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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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LXVIII. Betrachtung.
will, und wofür er sich ausgiebt. Denn das
äußerliche Bekenntniß ist an sich nicht hinreichend,
das wird ihm nicht das geringste helfen, woferne ihn
nicht die Sinnesart Jesu belebt, woferne die nicht
sein ganzes Verhalten regiert, woferne er nicht mit
voller Ueberzeugung auch in dieser Rücksicht sagen
kann: Christus lebt in mir. Wer also das Abend-
mahl Jesu zum Nutzen für seine Seele geniessen,
wer dadurch seinen Glauben stärken, seinen Eifer in
der Tugend beleben, wer sich dadurch in der frohen
Hofnung des ewigen Lebens recht befestigen will, der
muß sich sorgfältig prüfen, wie seine Gesinnung und
sein Verhalten bisher beschaffen war. Daher heißt
es: der Mensch prüfe sich selbst, und also esse er von
diesem Brodte, und trinke von diesem Kelche.
*)
Diese Prüfung aber, die zunächst auf dem Genuß
des Abendmahls Beziehung hat, muß, wenn sie rech-
ter Art seyn soll, nach dem Muster Jesu angestel-
let werden, um zu sehen, ob man demselben gemäß
gedacht und gehandelt habe, oder nicht.

Habe ich mir, muß sich alsdann der Christ fra-
gen, habe ich mir bisher Jesum und sein heiliges un-
schuldiges Leben zum Muster der Nachahmung ge-
wählt, oder nur die Menschen dieser Welt, und das,
was bey ihnen Sitte und Mode ist; habe ich mich
immer mehr von allen vorsätzlichen Sünden, von al-
len Lieblingsfehlern zu entfernen gesucht? habe ich

von
*) 1 Cor. 11, 28.

LXVIII. Betrachtung.
will, und wofür er ſich ausgiebt. Denn das
äußerliche Bekenntniß iſt an ſich nicht hinreichend,
das wird ihm nicht das geringſte helfen, woferne ihn
nicht die Sinnesart Jeſu belebt, woferne die nicht
ſein ganzes Verhalten regiert, woferne er nicht mit
voller Ueberzeugung auch in dieſer Rückſicht ſagen
kann: Chriſtus lebt in mir. Wer alſo das Abend-
mahl Jeſu zum Nutzen für ſeine Seele genieſſen,
wer dadurch ſeinen Glauben ſtärken, ſeinen Eifer in
der Tugend beleben, wer ſich dadurch in der frohen
Hofnung des ewigen Lebens recht befeſtigen will, der
muß ſich ſorgfältig prüfen, wie ſeine Geſinnung und
ſein Verhalten bisher beſchaffen war. Daher heißt
es: der Menſch prüfe ſich ſelbſt, und alſo eſſe er von
dieſem Brodte, und trinke von dieſem Kelche.
*)
Dieſe Prüfung aber, die zunächſt auf dem Genuß
des Abendmahls Beziehung hat, muß, wenn ſie rech-
ter Art ſeyn ſoll, nach dem Muſter Jeſu angeſtel-
let werden, um zu ſehen, ob man demſelben gemäß
gedacht und gehandelt habe, oder nicht.

Habe ich mir, muß ſich alsdann der Chriſt fra-
gen, habe ich mir bisher Jeſum und ſein heiliges un-
ſchuldiges Leben zum Muſter der Nachahmung ge-
wählt, oder nur die Menſchen dieſer Welt, und das,
was bey ihnen Sitte und Mode iſt; habe ich mich
immer mehr von allen vorſätzlichen Sünden, von al-
len Lieblingsfehlern zu entfernen geſucht? habe ich

von
*) 1 Cor. 11, 28.
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[444/0470] LXVIII. Betrachtung. will, und wofür er ſich ausgiebt. Denn das äußerliche Bekenntniß iſt an ſich nicht hinreichend, das wird ihm nicht das geringſte helfen, woferne ihn nicht die Sinnesart Jeſu belebt, woferne die nicht ſein ganzes Verhalten regiert, woferne er nicht mit voller Ueberzeugung auch in dieſer Rückſicht ſagen kann: Chriſtus lebt in mir. Wer alſo das Abend- mahl Jeſu zum Nutzen für ſeine Seele genieſſen, wer dadurch ſeinen Glauben ſtärken, ſeinen Eifer in der Tugend beleben, wer ſich dadurch in der frohen Hofnung des ewigen Lebens recht befeſtigen will, der muß ſich ſorgfältig prüfen, wie ſeine Geſinnung und ſein Verhalten bisher beſchaffen war. Daher heißt es: der Menſch prüfe ſich ſelbſt, und alſo eſſe er von dieſem Brodte, und trinke von dieſem Kelche. *) Dieſe Prüfung aber, die zunächſt auf dem Genuß des Abendmahls Beziehung hat, muß, wenn ſie rech- ter Art ſeyn ſoll, nach dem Muſter Jeſu angeſtel- let werden, um zu ſehen, ob man demſelben gemäß gedacht und gehandelt habe, oder nicht. Habe ich mir, muß ſich alsdann der Chriſt fra- gen, habe ich mir bisher Jeſum und ſein heiliges un- ſchuldiges Leben zum Muſter der Nachahmung ge- wählt, oder nur die Menſchen dieſer Welt, und das, was bey ihnen Sitte und Mode iſt; habe ich mich immer mehr von allen vorſätzlichen Sünden, von al- len Lieblingsfehlern zu entfernen geſucht? habe ich von *) 1 Cor. 11, 28.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/470>, abgerufen am 24.11.2024.