Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.VII. Betrachtung. mung Jesu besteht auch nicht darinne, daß wir ebendie Lebensart führen, eben die Handlungen und Wun- der verrichten, eben die Sitten und Gebräuche beob- achten, oder, so wie er, von einem Orte zum andern reisen; sondern sie besteht darinne: daß wir unsern moralischen Charakter nach dem seinigen bilden; daß wir seine Art zu denken und zu handeln uns zum Mu- ster wählen; daß wir seine Grundsätze befolgen und uns nach seinen Urtheilen richten. Thun wir das, so haben wir unsere Pflicht gethan, so sind wir seine Schüler. So kann sein Leben das Muster und die Re- gel des unsrigen werden, wenn gleich seine Vorzüge so groß sind, wenn gleich sein Beruf weit von dem un- srigen abgeht. Können wir gleich nicht Wunder thun, nicht ganze Völker belehren, nicht für die Welt ster- ben; so können wir doch in unserm Stande und Be- rufe viel Gutes stiften, viel zum Trost und zur Beru- higung Anderer beytragen, oft das menschliche Elend vermindern, und so die Stelle Jesu unter unsern Brü- dern vertreten. Präge du nur selbst, o Jesu, dein Bild in mein Herz, damit jeder sogleich erkenne, daß ich dein Schüler sey, und dir ganz angehöre. Jch komme, Herr, gieb Kraft und Licht, Daß ich mein Heil erkenne, Dein wahrer Jünger sey, und nicht Mich fälschlich nur so nenne; Damit ich, deinem Beyspiel treu, Auch andern selbst ein Beyspiel sey. Erste
VII. Betrachtung. mung Jeſu beſteht auch nicht darinne, daß wir ebendie Lebensart führen, eben die Handlungen und Wun- der verrichten, eben die Sitten und Gebräuche beob- achten, oder, ſo wie er, von einem Orte zum andern reiſen; ſondern ſie beſteht darinne: daß wir unſern moraliſchen Charakter nach dem ſeinigen bilden; daß wir ſeine Art zu denken und zu handeln uns zum Mu- ſter wählen; daß wir ſeine Grundſätze befolgen und uns nach ſeinen Urtheilen richten. Thun wir das, ſo haben wir unſere Pflicht gethan, ſo ſind wir ſeine Schüler. So kann ſein Leben das Muſter und die Re- gel des unſrigen werden, wenn gleich ſeine Vorzüge ſo groß ſind, wenn gleich ſein Beruf weit von dem un- ſrigen abgeht. Können wir gleich nicht Wunder thun, nicht ganze Völker belehren, nicht für die Welt ſter- ben; ſo können wir doch in unſerm Stande und Be- rufe viel Gutes ſtiften, viel zum Troſt und zur Beru- higung Anderer beytragen, oft das menſchliche Elend vermindern, und ſo die Stelle Jeſu unter unſern Brü- dern vertreten. Präge du nur ſelbſt, o Jeſu, dein Bild in mein Herz, damit jeder ſogleich erkenne, daß ich dein Schüler ſey, und dir ganz angehöre. Jch komme, Herr, gieb Kraft und Licht, Daß ich mein Heil erkenne, Dein wahrer Jünger ſey, und nicht Mich fälſchlich nur ſo nenne; Damit ich, deinem Beyſpiel treu, Auch andern ſelbſt ein Beyſpiel ſey. Erſte
<TEI> <text> <front> <div type="preface"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="40"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> mung Jeſu beſteht auch nicht darinne, daß wir eben<lb/> die Lebensart führen, eben die Handlungen und Wun-<lb/> der verrichten, eben die Sitten und Gebräuche beob-<lb/> achten, oder, ſo wie er, von einem Orte zum andern<lb/> reiſen; ſondern ſie beſteht darinne: daß wir unſern<lb/> moraliſchen Charakter nach dem ſeinigen bilden; daß<lb/> wir ſeine Art zu denken und zu handeln uns zum Mu-<lb/> ſter wählen; daß wir ſeine Grundſätze befolgen und<lb/> uns nach ſeinen Urtheilen richten. Thun wir das, ſo<lb/> haben wir unſere Pflicht gethan, ſo ſind wir ſeine<lb/> Schüler. So kann ſein Leben das Muſter und die Re-<lb/> gel des unſrigen werden, wenn gleich ſeine Vorzüge<lb/> ſo groß ſind, wenn gleich ſein Beruf weit von dem un-<lb/> ſrigen abgeht. Können wir gleich nicht Wunder thun,<lb/> nicht ganze Völker belehren, nicht für die Welt ſter-<lb/> ben; ſo können wir doch in unſerm Stande und Be-<lb/> rufe viel Gutes ſtiften, viel zum Troſt und zur Beru-<lb/> higung Anderer beytragen, oft das menſchliche Elend<lb/> vermindern, und ſo die Stelle Jeſu unter unſern Brü-<lb/> dern vertreten. Präge du nur ſelbſt, o Jeſu, dein<lb/> Bild in mein Herz, damit jeder ſogleich erkenne, daß<lb/> ich dein Schüler ſey, und dir ganz angehöre.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Jch komme, Herr, gieb Kraft und Licht,</l><lb/> <l>Daß ich mein Heil erkenne,</l><lb/> <l>Dein wahrer Jünger ſey, und nicht</l><lb/> <l>Mich fälſchlich nur ſo nenne;</l><lb/> <l>Damit ich, deinem Beyſpiel treu,</l><lb/> <l>Auch andern ſelbſt ein Beyſpiel ſey.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Erſte</fw> </div> </div> </front> <body><lb/> </body> </text> </TEI> [40/0066]
VII. Betrachtung.
mung Jeſu beſteht auch nicht darinne, daß wir eben
die Lebensart führen, eben die Handlungen und Wun-
der verrichten, eben die Sitten und Gebräuche beob-
achten, oder, ſo wie er, von einem Orte zum andern
reiſen; ſondern ſie beſteht darinne: daß wir unſern
moraliſchen Charakter nach dem ſeinigen bilden; daß
wir ſeine Art zu denken und zu handeln uns zum Mu-
ſter wählen; daß wir ſeine Grundſätze befolgen und
uns nach ſeinen Urtheilen richten. Thun wir das, ſo
haben wir unſere Pflicht gethan, ſo ſind wir ſeine
Schüler. So kann ſein Leben das Muſter und die Re-
gel des unſrigen werden, wenn gleich ſeine Vorzüge
ſo groß ſind, wenn gleich ſein Beruf weit von dem un-
ſrigen abgeht. Können wir gleich nicht Wunder thun,
nicht ganze Völker belehren, nicht für die Welt ſter-
ben; ſo können wir doch in unſerm Stande und Be-
rufe viel Gutes ſtiften, viel zum Troſt und zur Beru-
higung Anderer beytragen, oft das menſchliche Elend
vermindern, und ſo die Stelle Jeſu unter unſern Brü-
dern vertreten. Präge du nur ſelbſt, o Jeſu, dein
Bild in mein Herz, damit jeder ſogleich erkenne, daß
ich dein Schüler ſey, und dir ganz angehöre.
Jch komme, Herr, gieb Kraft und Licht,
Daß ich mein Heil erkenne,
Dein wahrer Jünger ſey, und nicht
Mich fälſchlich nur ſo nenne;
Damit ich, deinem Beyſpiel treu,
Auch andern ſelbſt ein Beyſpiel ſey.
Erſte
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |