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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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VII. Betrachtung.
sus wählte sich endlich eine Anzahl Schüler, und un-
ternahm beständige Reisen; beydes war nöthig, wenn
er die Absichten seiner göttlichen Sendung erfüllen und
den Grund zur Ausbreitung seiner Lehre legen wollte.

Endlich dürfen wir auch das nicht nachahmen,
was in seinem Verhalten auf die besondern Gebräu-
che und Gewohnheiten der Juden, unter welchen
er lebte, Beziehung hatte.
Denn da Jesus unter
den Juden geboren und erzogen war, so mußte er sich
freylich nach den Sitten und Gewohnheiten seiner
Landsleute richten. Er mußte ihre gottesdienstlichen,
bürgerlichen und häuslichen Gebräuche mitmachen,
um nicht überall anzustoßen, um nicht seinen Lehren
und Ermahnungen den Eingang in die Herzen seiner
Zeitgenossen zu versperren. Hätte er sich aber den ein-
geführten Gewohnheiten seines Landes widersetzt, so
würde man ihn für einen Sonderling erklärt, und er
selbst würde viel von seiner Achtung verlohren haben.
Jndem sich aber Jesus zu den Sitten seines Volks
herabließ, so sieht man daraus beyläufig, daß es erlaubt,
ja sogar Pflicht für den Christen ist, sich nach den Sit-
ten und Gewohnheiten desjenigen Volks, unter welchem
er lebt, zu richten. Nur muß diese Nachgiebigkeit sich
nicht auf lasterhafte Gewohnheiten ausbreiten, und nie
das Gewissen verletzen, oder andern anstößig werden.

Es findet sich also an dem Beyspiele Jesu vieles,
was nicht allgemein anwendbar ist, und was von uns
nicht nachgeahmet werden kann. Allein die Nachah-

mung
C 4

VII. Betrachtung.
ſus wählte ſich endlich eine Anzahl Schüler, und un-
ternahm beſtändige Reiſen; beydes war nöthig, wenn
er die Abſichten ſeiner göttlichen Sendung erfüllen und
den Grund zur Ausbreitung ſeiner Lehre legen wollte.

Endlich dürfen wir auch das nicht nachahmen,
was in ſeinem Verhalten auf die beſondern Gebräu-
che und Gewohnheiten der Juden, unter welchen
er lebte, Beziehung hatte.
Denn da Jeſus unter
den Juden geboren und erzogen war, ſo mußte er ſich
freylich nach den Sitten und Gewohnheiten ſeiner
Landsleute richten. Er mußte ihre gottesdienſtlichen,
bürgerlichen und häuslichen Gebräuche mitmachen,
um nicht überall anzuſtoßen, um nicht ſeinen Lehren
und Ermahnungen den Eingang in die Herzen ſeiner
Zeitgenoſſen zu verſperren. Hätte er ſich aber den ein-
geführten Gewohnheiten ſeines Landes widerſetzt, ſo
würde man ihn für einen Sonderling erklärt, und er
ſelbſt würde viel von ſeiner Achtung verlohren haben.
Jndem ſich aber Jeſus zu den Sitten ſeines Volks
herabließ, ſo ſieht man daraus beyläufig, daß es erlaubt,
ja ſogar Pflicht für den Chriſten iſt, ſich nach den Sit-
ten und Gewohnheiten desjenigen Volks, unter welchem
er lebt, zu richten. Nur muß dieſe Nachgiebigkeit ſich
nicht auf laſterhafte Gewohnheiten ausbreiten, und nie
das Gewiſſen verletzen, oder andern anſtößig werden.

Es findet ſich alſo an dem Beyſpiele Jeſu vieles,
was nicht allgemein anwendbar iſt, und was von uns
nicht nachgeahmet werden kann. Allein die Nachah-

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[39/0065] VII. Betrachtung. ſus wählte ſich endlich eine Anzahl Schüler, und un- ternahm beſtändige Reiſen; beydes war nöthig, wenn er die Abſichten ſeiner göttlichen Sendung erfüllen und den Grund zur Ausbreitung ſeiner Lehre legen wollte. Endlich dürfen wir auch das nicht nachahmen, was in ſeinem Verhalten auf die beſondern Gebräu- che und Gewohnheiten der Juden, unter welchen er lebte, Beziehung hatte. Denn da Jeſus unter den Juden geboren und erzogen war, ſo mußte er ſich freylich nach den Sitten und Gewohnheiten ſeiner Landsleute richten. Er mußte ihre gottesdienſtlichen, bürgerlichen und häuslichen Gebräuche mitmachen, um nicht überall anzuſtoßen, um nicht ſeinen Lehren und Ermahnungen den Eingang in die Herzen ſeiner Zeitgenoſſen zu verſperren. Hätte er ſich aber den ein- geführten Gewohnheiten ſeines Landes widerſetzt, ſo würde man ihn für einen Sonderling erklärt, und er ſelbſt würde viel von ſeiner Achtung verlohren haben. Jndem ſich aber Jeſus zu den Sitten ſeines Volks herabließ, ſo ſieht man daraus beyläufig, daß es erlaubt, ja ſogar Pflicht für den Chriſten iſt, ſich nach den Sit- ten und Gewohnheiten desjenigen Volks, unter welchem er lebt, zu richten. Nur muß dieſe Nachgiebigkeit ſich nicht auf laſterhafte Gewohnheiten ausbreiten, und nie das Gewiſſen verletzen, oder andern anſtößig werden. Es findet ſich alſo an dem Beyſpiele Jeſu vieles, was nicht allgemein anwendbar iſt, und was von uns nicht nachgeahmet werden kann. Allein die Nachah- mung C 4

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/65>, abgerufen am 21.11.2024.