Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XI. Betrachtung.
rigkeiten in den Weg legte. Bey allem, was er
unternahm, fragte er nicht: was wird mir Freude
oder Verdruß bringen? sondern: was ist der Wille
meines Vaters, der mich gesandt hat? wie kann ich
den am besten erfüllen? Dies war der Entschei-
dungsgrund alles dessen, was er that und nicht that.
Tausend Proben hat er während seines schönen Lebens
auf Erden, und während seiner ganzen Amtsführung,
von seinem kindlichen Gehorsam gegen Gott abgelegt,
die jeder aufmerksame Leser seiner Geschichte leicht be-
merken kann. Und er konnte am Ziele seiner irdi-
schen Laufbahn getrost vor seinen Vater hintreten
und sagen: ich habe vollendet das Werk, das du mir
gegeben hast, das ich thun sollte.
*) So willig und
uneingeschränkt indessen sein Gehorsam war, eben so
standhaft und unveränderlich blieb auch derselbe bis
ans Ende seines Lebens. Denn grade da legte er
noch den größten Beweis seines unverbrüchlichen Ge-
horsams gegen Gott ab! Er wußte bey seiner letzten
Reise nach Jerusalem alle die traurigen Schicksale
voraus, die ihm bevorstunden; er kannte die An-
schläge, die seine Feinde zu seinem Untergange ge-
macht hatten; er wußte, daß erniedrigende Beschim-
pfungen und ausgesuchte Leiden auf ihn warteten.
Leicht, sehr leicht hätte er diesen Nachstellungen sei-

ner
*) Joh. 17, 4.
E

XI. Betrachtung.
rigkeiten in den Weg legte. Bey allem, was er
unternahm, fragte er nicht: was wird mir Freude
oder Verdruß bringen? ſondern: was iſt der Wille
meines Vaters, der mich geſandt hat? wie kann ich
den am beſten erfüllen? Dies war der Entſchei-
dungsgrund alles deſſen, was er that und nicht that.
Tauſend Proben hat er während ſeines ſchönen Lebens
auf Erden, und während ſeiner ganzen Amtsführung,
von ſeinem kindlichen Gehorſam gegen Gott abgelegt,
die jeder aufmerkſame Leſer ſeiner Geſchichte leicht be-
merken kann. Und er konnte am Ziele ſeiner irdi-
ſchen Laufbahn getroſt vor ſeinen Vater hintreten
und ſagen: ich habe vollendet das Werk, das du mir
gegeben haſt, das ich thun ſollte.
*) So willig und
uneingeſchränkt indeſſen ſein Gehorſam war, eben ſo
ſtandhaft und unveränderlich blieb auch derſelbe bis
ans Ende ſeines Lebens. Denn grade da legte er
noch den größten Beweis ſeines unverbrüchlichen Ge-
horſams gegen Gott ab! Er wußte bey ſeiner letzten
Reiſe nach Jeruſalem alle die traurigen Schickſale
voraus, die ihm bevorſtunden; er kannte die An-
ſchläge, die ſeine Feinde zu ſeinem Untergange ge-
macht hatten; er wußte, daß erniedrigende Beſchim-
pfungen und ausgeſuchte Leiden auf ihn warteten.
Leicht, ſehr leicht hätte er dieſen Nachſtellungen ſei-

ner
*) Joh. 17, 4.
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="65"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XI.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
rigkeiten in den Weg legte. Bey allem, was er<lb/>
unternahm, fragte er nicht: was wird mir Freude<lb/>
oder Verdruß bringen? &#x017F;ondern: was i&#x017F;t der Wille<lb/>
meines Vaters, der mich ge&#x017F;andt hat? wie kann ich<lb/>
den am be&#x017F;ten erfüllen? Dies war der Ent&#x017F;chei-<lb/>
dungsgrund alles de&#x017F;&#x017F;en, was er that und nicht that.<lb/>
Tau&#x017F;end Proben hat er während &#x017F;eines &#x017F;chönen Lebens<lb/>
auf Erden, und während &#x017F;einer ganzen Amtsführung,<lb/>
von &#x017F;einem kindlichen Gehor&#x017F;am gegen Gott abgelegt,<lb/>
die jeder aufmerk&#x017F;ame Le&#x017F;er &#x017F;einer Ge&#x017F;chichte leicht be-<lb/>
merken kann. Und er konnte am Ziele &#x017F;einer irdi-<lb/>
&#x017F;chen Laufbahn getro&#x017F;t vor &#x017F;einen Vater hintreten<lb/>
und &#x017F;agen: <hi rendition="#fr">ich habe vollendet das Werk, das du mir<lb/>
gegeben ha&#x017F;t, das ich thun &#x017F;ollte.</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 17, 4.</note> So willig und<lb/>
uneinge&#x017F;chränkt inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein Gehor&#x017F;am war, eben &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tandhaft und unveränderlich blieb auch der&#x017F;elbe bis<lb/>
ans Ende &#x017F;eines Lebens. Denn grade da legte er<lb/>
noch den größten Beweis &#x017F;eines unverbrüchlichen Ge-<lb/>
hor&#x017F;ams gegen Gott ab! Er wußte bey &#x017F;einer letzten<lb/>
Rei&#x017F;e nach Jeru&#x017F;alem alle die traurigen Schick&#x017F;ale<lb/>
voraus, die ihm bevor&#x017F;tunden; er kannte die An-<lb/>
&#x017F;chläge, die &#x017F;eine Feinde zu &#x017F;einem Untergange ge-<lb/>
macht hatten; er wußte, daß erniedrigende Be&#x017F;chim-<lb/>
pfungen und ausge&#x017F;uchte Leiden auf ihn warteten.<lb/>
Leicht, &#x017F;ehr leicht hätte er die&#x017F;en Nach&#x017F;tellungen &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E</fw><fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0091] XI. Betrachtung. rigkeiten in den Weg legte. Bey allem, was er unternahm, fragte er nicht: was wird mir Freude oder Verdruß bringen? ſondern: was iſt der Wille meines Vaters, der mich geſandt hat? wie kann ich den am beſten erfüllen? Dies war der Entſchei- dungsgrund alles deſſen, was er that und nicht that. Tauſend Proben hat er während ſeines ſchönen Lebens auf Erden, und während ſeiner ganzen Amtsführung, von ſeinem kindlichen Gehorſam gegen Gott abgelegt, die jeder aufmerkſame Leſer ſeiner Geſchichte leicht be- merken kann. Und er konnte am Ziele ſeiner irdi- ſchen Laufbahn getroſt vor ſeinen Vater hintreten und ſagen: ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben haſt, das ich thun ſollte. *) So willig und uneingeſchränkt indeſſen ſein Gehorſam war, eben ſo ſtandhaft und unveränderlich blieb auch derſelbe bis ans Ende ſeines Lebens. Denn grade da legte er noch den größten Beweis ſeines unverbrüchlichen Ge- horſams gegen Gott ab! Er wußte bey ſeiner letzten Reiſe nach Jeruſalem alle die traurigen Schickſale voraus, die ihm bevorſtunden; er kannte die An- ſchläge, die ſeine Feinde zu ſeinem Untergange ge- macht hatten; er wußte, daß erniedrigende Beſchim- pfungen und ausgeſuchte Leiden auf ihn warteten. Leicht, ſehr leicht hätte er dieſen Nachſtellungen ſei- ner *) Joh. 17, 4. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/91
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/91>, abgerufen am 24.11.2024.