Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Kunst der Hellenen.
es wie ein gährendes Lebensprincip in unsere deutsche Kunst
aufgenommen werden soll. Die Trägheit der menschlichen
Natur sträubt sich gegen den unbequemen Einfluß einer um¬
bildenden Kraft; der menschliche Hochmuth wehrt sich gegen
die Anerkennung überlieferter Gesetze. Aus beiden Gründen
sucht man sich mit der alten Kunst abzufinden; man will sie
weder ganz verabsäumen noch ganz anerkennen, und während
jeder Gebildete über den lacht, welcher sich den Anschein geben
will einer Sprache mächtig zu sein, während er ohne Kenntniß
ihrer Gesetze nur Silben und Wörter zusammenreiht, so läßt
man sich in der Kunst das Kauderwelsch unverständig ange¬
wendeter Formen mit übertriebener Nachsicht gefallen. So
ungeduldig der Geist nach Fortschritt drängt, eine gesunde
Fortentwickelung ist nicht möglich, wenn wir das Vermächtniß
des Alterthums von uns weisen, und soll der Weg, den
Schinkel gebahnt hat, wirklich die Entwickelungsbahn deutscher
Kunst werden, so liegt uns eine zwiefache, unabweisbare Auf¬
gabe vor. Zuerst die fortschreitende Erkenntniß der hellenischen
Bauweise und der in ihr liegenden Vernunft, und zweitens
der entschlossene Wille, diese Grundsätze echter Kunst mit aller
sittlichen Kraft zu vertreten zum Segen einer Zeit, die mehr
als jede andere ihre Söhne ermahnt, auf allen Gebieten des
geistigen Lebens an dem ewig Gültigen festzuhalten. Darum
Heil den Männern, welche auf solchem Wege, bauend und
bildend oder forschend und lehrend, an dem Lebenswerke
Schinkel's fortarbeiten!


Die Kunſt der Hellenen.
es wie ein gährendes Lebensprincip in unſere deutſche Kunſt
aufgenommen werden ſoll. Die Trägheit der menſchlichen
Natur ſträubt ſich gegen den unbequemen Einfluß einer um¬
bildenden Kraft; der menſchliche Hochmuth wehrt ſich gegen
die Anerkennung überlieferter Geſetze. Aus beiden Gründen
ſucht man ſich mit der alten Kunſt abzufinden; man will ſie
weder ganz verabſäumen noch ganz anerkennen, und während
jeder Gebildete über den lacht, welcher ſich den Anſchein geben
will einer Sprache mächtig zu ſein, während er ohne Kenntniß
ihrer Geſetze nur Silben und Wörter zuſammenreiht, ſo läßt
man ſich in der Kunſt das Kauderwelſch unverſtändig ange¬
wendeter Formen mit übertriebener Nachſicht gefallen. So
ungeduldig der Geiſt nach Fortſchritt drängt, eine geſunde
Fortentwickelung iſt nicht möglich, wenn wir das Vermächtniß
des Alterthums von uns weiſen, und ſoll der Weg, den
Schinkel gebahnt hat, wirklich die Entwickelungsbahn deutſcher
Kunſt werden, ſo liegt uns eine zwiefache, unabweisbare Auf¬
gabe vor. Zuerſt die fortſchreitende Erkenntniß der helleniſchen
Bauweiſe und der in ihr liegenden Vernunft, und zweitens
der entſchloſſene Wille, dieſe Grundſätze echter Kunſt mit aller
ſittlichen Kraft zu vertreten zum Segen einer Zeit, die mehr
als jede andere ihre Söhne ermahnt, auf allen Gebieten des
geiſtigen Lebens an dem ewig Gültigen feſtzuhalten. Darum
Heil den Männern, welche auf ſolchem Wege, bauend und
bildend oder forſchend und lehrend, an dem Lebenswerke
Schinkel's fortarbeiten!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0109" n="93"/><fw place="top" type="header">Die Kun&#x017F;t der Hellenen.<lb/></fw> es wie ein gährendes Lebensprincip in un&#x017F;ere deut&#x017F;che Kun&#x017F;t<lb/>
aufgenommen werden &#x017F;oll. Die Trägheit der men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur &#x017F;träubt &#x017F;ich gegen den unbequemen Einfluß einer um¬<lb/>
bildenden Kraft; der men&#x017F;chliche Hochmuth wehrt &#x017F;ich gegen<lb/>
die Anerkennung überlieferter Ge&#x017F;etze. Aus beiden Gründen<lb/>
&#x017F;ucht man &#x017F;ich mit der alten Kun&#x017F;t abzufinden; man will &#x017F;ie<lb/>
weder ganz verab&#x017F;äumen noch ganz anerkennen, und während<lb/>
jeder Gebildete über den lacht, welcher &#x017F;ich den An&#x017F;chein geben<lb/>
will einer Sprache mächtig zu &#x017F;ein, während er ohne Kenntniß<lb/>
ihrer Ge&#x017F;etze nur Silben und Wörter zu&#x017F;ammenreiht, &#x017F;o läßt<lb/>
man &#x017F;ich in der Kun&#x017F;t das Kauderwel&#x017F;ch unver&#x017F;tändig ange¬<lb/>
wendeter Formen mit übertriebener Nach&#x017F;icht gefallen. So<lb/>
ungeduldig der Gei&#x017F;t nach Fort&#x017F;chritt drängt, eine ge&#x017F;unde<lb/>
Fortentwickelung i&#x017F;t nicht möglich, wenn wir das Vermächtniß<lb/>
des Alterthums von uns wei&#x017F;en, und &#x017F;oll der Weg, den<lb/>
Schinkel gebahnt hat, wirklich die Entwickelungsbahn deut&#x017F;cher<lb/>
Kun&#x017F;t werden, &#x017F;o liegt uns eine zwiefache, unabweisbare Auf¬<lb/>
gabe vor. Zuer&#x017F;t die fort&#x017F;chreitende Erkenntniß der helleni&#x017F;chen<lb/>
Bauwei&#x017F;e und der in ihr liegenden Vernunft, und zweitens<lb/>
der ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Wille, die&#x017F;e Grund&#x017F;ätze echter Kun&#x017F;t mit aller<lb/>
&#x017F;ittlichen Kraft zu vertreten zum Segen einer Zeit, die mehr<lb/>
als jede andere ihre Söhne ermahnt, auf allen Gebieten des<lb/>
gei&#x017F;tigen Lebens an dem ewig Gültigen fe&#x017F;tzuhalten. Darum<lb/>
Heil den Männern, welche auf &#x017F;olchem Wege, bauend und<lb/>
bildend oder for&#x017F;chend und lehrend, an dem Lebenswerke<lb/>
Schinkel's fortarbeiten!</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0109] Die Kunſt der Hellenen. es wie ein gährendes Lebensprincip in unſere deutſche Kunſt aufgenommen werden ſoll. Die Trägheit der menſchlichen Natur ſträubt ſich gegen den unbequemen Einfluß einer um¬ bildenden Kraft; der menſchliche Hochmuth wehrt ſich gegen die Anerkennung überlieferter Geſetze. Aus beiden Gründen ſucht man ſich mit der alten Kunſt abzufinden; man will ſie weder ganz verabſäumen noch ganz anerkennen, und während jeder Gebildete über den lacht, welcher ſich den Anſchein geben will einer Sprache mächtig zu ſein, während er ohne Kenntniß ihrer Geſetze nur Silben und Wörter zuſammenreiht, ſo läßt man ſich in der Kunſt das Kauderwelſch unverſtändig ange¬ wendeter Formen mit übertriebener Nachſicht gefallen. So ungeduldig der Geiſt nach Fortſchritt drängt, eine geſunde Fortentwickelung iſt nicht möglich, wenn wir das Vermächtniß des Alterthums von uns weiſen, und ſoll der Weg, den Schinkel gebahnt hat, wirklich die Entwickelungsbahn deutſcher Kunſt werden, ſo liegt uns eine zwiefache, unabweisbare Auf¬ gabe vor. Zuerſt die fortſchreitende Erkenntniß der helleniſchen Bauweiſe und der in ihr liegenden Vernunft, und zweitens der entſchloſſene Wille, dieſe Grundſätze echter Kunſt mit aller ſittlichen Kraft zu vertreten zum Segen einer Zeit, die mehr als jede andere ihre Söhne ermahnt, auf allen Gebieten des geiſtigen Lebens an dem ewig Gültigen feſtzuhalten. Darum Heil den Männern, welche auf ſolchem Wege, bauend und bildend oder forſchend und lehrend, an dem Lebenswerke Schinkel's fortarbeiten!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/109
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/109>, abgerufen am 17.05.2024.