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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
Friedrich den Großen nach dem sogenannten Antikentempel in
Potsdam und bald erfolgte durch denselben König eine gro߬
artige Vermehrung, namentlich durch Ankauf der Polignac'schen
Sammlung, welche aus der Fundstätte des Neronischen Pa¬
lastes und aus Tusculum stammte.

Diese Stiftungen und Erwerbungen standen sämmtlich
unter römischem Einflusse; es waren Brosamen, welche von
den vollen Tischen der Römer gelegentlich abfielen.

Nach Winckelmann ist es anders geworden. Rom ist nicht
das Centrum geblieben, weder als Fundort noch als Sitz der
Autorität. Die großgriechische Kunstwelt wurde unter Lava
und Asche hervorgezogen; Hellas und Kleinasien, die Heimath
der Antike, wurden wieder entdeckt, und seit dieser Epoche
haben die Kunstmuseen eine ganz andere Bedeutung erlangt.

In Rom, wo man zum größten Theile nur heimathlose
Bildwerke hatte, mußte der ästhetische Gesichtspunkt vorherrschen.
Nur eine Auswahl erkannte der Vatikan als hoffähig an;
tadellose Schaustücke so glänzend wie möglich aufzustellen war
der maßgebende Gesichtspunkt. Jetzt empfing man die Kunst¬
werke aus dem mütterlichen Boden und nun trat der Staat
in Vortheil, welcher mit allen anderen Küsten auch die des
Mittelmeers beherrschte. Darum hat sich in der von Rom
unabhängigen Richtung kein Museum so rasch und glänzend
entwickelt wie das 1753 gestiftete und 1759 eröffnete britische
Museum. Da sind Aegypten und Mesopotamien, Attika, Karien
und Ionien, Rhodos, Kyrene durch ganze Gruppen einheimi¬
scher Kunst- und Schriftdenkmäler vertreten. Man geht in
seinen Sälen von einer Landschaft, von einer Stadt zur an¬
dern; man schaut der Vergangenheit klar in das Auge. Es
ist das großartigste historische Museum der Welt.

In Deutschland war man auf einen bescheidneren Ma߬
stab angewiesen. Was aber durch kluge Benutzung der Um¬
stände im vorigen Jahrhundert noch geleistet werden konnte,
zeigen die Dresdener Sammlungen, und in ihrer Art noch
bewunderungswürdiger ist diejenige Sammlung, deren Grün¬
dung sich an den ersten römischen Aufenthalt des Königs

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
Friedrich den Großen nach dem ſogenannten Antikentempel in
Potsdam und bald erfolgte durch denſelben König eine gro߬
artige Vermehrung, namentlich durch Ankauf der Polignac'ſchen
Sammlung, welche aus der Fundſtätte des Neroniſchen Pa¬
laſtes und aus Tusculum ſtammte.

Dieſe Stiftungen und Erwerbungen ſtanden ſämmtlich
unter römiſchem Einfluſſe; es waren Broſamen, welche von
den vollen Tiſchen der Römer gelegentlich abfielen.

Nach Winckelmann iſt es anders geworden. Rom iſt nicht
das Centrum geblieben, weder als Fundort noch als Sitz der
Autorität. Die großgriechiſche Kunſtwelt wurde unter Lava
und Aſche hervorgezogen; Hellas und Kleinaſien, die Heimath
der Antike, wurden wieder entdeckt, und ſeit dieſer Epoche
haben die Kunſtmuſeen eine ganz andere Bedeutung erlangt.

In Rom, wo man zum größten Theile nur heimathloſe
Bildwerke hatte, mußte der äſthetiſche Geſichtspunkt vorherrſchen.
Nur eine Auswahl erkannte der Vatikan als hoffähig an;
tadelloſe Schauſtücke ſo glänzend wie möglich aufzuſtellen war
der maßgebende Geſichtspunkt. Jetzt empfing man die Kunſt¬
werke aus dem mütterlichen Boden und nun trat der Staat
in Vortheil, welcher mit allen anderen Küſten auch die des
Mittelmeers beherrſchte. Darum hat ſich in der von Rom
unabhängigen Richtung kein Muſeum ſo raſch und glänzend
entwickelt wie das 1753 geſtiftete und 1759 eröffnete britiſche
Muſeum. Da ſind Aegypten und Meſopotamien, Attika, Karien
und Ionien, Rhodos, Kyrene durch ganze Gruppen einheimi¬
ſcher Kunſt- und Schriftdenkmäler vertreten. Man geht in
ſeinen Sälen von einer Landſchaft, von einer Stadt zur an¬
dern; man ſchaut der Vergangenheit klar in das Auge. Es
iſt das großartigſte hiſtoriſche Muſeum der Welt.

In Deutſchland war man auf einen beſcheidneren Ma߬
ſtab angewieſen. Was aber durch kluge Benutzung der Um¬
ſtände im vorigen Jahrhundert noch geleiſtet werden konnte,
zeigen die Dresdener Sammlungen, und in ihrer Art noch
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[109/0125] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. Friedrich den Großen nach dem ſogenannten Antikentempel in Potsdam und bald erfolgte durch denſelben König eine gro߬ artige Vermehrung, namentlich durch Ankauf der Polignac'ſchen Sammlung, welche aus der Fundſtätte des Neroniſchen Pa¬ laſtes und aus Tusculum ſtammte. Dieſe Stiftungen und Erwerbungen ſtanden ſämmtlich unter römiſchem Einfluſſe; es waren Broſamen, welche von den vollen Tiſchen der Römer gelegentlich abfielen. Nach Winckelmann iſt es anders geworden. Rom iſt nicht das Centrum geblieben, weder als Fundort noch als Sitz der Autorität. Die großgriechiſche Kunſtwelt wurde unter Lava und Aſche hervorgezogen; Hellas und Kleinaſien, die Heimath der Antike, wurden wieder entdeckt, und ſeit dieſer Epoche haben die Kunſtmuſeen eine ganz andere Bedeutung erlangt. In Rom, wo man zum größten Theile nur heimathloſe Bildwerke hatte, mußte der äſthetiſche Geſichtspunkt vorherrſchen. Nur eine Auswahl erkannte der Vatikan als hoffähig an; tadelloſe Schauſtücke ſo glänzend wie möglich aufzuſtellen war der maßgebende Geſichtspunkt. Jetzt empfing man die Kunſt¬ werke aus dem mütterlichen Boden und nun trat der Staat in Vortheil, welcher mit allen anderen Küſten auch die des Mittelmeers beherrſchte. Darum hat ſich in der von Rom unabhängigen Richtung kein Muſeum ſo raſch und glänzend entwickelt wie das 1753 geſtiftete und 1759 eröffnete britiſche Muſeum. Da ſind Aegypten und Meſopotamien, Attika, Karien und Ionien, Rhodos, Kyrene durch ganze Gruppen einheimi¬ ſcher Kunſt- und Schriftdenkmäler vertreten. Man geht in ſeinen Sälen von einer Landſchaft, von einer Stadt zur an¬ dern; man ſchaut der Vergangenheit klar in das Auge. Es iſt das großartigſte hiſtoriſche Muſeum der Welt. In Deutſchland war man auf einen beſcheidneren Ma߬ ſtab angewieſen. Was aber durch kluge Benutzung der Um¬ ſtände im vorigen Jahrhundert noch geleiſtet werden konnte, zeigen die Dresdener Sammlungen, und in ihrer Art noch bewunderungswürdiger iſt diejenige Sammlung, deren Grün¬ dung ſich an den erſten römiſchen Aufenthalt des Königs

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/125>, abgerufen am 29.11.2024.