Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
bührende Erziehung gegeben hatten. Mit Versäumniß dieser Pflicht waren alle Elternrechte verwirkt.
Pflege der geistigen Anlagen galt für etwas eben so Selbstverständliches wie ausreichende Körperpflege, und wie es bei dem einzelnen Menschen ein verletzendes Mißverhältniß ist, wenn dem voll entwickelten Leibe die entsprechende Geistes¬ reife fehlt, so muß auch der Staat bei erweiterter Macht¬ sphäre und höheren Zielen von seinen Angehörigen eine reichere Bildung verlangen.
Wie lebendig empfanden das die Athener, von denen Aristoteles sagt, daß sie nach den Perserkriegen mit neuer Begier sich jeder Wissenschaft befleißigten! Ruhm und Gold war ihnen in ungeahnter Fülle zu Theil geworden und doch erschienen sie sich bedürftiger als je zuvor. Sie mußten nun, das fühlten sie, durch geistige Schätze ihr Erkenntnißgebiet erweitern, um zwischen dem innern und äußern Leben das richtige Gleichgewicht herzustellen, um in den neuen Beruf hinein zu wachsen und für ihn nachzureifen.
So ging Athen aus innerer Triebkraft vorwärts und betrachtete seine großen Siege nicht als einen verdienten Lohn, nicht als den Abschluß einer ruhmvollen Laufbahn oder als einen Ruhepunkt, von dem man selbstzufrieden zurückblicken konnte, sondern als einen Sporn zu verdoppelter Thätigkeit, als den Anfang eines neuen Lebens mit höheren Gesichts¬ punkten und ernsteren Pflichten.
Unmittelbarer und selbständiger war die Thätigkeit des Staats für die bildende Kunst; aber auch hier handelte er nicht nach Willkür und eignem Ermessen, sondern wie es die Volkssitte forderte. Er verfuhr nicht anders, als jeder Ein¬ zelne zu thun sich gebunden fühlte, wenn er nach gewinnreicher Seefahrt oder glücklicher Lebensrettung das Opfer des Danks in einem sinnreichen Kunstwerke darbrachte. Des Sieges Beute stand ja dem Sieger nicht zu freier Verfügung, sondern die Staatsgottheit hatte ihren Antheil daran, welcher zuerst ab¬ gehoben werden mußte. Der Staat hatte also nur die Auf¬ gabe, in größerem Maßstabe als die Kräfte Einzelner es
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
bührende Erziehung gegeben hatten. Mit Verſäumniß dieſer Pflicht waren alle Elternrechte verwirkt.
Pflege der geiſtigen Anlagen galt für etwas eben ſo Selbſtverſtändliches wie ausreichende Körperpflege, und wie es bei dem einzelnen Menſchen ein verletzendes Mißverhältniß iſt, wenn dem voll entwickelten Leibe die entſprechende Geiſtes¬ reife fehlt, ſo muß auch der Staat bei erweiterter Macht¬ ſphäre und höheren Zielen von ſeinen Angehörigen eine reichere Bildung verlangen.
Wie lebendig empfanden das die Athener, von denen Ariſtoteles ſagt, daß ſie nach den Perſerkriegen mit neuer Begier ſich jeder Wiſſenſchaft befleißigten! Ruhm und Gold war ihnen in ungeahnter Fülle zu Theil geworden und doch erſchienen ſie ſich bedürftiger als je zuvor. Sie mußten nun, das fühlten ſie, durch geiſtige Schätze ihr Erkenntnißgebiet erweitern, um zwiſchen dem innern und äußern Leben das richtige Gleichgewicht herzuſtellen, um in den neuen Beruf hinein zu wachſen und für ihn nachzureifen.
So ging Athen aus innerer Triebkraft vorwärts und betrachtete ſeine großen Siege nicht als einen verdienten Lohn, nicht als den Abſchluß einer ruhmvollen Laufbahn oder als einen Ruhepunkt, von dem man ſelbſtzufrieden zurückblicken konnte, ſondern als einen Sporn zu verdoppelter Thätigkeit, als den Anfang eines neuen Lebens mit höheren Geſichts¬ punkten und ernſteren Pflichten.
Unmittelbarer und ſelbſtändiger war die Thätigkeit des Staats für die bildende Kunſt; aber auch hier handelte er nicht nach Willkür und eignem Ermeſſen, ſondern wie es die Volksſitte forderte. Er verfuhr nicht anders, als jeder Ein¬ zelne zu thun ſich gebunden fühlte, wenn er nach gewinnreicher Seefahrt oder glücklicher Lebensrettung das Opfer des Danks in einem ſinnreichen Kunſtwerke darbrachte. Des Sieges Beute ſtand ja dem Sieger nicht zu freier Verfügung, ſondern die Staatsgottheit hatte ihren Antheil daran, welcher zuerſt ab¬ gehoben werden mußte. Der Staat hatte alſo nur die Auf¬ gabe, in größerem Maßſtabe als die Kräfte Einzelner es
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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
bührende Erziehung gegeben hatten. Mit Verſäumniß dieſer
Pflicht waren alle Elternrechte verwirkt.
Pflege der geiſtigen Anlagen galt für etwas eben ſo
Selbſtverſtändliches wie ausreichende Körperpflege, und wie
es bei dem einzelnen Menſchen ein verletzendes Mißverhältniß
iſt, wenn dem voll entwickelten Leibe die entſprechende Geiſtes¬
reife fehlt, ſo muß auch der Staat bei erweiterter Macht¬
ſphäre und höheren Zielen von ſeinen Angehörigen eine
reichere Bildung verlangen.
Wie lebendig empfanden das die Athener, von denen
Ariſtoteles ſagt, daß ſie nach den Perſerkriegen mit neuer
Begier ſich jeder Wiſſenſchaft befleißigten! Ruhm und Gold
war ihnen in ungeahnter Fülle zu Theil geworden und doch
erſchienen ſie ſich bedürftiger als je zuvor. Sie mußten nun,
das fühlten ſie, durch geiſtige Schätze ihr Erkenntnißgebiet
erweitern, um zwiſchen dem innern und äußern Leben das
richtige Gleichgewicht herzuſtellen, um in den neuen Beruf
hinein zu wachſen und für ihn nachzureifen.
So ging Athen aus innerer Triebkraft vorwärts und
betrachtete ſeine großen Siege nicht als einen verdienten Lohn,
nicht als den Abſchluß einer ruhmvollen Laufbahn oder als
einen Ruhepunkt, von dem man ſelbſtzufrieden zurückblicken
konnte, ſondern als einen Sporn zu verdoppelter Thätigkeit,
als den Anfang eines neuen Lebens mit höheren Geſichts¬
punkten und ernſteren Pflichten.
Unmittelbarer und ſelbſtändiger war die Thätigkeit des
Staats für die bildende Kunſt; aber auch hier handelte er
nicht nach Willkür und eignem Ermeſſen, ſondern wie es die
Volksſitte forderte. Er verfuhr nicht anders, als jeder Ein¬
zelne zu thun ſich gebunden fühlte, wenn er nach gewinnreicher
Seefahrt oder glücklicher Lebensrettung das Opfer des Danks
in einem ſinnreichen Kunſtwerke darbrachte. Des Sieges Beute
ſtand ja dem Sieger nicht zu freier Verfügung, ſondern die
Staatsgottheit hatte ihren Antheil daran, welcher zuerſt ab¬
gehoben werden mußte. Der Staat hatte alſo nur die Auf¬
gabe, in größerem Maßſtabe als die Kräfte Einzelner es
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/135>, abgerufen am 20.02.2025.
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