Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
pflege, die zwar stattlicher und prächtiger werden, aber immer etwas an ursprünglichem Reize einbüßen.
Kunst und Künstler bedarf das Gemeinwesen; ohne sie ist der antike Staat gar nicht zu denken. Die Wissenschaft steht ihm ferner. Auch sie entwickelte sich unmittelbar aus dem Geiste des Volks, sich selber unbewußt und allmählich fortschreitend, so wie ein Räthsel nach dem anderen in der Menschenseele aufdämmerte und die schlummernde Denkkraft weckte.
Diese Entwickelung erfolgte aber nicht so wie die der Kunst in vollem Einklange mit dem Volksleben und reifte nicht so wie diese den Bedürfnissen des Staats entgegen. Sie war selbständiger, rücksichtsloser und es kam auch in Athen zu Kampf und Streit, als der philosophische Gedanke von harmloser Naturbetrachtung auf die menschlichen Dinge überging, alles Bestehende auf das Recht seines Bestehens untersuchte und jede Ueberlieferung in Frage stellte. Die Sophisten waren die Ersten unter den Hellenen, welche aus der Virtuosität im Denken und Reden einen Lebensberuf machten, und da sie als Volkslehrer umherzogen und die Jugend um sich sammelten, befand sich der antike Staat ihnen gegenüber in einem Zustande der Nothwehr.
Das beste Gegenmittel gegen die Sophistik lag in der echten Philosophie, welche für das Alte, das haltlos geworden, etwas Höheres und Besseres bieten konnte. Aber der Staat war nicht im Stande diese Kräfte zu seiner Erneuerung zu verwerthen. Die attische Philosophie wirkte in engen Kreisen, welche von der Stadt und ihrem Treiben fern, in stolzer Un¬ abhängigkeit als besondere Gemeinden bestanden mit ihren aus ihrer Mitte erwählten Führern, welche Priestern gleich den Herd höherer Erkenntniß hüteten, eine Folge von Schul¬ häuptern, welche auf dem einmal geheiligten Boden von Attika einander ablösten, Einer dem Andern das Scepter übergebend.
Dennoch ist auch der Staat Athen an der Förderung der Wissenschaften nicht unbetheiligt geblieben und es ist ein merkwürdiges Zeichen von echt historischem Sinne, daß hier
Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
pflege, die zwar ſtattlicher und prächtiger werden, aber immer etwas an urſprünglichem Reize einbüßen.
Kunſt und Künſtler bedarf das Gemeinweſen; ohne ſie iſt der antike Staat gar nicht zu denken. Die Wiſſenſchaft ſteht ihm ferner. Auch ſie entwickelte ſich unmittelbar aus dem Geiſte des Volks, ſich ſelber unbewußt und allmählich fortſchreitend, ſo wie ein Räthſel nach dem anderen in der Menſchenſeele aufdämmerte und die ſchlummernde Denkkraft weckte.
Dieſe Entwickelung erfolgte aber nicht ſo wie die der Kunſt in vollem Einklange mit dem Volksleben und reifte nicht ſo wie dieſe den Bedürfniſſen des Staats entgegen. Sie war ſelbſtändiger, rückſichtsloſer und es kam auch in Athen zu Kampf und Streit, als der philoſophiſche Gedanke von harmloſer Naturbetrachtung auf die menſchlichen Dinge überging, alles Beſtehende auf das Recht ſeines Beſtehens unterſuchte und jede Ueberlieferung in Frage ſtellte. Die Sophiſten waren die Erſten unter den Hellenen, welche aus der Virtuoſität im Denken und Reden einen Lebensberuf machten, und da ſie als Volkslehrer umherzogen und die Jugend um ſich ſammelten, befand ſich der antike Staat ihnen gegenüber in einem Zuſtande der Nothwehr.
Das beſte Gegenmittel gegen die Sophiſtik lag in der echten Philoſophie, welche für das Alte, das haltlos geworden, etwas Höheres und Beſſeres bieten konnte. Aber der Staat war nicht im Stande dieſe Kräfte zu ſeiner Erneuerung zu verwerthen. Die attiſche Philoſophie wirkte in engen Kreiſen, welche von der Stadt und ihrem Treiben fern, in ſtolzer Un¬ abhängigkeit als beſondere Gemeinden beſtanden mit ihren aus ihrer Mitte erwählten Führern, welche Prieſtern gleich den Herd höherer Erkenntniß hüteten, eine Folge von Schul¬ häuptern, welche auf dem einmal geheiligten Boden von Attika einander ablöſten, Einer dem Andern das Scepter übergebend.
Dennoch iſt auch der Staat Athen an der Förderung der Wiſſenſchaften nicht unbetheiligt geblieben und es iſt ein merkwürdiges Zeichen von echt hiſtoriſchem Sinne, daß hier
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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
pflege, die zwar ſtattlicher und prächtiger werden, aber immer
etwas an urſprünglichem Reize einbüßen.
Kunſt und Künſtler bedarf das Gemeinweſen; ohne ſie
iſt der antike Staat gar nicht zu denken. Die Wiſſenſchaft
ſteht ihm ferner. Auch ſie entwickelte ſich unmittelbar aus
dem Geiſte des Volks, ſich ſelber unbewußt und allmählich
fortſchreitend, ſo wie ein Räthſel nach dem anderen in der
Menſchenſeele aufdämmerte und die ſchlummernde Denkkraft
weckte.
Dieſe Entwickelung erfolgte aber nicht ſo wie die der
Kunſt in vollem Einklange mit dem Volksleben und reifte
nicht ſo wie dieſe den Bedürfniſſen des Staats entgegen.
Sie war ſelbſtändiger, rückſichtsloſer und es kam auch in
Athen zu Kampf und Streit, als der philoſophiſche Gedanke
von harmloſer Naturbetrachtung auf die menſchlichen Dinge
überging, alles Beſtehende auf das Recht ſeines Beſtehens
unterſuchte und jede Ueberlieferung in Frage ſtellte. Die
Sophiſten waren die Erſten unter den Hellenen, welche aus
der Virtuoſität im Denken und Reden einen Lebensberuf
machten, und da ſie als Volkslehrer umherzogen und die
Jugend um ſich ſammelten, befand ſich der antike Staat ihnen
gegenüber in einem Zuſtande der Nothwehr.
Das beſte Gegenmittel gegen die Sophiſtik lag in der
echten Philoſophie, welche für das Alte, das haltlos geworden,
etwas Höheres und Beſſeres bieten konnte. Aber der Staat
war nicht im Stande dieſe Kräfte zu ſeiner Erneuerung zu
verwerthen. Die attiſche Philoſophie wirkte in engen Kreiſen,
welche von der Stadt und ihrem Treiben fern, in ſtolzer Un¬
abhängigkeit als beſondere Gemeinden beſtanden mit ihren
aus ihrer Mitte erwählten Führern, welche Prieſtern gleich
den Herd höherer Erkenntniß hüteten, eine Folge von Schul¬
häuptern, welche auf dem einmal geheiligten Boden von Attika
einander ablöſten, Einer dem Andern das Scepter übergebend.
Dennoch iſt auch der Staat Athen an der Förderung
der Wiſſenſchaften nicht unbetheiligt geblieben und es iſt ein
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/138>, abgerufen am 20.02.2025.
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