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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
erſten der neun Archonten begangen wurde, trat die Muſe
unmittelbar in den Staatsdienſt. Der Dichter reicht ſein
Stück bei dem Beamten ein und dieſer, den der Zufall des
Looſes für das laufende Jahr an dieſe Stelle gebracht hat,
entſcheidet darüber, ob ein Sophokles zur Concurrenz zuge¬
laſſen werden ſoll oder nicht. Es bildet ſich eine Gruppe
dramatiſcher Poeten, welche einen gewiſſen amtlichen Charakter
haben und anſehnliche Staatsbeſoldungen beziehen, um für
den Bedarf der öffentlichen Feſte, die jährlich neue Dichtungen
verlangen, mit der nöthigen Muße ſorgen zu können.

Bezahlung poetiſcher Werke war den Griechen urſprüng¬
lich etwas Anſtößiges, weil die Würde und Freiheit der Poeſie
dadurch beeinträchtigt ſchien; man fühlte, wie leicht ihr reiner
Quell getrübt werde. Wer Sold giebt, macht auch Anſprüche,
denen ſich der Empfangende nicht entziehen kann, und da, wo
die lockende Ausſicht auf Gewinn poetiſche Tafelrunden bildete,
welche ſich um freigebige Fürſten, wie Piſiſtratos und Hiero,
ſammelten, da traten auch mancherlei Schäden höfiſcher Kunſt
und mancherlei Mißklänge, ſelbſt bei ſo hervorragenden Geiſtern,
wie Pindar, Simonides, Ibykos zu Tage.

Im attiſchen Freiſtaate lagen ſolche Gefahren ferner und
ungezwungen fügten ſich die den Volksfeſten entſprungenen
Dichtungen in den Organismus des ſtädtiſchen Feſtcyclus, als
wenn ſie von Anfang an dafür geſchaffen wären. Aber hier
traten andere Gefahren ein; es kam zu Conflikten zwiſchen den
Staatsrückſichten und der Autonomie, welche der Genius in
Anſpruch nehmen muß. Die namhafteſten Dichter wurden in
Staatsproceſſe verwickelt, die Staatsbeſoldung wurde beſchnit¬
ten, die Maskenfreiheit des dionyſiſchen Feſtſpiels einer ſtrengen
Cenſur unterworfen, und das geſchah in der Zeit der vollen¬
deten Demokratie; ein Beweis, daß die unmittelbare Berührung
zwiſchen Staat und Dichtkunſt und die Verflechtung derſelben
in die Intereſſen des Staats auch dort, wo das freie Wort
Grundprincip der Verfaſſung war, Uebelſtände hervorrief.

Auch die Gattungen der Kunſt verändern ſich in der Zucht
ſtädtiſcher Ausbildung, wie die Gewächſe in künſtlicher Garten¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/137>, abgerufen am 20.02.2025.