Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Wettkampf. leute wie Kauffahrer waren. Zur Sicherung ihrer Handels¬verbindungen gründen sie ihre überseeischen Factoreien, diese erwachsen zu blühenden Tochterstädten, welche an den Ufern des Don wie an Rhone und Ebro die Pflanzschulen helleni¬ scher Sitte wurden. Milet war die Königin der Meere, ein griechisches Tyrus, Aber in diesem Gedeihen lag der Keim der Entartung. Die Armuth war die Gespielin hellenischer Größe. Auf Nun wurde der Wettkampf, in welchem sich die Geschichte Der Wettkampf. leute wie Kauffahrer waren. Zur Sicherung ihrer Handels¬verbindungen gründen ſie ihre überſeeiſchen Factoreien, dieſe erwachſen zu blühenden Tochterſtädten, welche an den Ufern des Don wie an Rhone und Ebro die Pflanzſchulen helleni¬ ſcher Sitte wurden. Milet war die Königin der Meere, ein griechiſches Tyrus, Aber in dieſem Gedeihen lag der Keim der Entartung. Die Armuth war die Geſpielin helleniſcher Größe. Auf Nun wurde der Wettkampf, in welchem ſich die Geſchichte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0152" n="136"/><fw place="top" type="header">Der Wettkampf.<lb/></fw> leute wie Kauffahrer waren. Zur Sicherung ihrer Handels¬<lb/> verbindungen gründen ſie ihre überſeeiſchen Factoreien, dieſe<lb/> erwachſen zu blühenden Tochterſtädten, welche an den Ufern<lb/> des Don wie an Rhone und Ebro die Pflanzſchulen helleni¬<lb/> ſcher Sitte wurden.</p><lb/> <p>Milet war die Königin der Meere, ein griechiſches Tyrus,<lb/> der Markt der Welt. Athen und Sparta waren Winkelſtädte<lb/> gegen Milet — ja das ganze Griechenland, das wir das<lb/> eigentliche zu nennen pflegen, war an Wohlſtand, Glanz und<lb/> Weltbildung von den weſtlichen und öſtlichen Colonien weit<lb/> überflügelt.</p><lb/> <p>Aber in dieſem Gedeihen lag der Keim der Entartung.<lb/> Und worin zeigte ſich dieſe? In nichts Anderem als daß die<lb/> üppigen Städte dem Principe des helleniſchen Lebens untreu<lb/> wurden; der Wetteifer erſchlaffte, die Spannkraft erlahmte in<lb/> trägem Wohlbehagen des Genuſſes. Darum erblich der Glanz<lb/> des ſchönen Ioniens, ja des ganzen Stammes Geſchichte hätte<lb/> ſich raſch zu Ende geneigt, wenn nicht Athen ſie aufgenom¬<lb/> men hätte.</p><lb/> <p>Die Armuth war die Geſpielin helleniſcher Größe. Auf<lb/> Attika's dürftigerem Felsboden hatte ioniſche Volkskraft ſich<lb/> geſund erhalten in der Abwechſelung von Arbeit und Genuß,<lb/> in der glücklichen Verbindung von Freiheit und Zucht, von<lb/> Tapferkeit und Kunſtpflege.</p><lb/> <p>Nun wurde der Wettkampf, in welchem ſich die Geſchichte<lb/> der Hellenen vollzieht, mehr und mehr ein Wettkampf zweier<lb/> Staaten. In Sparta war doriſche Stammesart am kräftigſten<lb/> ausgeprägt; Sparta ſtand an der Spitze der Nation, als der<lb/> Verfall Ioniens anfing; es hatte einen weiten Vorſprung vor<lb/> Athen. Aber die Ferne des Ziels ſchreckt den Muthigen nicht;<lb/> ſie ſpannt nur um ſo höher ſeine Kraft. Bald ſah Sparta<lb/> ſich überflügelt und wurde nun immer ſpröder, immer abge¬<lb/> ſchloſſener und ſchwerfälliger, je freier Athen ſich entfaltete, je<lb/> freudiger es in den Schranken voraneilte. Ja als zum gro߬<lb/> artigſten Wettkampfe die Perſernoth alle Kräfte des Griechen¬<lb/> volks aufrief, da hat Athen in der Schule der ſchwerſten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [136/0152]
Der Wettkampf.
leute wie Kauffahrer waren. Zur Sicherung ihrer Handels¬
verbindungen gründen ſie ihre überſeeiſchen Factoreien, dieſe
erwachſen zu blühenden Tochterſtädten, welche an den Ufern
des Don wie an Rhone und Ebro die Pflanzſchulen helleni¬
ſcher Sitte wurden.
Milet war die Königin der Meere, ein griechiſches Tyrus,
der Markt der Welt. Athen und Sparta waren Winkelſtädte
gegen Milet — ja das ganze Griechenland, das wir das
eigentliche zu nennen pflegen, war an Wohlſtand, Glanz und
Weltbildung von den weſtlichen und öſtlichen Colonien weit
überflügelt.
Aber in dieſem Gedeihen lag der Keim der Entartung.
Und worin zeigte ſich dieſe? In nichts Anderem als daß die
üppigen Städte dem Principe des helleniſchen Lebens untreu
wurden; der Wetteifer erſchlaffte, die Spannkraft erlahmte in
trägem Wohlbehagen des Genuſſes. Darum erblich der Glanz
des ſchönen Ioniens, ja des ganzen Stammes Geſchichte hätte
ſich raſch zu Ende geneigt, wenn nicht Athen ſie aufgenom¬
men hätte.
Die Armuth war die Geſpielin helleniſcher Größe. Auf
Attika's dürftigerem Felsboden hatte ioniſche Volkskraft ſich
geſund erhalten in der Abwechſelung von Arbeit und Genuß,
in der glücklichen Verbindung von Freiheit und Zucht, von
Tapferkeit und Kunſtpflege.
Nun wurde der Wettkampf, in welchem ſich die Geſchichte
der Hellenen vollzieht, mehr und mehr ein Wettkampf zweier
Staaten. In Sparta war doriſche Stammesart am kräftigſten
ausgeprägt; Sparta ſtand an der Spitze der Nation, als der
Verfall Ioniens anfing; es hatte einen weiten Vorſprung vor
Athen. Aber die Ferne des Ziels ſchreckt den Muthigen nicht;
ſie ſpannt nur um ſo höher ſeine Kraft. Bald ſah Sparta
ſich überflügelt und wurde nun immer ſpröder, immer abge¬
ſchloſſener und ſchwerfälliger, je freier Athen ſich entfaltete, je
freudiger es in den Schranken voraneilte. Ja als zum gro߬
artigſten Wettkampfe die Perſernoth alle Kräfte des Griechen¬
volks aufrief, da hat Athen in der Schule der ſchwerſten
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