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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Arbeit und Muße.
wollen etwas Besonderes sein, eine bevorzugte Kaste, welche
auf die Ungelehrten hinabsieht und ihren eigenen Maßstab
für die menschlichen Güter und Ziele hat, oder wir bleiben
ein lebendiges Glied am Ganzen, dem wir nur an unserm
Theil zu dienen suchen, und erkennen rückhaltlos an, daß das
durch keine Wissenschaft vermittelte sittliche Leben, daß die
Kräfte des Glaubens und der Liebe, auf welchen Kirche,
Staat und Haus beruhen, immer die höchsten Güter des
Volks bleiben, welche auch wir um keine wissenschaftliche Er¬
werbung preisgeben möchten.

Schwer und verantwortlich ist wohl vor allen anderen
der Beruf derer, denen Arbeit und Muße frei anheimgegeben
sind. Erleichtert wird uns aber die Aufgabe dadurch, daß ja
die Forschung nicht unser einziges Tagewerk ist, daß wir
nicht bloß immer mehr zu lernen, sondern auch zu lehren be¬
rufen sind, daß die Jugend des Vaterlandes uns anvertraut
ist. Ohne stetiges Fortschreiten im Erkennen wird das Lehren
zu einer handwerksartigen Thätigkeit. Vor der Einseitigkeit
des Gelehrtenlebens und der nach der Schwäche des mensch¬
lichen Wesens ihr leicht anhaftenden Selbstgenügsamkeit be¬
wahrt uns aber der Lehrberuf, den wir ohne Selbstverläug¬
nung, ohne Liebe, ohne freudige Hingabe an die Jugend und
an das Vaterland, für das sie heranwächst, nicht erfüllen können.
So kommt auch in unser Leben der für ein gesundes Menschen¬
leben unentbehrliche Gegensatz von Arbeitspflicht und freier
Muße, und es gilt auch uns der köstliche Wahlspruch echter
Lebensweisheit:

Tages Arbeit, Abends Gäste,
Saure Wochen, frohe Feste!

Und bei welchem Feste tritt uns dies lebendiger in die
Seele als am heutigen Tage, da sich die Pforten unserer
Aula wieder für die Feier geöffnet haben, welche uns in jedem
Jahre mit voller Begeisterung und tiefem Dankgefühl vereinigt!

Wann fühlen wir lebendiger als heute, daß wir nichts
für uns sind, daß wir keinen abgeschlossenen Stand bilden
und daß wir durch unseren besonderen Beruf dem nicht ent¬

Curtius, Alterthum. 11

Arbeit und Muße.
wollen etwas Beſonderes ſein, eine bevorzugte Kaſte, welche
auf die Ungelehrten hinabſieht und ihren eigenen Maßſtab
für die menſchlichen Güter und Ziele hat, oder wir bleiben
ein lebendiges Glied am Ganzen, dem wir nur an unſerm
Theil zu dienen ſuchen, und erkennen rückhaltlos an, daß das
durch keine Wiſſenſchaft vermittelte ſittliche Leben, daß die
Kräfte des Glaubens und der Liebe, auf welchen Kirche,
Staat und Haus beruhen, immer die höchſten Güter des
Volks bleiben, welche auch wir um keine wiſſenſchaftliche Er¬
werbung preisgeben möchten.

Schwer und verantwortlich iſt wohl vor allen anderen
der Beruf derer, denen Arbeit und Muße frei anheimgegeben
ſind. Erleichtert wird uns aber die Aufgabe dadurch, daß ja
die Forſchung nicht unſer einziges Tagewerk iſt, daß wir
nicht bloß immer mehr zu lernen, ſondern auch zu lehren be¬
rufen ſind, daß die Jugend des Vaterlandes uns anvertraut
iſt. Ohne ſtetiges Fortſchreiten im Erkennen wird das Lehren
zu einer handwerksartigen Thätigkeit. Vor der Einſeitigkeit
des Gelehrtenlebens und der nach der Schwäche des menſch¬
lichen Weſens ihr leicht anhaftenden Selbſtgenügſamkeit be¬
wahrt uns aber der Lehrberuf, den wir ohne Selbſtverläug¬
nung, ohne Liebe, ohne freudige Hingabe an die Jugend und
an das Vaterland, für das ſie heranwächſt, nicht erfüllen können.
So kommt auch in unſer Leben der für ein geſundes Menſchen¬
leben unentbehrliche Gegenſatz von Arbeitspflicht und freier
Muße, und es gilt auch uns der köſtliche Wahlſpruch echter
Lebensweisheit:

Tages Arbeit, Abends Gäſte,
Saure Wochen, frohe Feſte!

Und bei welchem Feſte tritt uns dies lebendiger in die
Seele als am heutigen Tage, da ſich die Pforten unſerer
Aula wieder für die Feier geöffnet haben, welche uns in jedem
Jahre mit voller Begeiſterung und tiefem Dankgefühl vereinigt!

Wann fühlen wir lebendiger als heute, daß wir nichts
für uns ſind, daß wir keinen abgeſchloſſenen Stand bilden
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[161/0177] Arbeit und Muße. wollen etwas Beſonderes ſein, eine bevorzugte Kaſte, welche auf die Ungelehrten hinabſieht und ihren eigenen Maßſtab für die menſchlichen Güter und Ziele hat, oder wir bleiben ein lebendiges Glied am Ganzen, dem wir nur an unſerm Theil zu dienen ſuchen, und erkennen rückhaltlos an, daß das durch keine Wiſſenſchaft vermittelte ſittliche Leben, daß die Kräfte des Glaubens und der Liebe, auf welchen Kirche, Staat und Haus beruhen, immer die höchſten Güter des Volks bleiben, welche auch wir um keine wiſſenſchaftliche Er¬ werbung preisgeben möchten. Schwer und verantwortlich iſt wohl vor allen anderen der Beruf derer, denen Arbeit und Muße frei anheimgegeben ſind. Erleichtert wird uns aber die Aufgabe dadurch, daß ja die Forſchung nicht unſer einziges Tagewerk iſt, daß wir nicht bloß immer mehr zu lernen, ſondern auch zu lehren be¬ rufen ſind, daß die Jugend des Vaterlandes uns anvertraut iſt. Ohne ſtetiges Fortſchreiten im Erkennen wird das Lehren zu einer handwerksartigen Thätigkeit. Vor der Einſeitigkeit des Gelehrtenlebens und der nach der Schwäche des menſch¬ lichen Weſens ihr leicht anhaftenden Selbſtgenügſamkeit be¬ wahrt uns aber der Lehrberuf, den wir ohne Selbſtverläug¬ nung, ohne Liebe, ohne freudige Hingabe an die Jugend und an das Vaterland, für das ſie heranwächſt, nicht erfüllen können. So kommt auch in unſer Leben der für ein geſundes Menſchen¬ leben unentbehrliche Gegenſatz von Arbeitspflicht und freier Muße, und es gilt auch uns der köſtliche Wahlſpruch echter Lebensweisheit: Tages Arbeit, Abends Gäſte, Saure Wochen, frohe Feſte! Und bei welchem Feſte tritt uns dies lebendiger in die Seele als am heutigen Tage, da ſich die Pforten unſerer Aula wieder für die Feier geöffnet haben, welche uns in jedem Jahre mit voller Begeiſterung und tiefem Dankgefühl vereinigt! Wann fühlen wir lebendiger als heute, daß wir nichts für uns ſind, daß wir keinen abgeſchloſſenen Stand bilden und daß wir durch unſeren beſonderen Beruf dem nicht ent¬ Curtius, Alterthum. 11

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/177>, abgerufen am 17.05.2024.