Stande selbst, der die Muße zum Geschäfte und das Wissen zu einer Erwerbsquelle gemacht hatte. Die talentvollsten So¬ phisten haben nur vorübergehenden Glanz gewonnen und wir kennen sie nur aus dem, was die Vertreter der volksthüm¬ lichen Weisheit gegen sie gesagt haben.
Während aber die Gründer der Sophistik, die Zeitgenossen des Perikles, an der gewaltigen Bewegung der Zeit ihren vollen Antheil hatten und zum Theil eine schöpferische Geistes¬ kraft zeigten, wurden die Nachzügler immer kümmerlicher und ärmer. Die aus der Isolirung hervorgehende Einseitigkeit wurde immer größer; die Wissenschaft ohne lebendigen Inhalt artete in einen trocknen Formalismus aus, in eine pedantische Schulweisheit, welche die Menschen lächerlich machte, die darin ihre Lebensaufgabe suchten und sie mit anspruchsvollem Dünkel vortrugen. Daher der üble Klang des Worts "Scholastikos," d. h. des ganz der Muße Lebenden, der ältesten Benennung eines Gelehrten von Fach, mit welcher man schon im Anfang der Kaiserzeit einen verknöcherten Pedanten bezeichnete, und wir erinnern uns Alle der köstlichen Scholastikosgeschichten, welche uns auf der Schulbank die Elemente des Griechischen versüßten.
Die Lehre, welche aus diesen Betrachtungen folgt, ist eine wohl zu beherzigende, die uns nicht immer klar vor Augen steht. Sie lautet, daß die wahre Wissenschaft an keinen Ge¬ lehrtenstand gebunden ist, daß volle Gelehrtenmuße eine ge¬ fährliche Mitgift ist, und unser Lebensberuf mancherlei Ent¬ artungen ausgesetzt ist, wie das Beispiel der ersten Professoren, der Sophisten, und ihrer Nachfolger zeigt.
Wir werden in unserer Art zu denken und zu wirken immer zwischen den Sophisten und Philosophen der Hellenen unsern Standpunkt zu nehmen haben. Entweder ist das Er¬ kennen unser alleiniges Ziel oder ein Mittel zum Zweck, in¬ dem das Streben nach Erkenntniß von allerlei Nebenrücksichten auf äußere Vortheile allmählich so überwuchert wird, daß unter diesen Schlinggewächsen der edle Baum abstirbt. Ent¬ weder lösen wir uns vom Volke, dem wir angehören, und
Arbeit und Muße.
Stande ſelbſt, der die Muße zum Geſchäfte und das Wiſſen zu einer Erwerbsquelle gemacht hatte. Die talentvollſten So¬ phiſten haben nur vorübergehenden Glanz gewonnen und wir kennen ſie nur aus dem, was die Vertreter der volksthüm¬ lichen Weisheit gegen ſie geſagt haben.
Während aber die Gründer der Sophiſtik, die Zeitgenoſſen des Perikles, an der gewaltigen Bewegung der Zeit ihren vollen Antheil hatten und zum Theil eine ſchöpferiſche Geiſtes¬ kraft zeigten, wurden die Nachzügler immer kümmerlicher und ärmer. Die aus der Iſolirung hervorgehende Einſeitigkeit wurde immer größer; die Wiſſenſchaft ohne lebendigen Inhalt artete in einen trocknen Formalismus aus, in eine pedantiſche Schulweisheit, welche die Menſchen lächerlich machte, die darin ihre Lebensaufgabe ſuchten und ſie mit anſpruchsvollem Dünkel vortrugen. Daher der üble Klang des Worts »Scholaſtikos,« d. h. des ganz der Muße Lebenden, der älteſten Benennung eines Gelehrten von Fach, mit welcher man ſchon im Anfang der Kaiſerzeit einen verknöcherten Pedanten bezeichnete, und wir erinnern uns Alle der köſtlichen Scholaſtikosgeſchichten, welche uns auf der Schulbank die Elemente des Griechiſchen verſüßten.
Die Lehre, welche aus dieſen Betrachtungen folgt, iſt eine wohl zu beherzigende, die uns nicht immer klar vor Augen ſteht. Sie lautet, daß die wahre Wiſſenſchaft an keinen Ge¬ lehrtenſtand gebunden iſt, daß volle Gelehrtenmuße eine ge¬ fährliche Mitgift iſt, und unſer Lebensberuf mancherlei Ent¬ artungen ausgeſetzt iſt, wie das Beiſpiel der erſten Profeſſoren, der Sophiſten, und ihrer Nachfolger zeigt.
Wir werden in unſerer Art zu denken und zu wirken immer zwiſchen den Sophiſten und Philoſophen der Hellenen unſern Standpunkt zu nehmen haben. Entweder iſt das Er¬ kennen unſer alleiniges Ziel oder ein Mittel zum Zweck, in¬ dem das Streben nach Erkenntniß von allerlei Nebenrückſichten auf äußere Vortheile allmählich ſo überwuchert wird, daß unter dieſen Schlinggewächſen der edle Baum abſtirbt. Ent¬ weder löſen wir uns vom Volke, dem wir angehören, und
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Arbeit und Muße.
Stande ſelbſt, der die Muße zum Geſchäfte und das Wiſſen
zu einer Erwerbsquelle gemacht hatte. Die talentvollſten So¬
phiſten haben nur vorübergehenden Glanz gewonnen und wir
kennen ſie nur aus dem, was die Vertreter der volksthüm¬
lichen Weisheit gegen ſie geſagt haben.
Während aber die Gründer der Sophiſtik, die Zeitgenoſſen
des Perikles, an der gewaltigen Bewegung der Zeit ihren
vollen Antheil hatten und zum Theil eine ſchöpferiſche Geiſtes¬
kraft zeigten, wurden die Nachzügler immer kümmerlicher und
ärmer. Die aus der Iſolirung hervorgehende Einſeitigkeit
wurde immer größer; die Wiſſenſchaft ohne lebendigen Inhalt
artete in einen trocknen Formalismus aus, in eine pedantiſche
Schulweisheit, welche die Menſchen lächerlich machte, die darin
ihre Lebensaufgabe ſuchten und ſie mit anſpruchsvollem Dünkel
vortrugen. Daher der üble Klang des Worts »Scholaſtikos,«
d. h. des ganz der Muße Lebenden, der älteſten Benennung
eines Gelehrten von Fach, mit welcher man ſchon im Anfang
der Kaiſerzeit einen verknöcherten Pedanten bezeichnete, und
wir erinnern uns Alle der köſtlichen Scholaſtikosgeſchichten,
welche uns auf der Schulbank die Elemente des Griechiſchen
verſüßten.
Die Lehre, welche aus dieſen Betrachtungen folgt, iſt eine
wohl zu beherzigende, die uns nicht immer klar vor Augen
ſteht. Sie lautet, daß die wahre Wiſſenſchaft an keinen Ge¬
lehrtenſtand gebunden iſt, daß volle Gelehrtenmuße eine ge¬
fährliche Mitgift iſt, und unſer Lebensberuf mancherlei Ent¬
artungen ausgeſetzt iſt, wie das Beiſpiel der erſten Profeſſoren,
der Sophiſten, und ihrer Nachfolger zeigt.
Wir werden in unſerer Art zu denken und zu wirken
immer zwiſchen den Sophiſten und Philoſophen der Hellenen
unſern Standpunkt zu nehmen haben. Entweder iſt das Er¬
kennen unſer alleiniges Ziel oder ein Mittel zum Zweck, in¬
dem das Streben nach Erkenntniß von allerlei Nebenrückſichten
auf äußere Vortheile allmählich ſo überwuchert wird, daß
unter dieſen Schlinggewächſen der edle Baum abſtirbt. Ent¬
weder löſen wir uns vom Volke, dem wir angehören, und
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/176>, abgerufen am 27.07.2024.
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