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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Freundschaft im Alterthume.
Oase, auf welcher unser Blick mit Freude ruht, wo sich das
Menschenherz in seinen Tiefen aufschließt. Die Freundesliebe
ist der mächtigste aller Triebe, er durchbricht alle anderen
Rücksichten, er bricht auch den Bann des Hades.

Bei Nacht weilt der Schatten des Patroklos am Lager
des Genossen und fliegt im Kampfe seinem Wagen voran.
Achill gelobt auch im Reiche dumpfer Vergeßlichkeit dem Freunde
Treue zu halten, und zum Zeichen ungestörter Vereinigung
werden ihre Aschenreste in einem Gefäße bestattet. Dies ist
kein erdichtetes Zeichen schwärmerischer Zärtlichkeit, sondern
auch in der geschichtlichen Zeit sehen wir mehrfach, welchen
Werth Freunde darauf legten, neben einander im Grabe zu
ruhen. So kamen Pythagoreer nach Theben, um die Gebeine
des Lysis heim zu holen, weil sie glaubten, er müsse, um
wohl zu ruhen, unter seinen Genossen bestattet sein, und die
Gräber der Freunde Philolaos und Diokles waren so ange¬
legt, daß man von einem zum andern hinübersehen konnte.

Darum stellte Polygnotos auf seinem delphischen Ge¬
mälde die Freunde dar, wie sie zu traulichen Gruppen in der
Unterwelt vereinigt waren. Denn auch die bildende Kunst hat
die Freundschaft verherrlicht, nicht in frostiger Allegorie, son¬
dern in lebenswarmen Gestalten. So finden wir auf einem
anmuthigen Bilde Achilleus sorgsam bemüht, seinen verwun¬
deten Gefährten zu verbinden; so sehen wir auf der Fico¬
ronischen Cista, welche in leicht geritzten Umrissen ein bewun¬
dernswürdiges Bild des hellenischen Lebens vor uns aufrollt,
unter den Argonauten zwei Jünglinge dargestellt, deren Einer
den Arm um den Nacken des Andern legt, das lieblichste Bild
zärtlicher Zuneigung. So stehen in stattlicher Marmorgruppe
Orest und Pylades bei einander, zu gemeinsamer That sich
rüstend, und in ganz entsprechender Gruppe hat die Kunst
auch Orestes und Elektra dargestellt, die Geschwister als
Freunde, wie schon Homer den Familienbanden die Freund¬
schaftsverbindungen gleichgestellt, und auch die Gattenliebe
wird auf den Denkmälern der alten Kunst wesentlich als ein
Bund der Freundschaft dargestellt.

Die Freundſchaft im Alterthume.
Oaſe, auf welcher unſer Blick mit Freude ruht, wo ſich das
Menſchenherz in ſeinen Tiefen aufſchließt. Die Freundesliebe
iſt der mächtigſte aller Triebe, er durchbricht alle anderen
Rückſichten, er bricht auch den Bann des Hades.

Bei Nacht weilt der Schatten des Patroklos am Lager
des Genoſſen und fliegt im Kampfe ſeinem Wagen voran.
Achill gelobt auch im Reiche dumpfer Vergeßlichkeit dem Freunde
Treue zu halten, und zum Zeichen ungeſtörter Vereinigung
werden ihre Aſchenreſte in einem Gefäße beſtattet. Dies iſt
kein erdichtetes Zeichen ſchwärmeriſcher Zärtlichkeit, ſondern
auch in der geſchichtlichen Zeit ſehen wir mehrfach, welchen
Werth Freunde darauf legten, neben einander im Grabe zu
ruhen. So kamen Pythagoreer nach Theben, um die Gebeine
des Lyſis heim zu holen, weil ſie glaubten, er müſſe, um
wohl zu ruhen, unter ſeinen Genoſſen beſtattet ſein, und die
Gräber der Freunde Philolaos und Diokles waren ſo ange¬
legt, daß man von einem zum andern hinüberſehen konnte.

Darum ſtellte Polygnotos auf ſeinem delphiſchen Ge¬
mälde die Freunde dar, wie ſie zu traulichen Gruppen in der
Unterwelt vereinigt waren. Denn auch die bildende Kunſt hat
die Freundſchaft verherrlicht, nicht in froſtiger Allegorie, ſon¬
dern in lebenswarmen Geſtalten. So finden wir auf einem
anmuthigen Bilde Achilleus ſorgſam bemüht, ſeinen verwun¬
deten Gefährten zu verbinden; ſo ſehen wir auf der Fico¬
roniſchen Ciſta, welche in leicht geritzten Umriſſen ein bewun¬
dernswürdiges Bild des helleniſchen Lebens vor uns aufrollt,
unter den Argonauten zwei Jünglinge dargeſtellt, deren Einer
den Arm um den Nacken des Andern legt, das lieblichſte Bild
zärtlicher Zuneigung. So ſtehen in ſtattlicher Marmorgruppe
Oreſt und Pylades bei einander, zu gemeinſamer That ſich
rüſtend, und in ganz entſprechender Gruppe hat die Kunſt
auch Oreſtes und Elektra dargeſtellt, die Geſchwiſter als
Freunde, wie ſchon Homer den Familienbanden die Freund¬
ſchaftsverbindungen gleichgeſtellt, und auch die Gattenliebe
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[188/0204] Die Freundſchaft im Alterthume. Oaſe, auf welcher unſer Blick mit Freude ruht, wo ſich das Menſchenherz in ſeinen Tiefen aufſchließt. Die Freundesliebe iſt der mächtigſte aller Triebe, er durchbricht alle anderen Rückſichten, er bricht auch den Bann des Hades. Bei Nacht weilt der Schatten des Patroklos am Lager des Genoſſen und fliegt im Kampfe ſeinem Wagen voran. Achill gelobt auch im Reiche dumpfer Vergeßlichkeit dem Freunde Treue zu halten, und zum Zeichen ungeſtörter Vereinigung werden ihre Aſchenreſte in einem Gefäße beſtattet. Dies iſt kein erdichtetes Zeichen ſchwärmeriſcher Zärtlichkeit, ſondern auch in der geſchichtlichen Zeit ſehen wir mehrfach, welchen Werth Freunde darauf legten, neben einander im Grabe zu ruhen. So kamen Pythagoreer nach Theben, um die Gebeine des Lyſis heim zu holen, weil ſie glaubten, er müſſe, um wohl zu ruhen, unter ſeinen Genoſſen beſtattet ſein, und die Gräber der Freunde Philolaos und Diokles waren ſo ange¬ legt, daß man von einem zum andern hinüberſehen konnte. Darum ſtellte Polygnotos auf ſeinem delphiſchen Ge¬ mälde die Freunde dar, wie ſie zu traulichen Gruppen in der Unterwelt vereinigt waren. Denn auch die bildende Kunſt hat die Freundſchaft verherrlicht, nicht in froſtiger Allegorie, ſon¬ dern in lebenswarmen Geſtalten. So finden wir auf einem anmuthigen Bilde Achilleus ſorgſam bemüht, ſeinen verwun¬ deten Gefährten zu verbinden; ſo ſehen wir auf der Fico¬ roniſchen Ciſta, welche in leicht geritzten Umriſſen ein bewun¬ dernswürdiges Bild des helleniſchen Lebens vor uns aufrollt, unter den Argonauten zwei Jünglinge dargeſtellt, deren Einer den Arm um den Nacken des Andern legt, das lieblichſte Bild zärtlicher Zuneigung. So ſtehen in ſtattlicher Marmorgruppe Oreſt und Pylades bei einander, zu gemeinſamer That ſich rüſtend, und in ganz entſprechender Gruppe hat die Kunſt auch Oreſtes und Elektra dargeſtellt, die Geſchwiſter als Freunde, wie ſchon Homer den Familienbanden die Freund¬ ſchaftsverbindungen gleichgeſtellt, und auch die Gattenliebe wird auf den Denkmälern der alten Kunſt weſentlich als ein Bund der Freundſchaft dargeſtellt.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/204>, abgerufen am 23.11.2024.