Es lag im Volkscharakter der Griechen tief begründet, daß die Freundschaft eine so hervorragende Bedeutung hatte und daher auch für andere Liebesverhältnisse den Typus her¬ gab. Sie entsprach unter allen engeren Verbindungen am meisten dem angestammten Sinne für Gleichheit, welcher sich beeinträchtigt und selbst verletzt fühlte, wenn man das em¬ pfangene Gute nicht in vollem Maße zurückgeben konnte. Man wollte dem Freunde so wenig im Wohlthun, wie dem Feinde im Schadenthun nachstehen. Dies hängt wieder mit der Lust des Wetteifers zusammen, welche die Spannkraft des Hellenenvolks war, mit dem geselligen Triebe desselben und der Freude am Austausche der Gedanken wie an dem gemeinsamen Bestehen von Gefahren, wenn es galt, unberech¬ tigte Zumuthungen und Angriffe zurückzuweisen. Ja, die Freiheitsliebe war die rechte Luft, in welcher die Freundschaft Gedeihen fand, und so sehen wir, wie alle die Eigenthümlich¬ keiten, welche den Hellenen vom Barbaren unterscheiden, dazu angethan waren, der Freundschaft eine besondere Geltung zu sichern.
Sie war ein Grundpfeiler des Volkslebens, ein heiliger Erbbesitz, welcher wie alle volksthümlichen Stiftungen seine heroischen Vorbilder und Stifter hatte. Sie war nicht bloß ein Genuß, ein lieblicher Schmuck des Lebens, eines der Glücks¬ güter, das man dankbar hinnimmt, wenn man einmal ein Sonntagskind ist, sondern ein unentbehrlicher Bestandtheil, das tägliche Brot des sittlichen Lebens, das wesentliche Gegen¬ mittel gegen alle Anwandlungen von Engherzigkeit und Selbst¬ sucht, ein Sporn der Tugend -- denn nur durch sie kann man Freunde haben und nur gute Menschen können Freundschaft halten.
So ersetzte die Freundschaft das, was der Religion der Alten an ethischer Kraft abging; sie wurde selbst eine Art Religion, denn göttlicher Führung fühlte man sich hier am meisten bedürftig. Gott schafft die Freunde für einander, und er muß sie zusammenbringen. Die Freundschaft ist das Band der Edelsten im Volke, und die Hellenen liebten es so sehr,
Die Freundſchaft im Alterthume.
Es lag im Volkscharakter der Griechen tief begründet, daß die Freundſchaft eine ſo hervorragende Bedeutung hatte und daher auch für andere Liebesverhältniſſe den Typus her¬ gab. Sie entſprach unter allen engeren Verbindungen am meiſten dem angeſtammten Sinne für Gleichheit, welcher ſich beeinträchtigt und ſelbſt verletzt fühlte, wenn man das em¬ pfangene Gute nicht in vollem Maße zurückgeben konnte. Man wollte dem Freunde ſo wenig im Wohlthun, wie dem Feinde im Schadenthun nachſtehen. Dies hängt wieder mit der Luſt des Wetteifers zuſammen, welche die Spannkraft des Hellenenvolks war, mit dem geſelligen Triebe deſſelben und der Freude am Austauſche der Gedanken wie an dem gemeinſamen Beſtehen von Gefahren, wenn es galt, unberech¬ tigte Zumuthungen und Angriffe zurückzuweiſen. Ja, die Freiheitsliebe war die rechte Luft, in welcher die Freundſchaft Gedeihen fand, und ſo ſehen wir, wie alle die Eigenthümlich¬ keiten, welche den Hellenen vom Barbaren unterſcheiden, dazu angethan waren, der Freundſchaft eine beſondere Geltung zu ſichern.
Sie war ein Grundpfeiler des Volkslebens, ein heiliger Erbbeſitz, welcher wie alle volksthümlichen Stiftungen ſeine heroiſchen Vorbilder und Stifter hatte. Sie war nicht bloß ein Genuß, ein lieblicher Schmuck des Lebens, eines der Glücks¬ güter, das man dankbar hinnimmt, wenn man einmal ein Sonntagskind iſt, ſondern ein unentbehrlicher Beſtandtheil, das tägliche Brot des ſittlichen Lebens, das weſentliche Gegen¬ mittel gegen alle Anwandlungen von Engherzigkeit und Selbſt¬ ſucht, ein Sporn der Tugend — denn nur durch ſie kann man Freunde haben und nur gute Menſchen können Freundſchaft halten.
So erſetzte die Freundſchaft das, was der Religion der Alten an ethiſcher Kraft abging; ſie wurde ſelbſt eine Art Religion, denn göttlicher Führung fühlte man ſich hier am meiſten bedürftig. Gott ſchafft die Freunde für einander, und er muß ſie zuſammenbringen. Die Freundſchaft iſt das Band der Edelſten im Volke, und die Hellenen liebten es ſo ſehr,
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Die Freundſchaft im Alterthume.
Es lag im Volkscharakter der Griechen tief begründet,
daß die Freundſchaft eine ſo hervorragende Bedeutung hatte
und daher auch für andere Liebesverhältniſſe den Typus her¬
gab. Sie entſprach unter allen engeren Verbindungen am
meiſten dem angeſtammten Sinne für Gleichheit, welcher ſich
beeinträchtigt und ſelbſt verletzt fühlte, wenn man das em¬
pfangene Gute nicht in vollem Maße zurückgeben konnte.
Man wollte dem Freunde ſo wenig im Wohlthun, wie dem
Feinde im Schadenthun nachſtehen. Dies hängt wieder mit
der Luſt des Wetteifers zuſammen, welche die Spannkraft
des Hellenenvolks war, mit dem geſelligen Triebe deſſelben
und der Freude am Austauſche der Gedanken wie an dem
gemeinſamen Beſtehen von Gefahren, wenn es galt, unberech¬
tigte Zumuthungen und Angriffe zurückzuweiſen. Ja, die
Freiheitsliebe war die rechte Luft, in welcher die Freundſchaft
Gedeihen fand, und ſo ſehen wir, wie alle die Eigenthümlich¬
keiten, welche den Hellenen vom Barbaren unterſcheiden, dazu
angethan waren, der Freundſchaft eine beſondere Geltung zu
ſichern.
Sie war ein Grundpfeiler des Volkslebens, ein heiliger
Erbbeſitz, welcher wie alle volksthümlichen Stiftungen ſeine
heroiſchen Vorbilder und Stifter hatte. Sie war nicht bloß
ein Genuß, ein lieblicher Schmuck des Lebens, eines der Glücks¬
güter, das man dankbar hinnimmt, wenn man einmal ein
Sonntagskind iſt, ſondern ein unentbehrlicher Beſtandtheil,
das tägliche Brot des ſittlichen Lebens, das weſentliche Gegen¬
mittel gegen alle Anwandlungen von Engherzigkeit und Selbſt¬
ſucht, ein Sporn der Tugend — denn nur durch ſie kann man
Freunde haben und nur gute Menſchen können Freundſchaft
halten.
So erſetzte die Freundſchaft das, was der Religion der
Alten an ethiſcher Kraft abging; ſie wurde ſelbſt eine Art
Religion, denn göttlicher Führung fühlte man ſich hier am
meiſten bedürftig. Gott ſchafft die Freunde für einander, und
er muß ſie zuſammenbringen. Die Freundſchaft iſt das Band
der Edelſten im Volke, und die Hellenen liebten es ſo ſehr,
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/205>, abgerufen am 23.11.2024.
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