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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Freundschaft im Alterthume.
sie in der Lichtfülle verschwinden? Sie sind da, nach wie vor,
nur kräftiger, feuriger, belebender! Denn wenn dem ganzen
menschlichen Streben höhere Ziele gesetzt sind, so müssen ja
in demselben Maße alle geistigen Vereinigungen inhaltreicher
und bedeutungsvoller sein. Der Mensch kann und soll dem
Menschen mehr sein, als es je im Alterthume der Fall war.

Darum sind auch innerhalb der großen Verbrüderung
die engeren Verbindungen gewiß nicht in ihrem Rechte beein¬
trächtigt. Als Freundespaare zogen die Boten aus, welche
das Evangelium der Liebe in die Welt trugen, und als das¬
selbe zum zweiten Male an das Licht trat, waren es wiederum
Freunde und Freundeskreise, welche nur in ihrem Zusammen¬
sein den Muth und die Kraft fanden, eine neue Epoche des
christlichen Bewußtseins zu begründen. Solche Zeiten des
Uebergangs, welche Heldenmuth verlangen, bedürfen auch im
besonderen Maße der Freundschaft, der heroischen Freundschaft,
wie sie Schleiermacher genannt hat.

Aber keine Zeit kann sie entbehren, denn jede trägt eine
Zukunft in sich, deren Gewinn nicht ohne Kampf erworben
werden kann. Kein menschlicher Kreis kann ohne sie bestehen,
am wenigsten der Kreis deutscher Universitätsgenossen!

Ja gewiß sind unsere Universitäten vorzugsweise berufen,
die Stätten der Freundschaft in ihrer von Zeit und Volksthum
unabhängigen und ewigen Gültigkeit zu sein. Hier weht die
Luft der Freiheit, der Gemeinsamkeit, des Wetteifers, in
welcher die hellenische Freundschaft ihr Gedeihen fand. Sollen
die Alten uns beschämen in der Werthschätzung der höchsten
Menschengüter? Das sei ferne! Hier entscheidet sich ja der
Jünglinge ganzes Leben nach der Art, wie sie Freunde suchen
und finden, und der Segen, welcher auf der Arbeit der Männer
liegt, hängt davon ab, wie sie Freundschaft halten können.
Denn nur durch sie sind wir das Ganze, das wir sein sollen;
nur durch sie ist es möglich, daß die Forschungen der Einzelnen
sich gegenseitig fördern und beleben, daß unser Geist die volle
Wahrheit ergreife und die Wissenschaft aus der Fachgelehr¬
samkeit zur rechten Weisheit sich erhebe. Darum soll die

Die Freundſchaft im Alterthume.
ſie in der Lichtfülle verſchwinden? Sie ſind da, nach wie vor,
nur kräftiger, feuriger, belebender! Denn wenn dem ganzen
menſchlichen Streben höhere Ziele geſetzt ſind, ſo müſſen ja
in demſelben Maße alle geiſtigen Vereinigungen inhaltreicher
und bedeutungsvoller ſein. Der Menſch kann und ſoll dem
Menſchen mehr ſein, als es je im Alterthume der Fall war.

Darum ſind auch innerhalb der großen Verbrüderung
die engeren Verbindungen gewiß nicht in ihrem Rechte beein¬
trächtigt. Als Freundespaare zogen die Boten aus, welche
das Evangelium der Liebe in die Welt trugen, und als das¬
ſelbe zum zweiten Male an das Licht trat, waren es wiederum
Freunde und Freundeskreiſe, welche nur in ihrem Zuſammen¬
ſein den Muth und die Kraft fanden, eine neue Epoche des
chriſtlichen Bewußtſeins zu begründen. Solche Zeiten des
Uebergangs, welche Heldenmuth verlangen, bedürfen auch im
beſonderen Maße der Freundſchaft, der heroiſchen Freundſchaft,
wie ſie Schleiermacher genannt hat.

Aber keine Zeit kann ſie entbehren, denn jede trägt eine
Zukunft in ſich, deren Gewinn nicht ohne Kampf erworben
werden kann. Kein menſchlicher Kreis kann ohne ſie beſtehen,
am wenigſten der Kreis deutſcher Univerſitätsgenoſſen!

Ja gewiß ſind unſere Univerſitäten vorzugsweiſe berufen,
die Stätten der Freundſchaft in ihrer von Zeit und Volksthum
unabhängigen und ewigen Gültigkeit zu ſein. Hier weht die
Luft der Freiheit, der Gemeinſamkeit, des Wetteifers, in
welcher die helleniſche Freundſchaft ihr Gedeihen fand. Sollen
die Alten uns beſchämen in der Werthſchätzung der höchſten
Menſchengüter? Das ſei ferne! Hier entſcheidet ſich ja der
Jünglinge ganzes Leben nach der Art, wie ſie Freunde ſuchen
und finden, und der Segen, welcher auf der Arbeit der Männer
liegt, hängt davon ab, wie ſie Freundſchaft halten können.
Denn nur durch ſie ſind wir das Ganze, das wir ſein ſollen;
nur durch ſie iſt es möglich, daß die Forſchungen der Einzelnen
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[201/0217] Die Freundſchaft im Alterthume. ſie in der Lichtfülle verſchwinden? Sie ſind da, nach wie vor, nur kräftiger, feuriger, belebender! Denn wenn dem ganzen menſchlichen Streben höhere Ziele geſetzt ſind, ſo müſſen ja in demſelben Maße alle geiſtigen Vereinigungen inhaltreicher und bedeutungsvoller ſein. Der Menſch kann und ſoll dem Menſchen mehr ſein, als es je im Alterthume der Fall war. Darum ſind auch innerhalb der großen Verbrüderung die engeren Verbindungen gewiß nicht in ihrem Rechte beein¬ trächtigt. Als Freundespaare zogen die Boten aus, welche das Evangelium der Liebe in die Welt trugen, und als das¬ ſelbe zum zweiten Male an das Licht trat, waren es wiederum Freunde und Freundeskreiſe, welche nur in ihrem Zuſammen¬ ſein den Muth und die Kraft fanden, eine neue Epoche des chriſtlichen Bewußtſeins zu begründen. Solche Zeiten des Uebergangs, welche Heldenmuth verlangen, bedürfen auch im beſonderen Maße der Freundſchaft, der heroiſchen Freundſchaft, wie ſie Schleiermacher genannt hat. Aber keine Zeit kann ſie entbehren, denn jede trägt eine Zukunft in ſich, deren Gewinn nicht ohne Kampf erworben werden kann. Kein menſchlicher Kreis kann ohne ſie beſtehen, am wenigſten der Kreis deutſcher Univerſitätsgenoſſen! Ja gewiß ſind unſere Univerſitäten vorzugsweiſe berufen, die Stätten der Freundſchaft in ihrer von Zeit und Volksthum unabhängigen und ewigen Gültigkeit zu ſein. Hier weht die Luft der Freiheit, der Gemeinſamkeit, des Wetteifers, in welcher die helleniſche Freundſchaft ihr Gedeihen fand. Sollen die Alten uns beſchämen in der Werthſchätzung der höchſten Menſchengüter? Das ſei ferne! Hier entſcheidet ſich ja der Jünglinge ganzes Leben nach der Art, wie ſie Freunde ſuchen und finden, und der Segen, welcher auf der Arbeit der Männer liegt, hängt davon ab, wie ſie Freundſchaft halten können. Denn nur durch ſie ſind wir das Ganze, das wir ſein ſollen; nur durch ſie iſt es möglich, daß die Forſchungen der Einzelnen ſich gegenſeitig fördern und beleben, daß unſer Geiſt die volle Wahrheit ergreife und die Wiſſenſchaft aus der Fachgelehr¬ ſamkeit zur rechten Weisheit ſich erhebe. Darum ſoll die

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/217>, abgerufen am 23.11.2024.