Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Gastfreundschaft. unvermeidlich zurück und alle Uebel, welche man hatte ab¬wehren wollen, treten dann im Uebermaße ein, wie die ver¬ heerende Macht einer Fluth um so größer ist, je länger sich das Wasser hinter dem Deiche angestaut hat. So wurde in Sparta Geldgier und Ungleichheit des Vermögens ärger, als in irgend einem andern der griechischen Staaten, und das ab¬ geschlossene Aegypten wurde seit Psammetichos durch fremdes Volk dergestalt überschwemmt, daß die Fortführung einer na¬ tionalen Geschichte unmöglich wurde. Die normalen Verhältnisse lernen wir in Athen kennen, Hier wurde das richtige Maß des Eignen und Fremden, Die Gaſtfreundſchaft. unvermeidlich zurück und alle Uebel, welche man hatte ab¬wehren wollen, treten dann im Uebermaße ein, wie die ver¬ heerende Macht einer Fluth um ſo größer iſt, je länger ſich das Waſſer hinter dem Deiche angeſtaut hat. So wurde in Sparta Geldgier und Ungleichheit des Vermögens ärger, als in irgend einem andern der griechiſchen Staaten, und das ab¬ geſchloſſene Aegypten wurde ſeit Pſammetichos durch fremdes Volk dergeſtalt überſchwemmt, daß die Fortführung einer na¬ tionalen Geſchichte unmöglich wurde. Die normalen Verhältniſſe lernen wir in Athen kennen, Hier wurde das richtige Maß des Eignen und Fremden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0224" n="208"/><fw place="top" type="header">Die Gaſtfreundſchaft.<lb/></fw> unvermeidlich zurück und alle Uebel, welche man hatte ab¬<lb/> wehren wollen, treten dann im Uebermaße ein, wie die ver¬<lb/> heerende Macht einer Fluth um ſo größer iſt, je länger ſich<lb/> das Waſſer hinter dem Deiche angeſtaut hat. So wurde in<lb/> Sparta Geldgier und Ungleichheit des Vermögens ärger, als<lb/> in irgend einem andern der griechiſchen Staaten, und das ab¬<lb/> geſchloſſene Aegypten wurde ſeit Pſammetichos durch fremdes<lb/> Volk dergeſtalt überſchwemmt, daß die Fortführung einer na¬<lb/> tionalen Geſchichte unmöglich wurde.</p><lb/> <p>Die normalen Verhältniſſe lernen wir in Athen kennen,<lb/> deſſen Glück darin beſtand, daß es in ſtiller Zurückgezogenheit<lb/> ſich ordnete und dann zu rechter Zeit ſeine Thore öffnete, um<lb/> die Geſchlechter aufzunehmen, welche durch den Sturz der<lb/> homeriſchen Dynaſtien und die damit zuſammenhängende Um¬<lb/> wälzung des helleniſchen Continents heimathlos geworden<lb/> waren. Aus dem Reiche des gereniſchen Neſtor kamen Männer<lb/> herüber, welche in den Künſten des Kriegs und Friedens wohl<lb/> erfahren waren; reiche Bildung ſtrömte in die attiſche Halb¬<lb/> inſel ein, und es ſammelte ſich neben dem eingeborenen Land¬<lb/> adel eine Gruppe jüngerer Geſchlechter, welche nun vorzugs¬<lb/> weiſe die Träger der Bewegung wurden und derjenigen Ideen,<lb/> die den Inhalt der attiſchen Geſchichte bilden; Kodros, Solon,<lb/> Peiſiſtratos, Perikles gehören dem zugewanderten Adel an.</p><lb/> <p>Hier wurde das richtige Maß des Eignen und Fremden,<lb/> das richtige Gleichgewicht zwiſchen dem Beſondern und Ge¬<lb/> meinſamen gefunden; die Schroffheit individueller Ausbildung<lb/> milderte ſich bei Zeiten, ohne daß das Charakteriſtiſche ver¬<lb/> wiſcht wurde. Hier iſt die Gaſtfreundſchaft das weſentlichſte<lb/> Erziehungsmittel des Staats geweſen, und bei keinem andern<lb/> Staat iſt ſie in gleicher Weiſe das bewußte Programm ſeiner<lb/> Politik geblieben. Das berühmteſte Denkmal der Stadt war<lb/> der Altar des Mitleids, auf deſſen Stufen kein Fremdling<lb/> vergebens den Bittzweig niedergelegt hatte; ſein höchſter Ruhm,<lb/> daß es mit Gut und Blut für die Herakliden eingetreten war,<lb/> welche ſich in ſeinen Schutz begeben hatten. Unter den Pi¬<lb/> ſiſtratiden trat Athen in den vollen Weltverkehr ein, und die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [208/0224]
Die Gaſtfreundſchaft.
unvermeidlich zurück und alle Uebel, welche man hatte ab¬
wehren wollen, treten dann im Uebermaße ein, wie die ver¬
heerende Macht einer Fluth um ſo größer iſt, je länger ſich
das Waſſer hinter dem Deiche angeſtaut hat. So wurde in
Sparta Geldgier und Ungleichheit des Vermögens ärger, als
in irgend einem andern der griechiſchen Staaten, und das ab¬
geſchloſſene Aegypten wurde ſeit Pſammetichos durch fremdes
Volk dergeſtalt überſchwemmt, daß die Fortführung einer na¬
tionalen Geſchichte unmöglich wurde.
Die normalen Verhältniſſe lernen wir in Athen kennen,
deſſen Glück darin beſtand, daß es in ſtiller Zurückgezogenheit
ſich ordnete und dann zu rechter Zeit ſeine Thore öffnete, um
die Geſchlechter aufzunehmen, welche durch den Sturz der
homeriſchen Dynaſtien und die damit zuſammenhängende Um¬
wälzung des helleniſchen Continents heimathlos geworden
waren. Aus dem Reiche des gereniſchen Neſtor kamen Männer
herüber, welche in den Künſten des Kriegs und Friedens wohl
erfahren waren; reiche Bildung ſtrömte in die attiſche Halb¬
inſel ein, und es ſammelte ſich neben dem eingeborenen Land¬
adel eine Gruppe jüngerer Geſchlechter, welche nun vorzugs¬
weiſe die Träger der Bewegung wurden und derjenigen Ideen,
die den Inhalt der attiſchen Geſchichte bilden; Kodros, Solon,
Peiſiſtratos, Perikles gehören dem zugewanderten Adel an.
Hier wurde das richtige Maß des Eignen und Fremden,
das richtige Gleichgewicht zwiſchen dem Beſondern und Ge¬
meinſamen gefunden; die Schroffheit individueller Ausbildung
milderte ſich bei Zeiten, ohne daß das Charakteriſtiſche ver¬
wiſcht wurde. Hier iſt die Gaſtfreundſchaft das weſentlichſte
Erziehungsmittel des Staats geweſen, und bei keinem andern
Staat iſt ſie in gleicher Weiſe das bewußte Programm ſeiner
Politik geblieben. Das berühmteſte Denkmal der Stadt war
der Altar des Mitleids, auf deſſen Stufen kein Fremdling
vergebens den Bittzweig niedergelegt hatte; ſein höchſter Ruhm,
daß es mit Gut und Blut für die Herakliden eingetreten war,
welche ſich in ſeinen Schutz begeben hatten. Unter den Pi¬
ſiſtratiden trat Athen in den vollen Weltverkehr ein, und die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |