Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
sie unter einer milderen Sonne ein neues, hoffnungsreiches
Leben beginnen. Da ist die Gegenwart Alles, und bei dem
Glanze des äußeren Lebens tritt das stillere Leben des Geistes
zurück, wie es wohl bei Jünglingen der Fall ist, welche sich
zum ersten Male einer ruhmvollen Thätigkeit mit voller Seele
hingeben und von den glücklichen Erfolgen derselben ganz in
Anspruch genommen sind. Da ist die Lust am Leben auf das
Höchste gesteigert und jede Mahnung an das Ende desselben
wird scheu vermieden. Das Jenseits ist den homerischen
Griechen eine Welt des Grauens, Hades der Verhaßteste der
Götter, und jammernd gehen die Seelen hinunter. Da heißt
es: Lieber Tagelöhner sein im Lichte der Sonne, als König
bei den Schatten, die ohne Saft und Kraft ein farbloses Da¬
sein fristen, ein ödes Einerlei!

Die homerischen Gedichte sind die Spiegelbilder der Griechen
in einer bestimmten Zeit und unter bestimmten örtlichen Ver¬
hältnissen. Wer wollte es wagen, die Vorstellungen einer
ernsteren und religiöseren Lebensauffassung darum jünger zu
nennen, weil sie sich in dem ritterlichen Epos nicht finden, in
das sie gar nicht hineinpassen? Bei Homer selbst finden wir
schon Widersprüche, welche deutlich genug verrathen, daß im
Bewußtsein des Volks auch andere Vorstellungen vorhanden
waren, die sich zurückdrängen, aber nicht beseitigen ließen.
Diese ernstere Form griechischer Lebensanschauung tritt uns
zuerst bei den Dichtern entgegen, welche in unzweifelhaftem
Zusammenhange mit dem Heiligthume zu Delphi stehen, bei
Hesiod in den ihm verwandten Sängern. Da ist nicht mehr
die fröhliche Unmittelbarkeit der homerischen Welt; da tritt
in scharfen Zügen der Schmerz über verlorenes Glück hervor,
das Gefühl des Lebensdrucks, das Bedürfniß nach Versöhnung
mit der Gottheit, um die ursprüngliche Lebensgemeinschaft mit
ihr wiederherzustellen. Die Geisterwelt tritt in den Vorder¬
grund, das jenseitige Leben wird in ein bestimmtes Verhältniß
zum diesseitigen gesetzt; das eine entspricht dem andern. Hades
ist der Strafort für die, welche sich gegen die göttlichen Ord¬
nungen aufgelehnt haben, während der Gerechten ein ewiges

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
ſie unter einer milderen Sonne ein neues, hoffnungsreiches
Leben beginnen. Da iſt die Gegenwart Alles, und bei dem
Glanze des äußeren Lebens tritt das ſtillere Leben des Geiſtes
zurück, wie es wohl bei Jünglingen der Fall iſt, welche ſich
zum erſten Male einer ruhmvollen Thätigkeit mit voller Seele
hingeben und von den glücklichen Erfolgen derſelben ganz in
Anſpruch genommen ſind. Da iſt die Luſt am Leben auf das
Höchſte geſteigert und jede Mahnung an das Ende deſſelben
wird ſcheu vermieden. Das Jenſeits iſt den homeriſchen
Griechen eine Welt des Grauens, Hades der Verhaßteſte der
Götter, und jammernd gehen die Seelen hinunter. Da heißt
es: Lieber Tagelöhner ſein im Lichte der Sonne, als König
bei den Schatten, die ohne Saft und Kraft ein farbloſes Da¬
ſein friſten, ein ödes Einerlei!

Die homeriſchen Gedichte ſind die Spiegelbilder der Griechen
in einer beſtimmten Zeit und unter beſtimmten örtlichen Ver¬
hältniſſen. Wer wollte es wagen, die Vorſtellungen einer
ernſteren und religiöſeren Lebensauffaſſung darum jünger zu
nennen, weil ſie ſich in dem ritterlichen Epos nicht finden, in
das ſie gar nicht hineinpaſſen? Bei Homer ſelbſt finden wir
ſchon Widerſprüche, welche deutlich genug verrathen, daß im
Bewußtſein des Volks auch andere Vorſtellungen vorhanden
waren, die ſich zurückdrängen, aber nicht beſeitigen ließen.
Dieſe ernſtere Form griechiſcher Lebensanſchauung tritt uns
zuerſt bei den Dichtern entgegen, welche in unzweifelhaftem
Zuſammenhange mit dem Heiligthume zu Delphi ſtehen, bei
Heſiod in den ihm verwandten Sängern. Da iſt nicht mehr
die fröhliche Unmittelbarkeit der homeriſchen Welt; da tritt
in ſcharfen Zügen der Schmerz über verlorenes Glück hervor,
das Gefühl des Lebensdrucks, das Bedürfniß nach Verſöhnung
mit der Gottheit, um die urſprüngliche Lebensgemeinſchaft mit
ihr wiederherzuſtellen. Die Geiſterwelt tritt in den Vorder¬
grund, das jenſeitige Leben wird in ein beſtimmtes Verhältniß
zum dieſſeitigen geſetzt; das eine entſpricht dem andern. Hades
iſt der Strafort für die, welche ſich gegen die göttlichen Ord¬
nungen aufgelehnt haben, während der Gerechten ein ewiges

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0238" n="222"/><fw place="top" type="header">Die Idee der Un&#x017F;terblichkeit bei den Alten.<lb/></fw> &#x017F;ie unter einer milderen Sonne ein neues, hoffnungsreiches<lb/>
Leben beginnen. Da i&#x017F;t die Gegenwart Alles, und bei dem<lb/>
Glanze des äußeren Lebens tritt das &#x017F;tillere Leben des Gei&#x017F;tes<lb/>
zurück, wie es wohl bei Jünglingen der Fall i&#x017F;t, welche &#x017F;ich<lb/>
zum er&#x017F;ten Male einer ruhmvollen Thätigkeit mit voller Seele<lb/>
hingeben und von den glücklichen Erfolgen der&#x017F;elben ganz in<lb/>
An&#x017F;pruch genommen &#x017F;ind. Da i&#x017F;t die Lu&#x017F;t am Leben auf das<lb/>
Höch&#x017F;te ge&#x017F;teigert und jede Mahnung an das Ende de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
wird &#x017F;cheu vermieden. Das Jen&#x017F;eits i&#x017F;t den homeri&#x017F;chen<lb/>
Griechen eine Welt des Grauens, Hades der Verhaßte&#x017F;te der<lb/>
Götter, und jammernd gehen die Seelen hinunter. Da heißt<lb/>
es: Lieber Tagelöhner &#x017F;ein im Lichte der Sonne, als König<lb/>
bei den Schatten, die ohne Saft und Kraft ein farblo&#x017F;es Da¬<lb/>
&#x017F;ein fri&#x017F;ten, ein ödes Einerlei!</p><lb/>
        <p>Die homeri&#x017F;chen Gedichte &#x017F;ind die Spiegelbilder der Griechen<lb/>
in einer be&#x017F;timmten Zeit und unter be&#x017F;timmten örtlichen Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;en. Wer wollte es wagen, die Vor&#x017F;tellungen einer<lb/>
ern&#x017F;teren und religiö&#x017F;eren Lebensauffa&#x017F;&#x017F;ung darum jünger zu<lb/>
nennen, weil &#x017F;ie &#x017F;ich in dem ritterlichen Epos nicht finden, in<lb/>
das &#x017F;ie gar nicht hineinpa&#x017F;&#x017F;en? Bei Homer &#x017F;elb&#x017F;t finden wir<lb/>
&#x017F;chon Wider&#x017F;prüche, welche deutlich genug verrathen, daß im<lb/>
Bewußt&#x017F;ein des Volks auch andere Vor&#x017F;tellungen vorhanden<lb/>
waren, die &#x017F;ich zurückdrängen, aber nicht be&#x017F;eitigen ließen.<lb/>
Die&#x017F;e ern&#x017F;tere Form griechi&#x017F;cher Lebensan&#x017F;chauung tritt uns<lb/>
zuer&#x017F;t bei den Dichtern entgegen, welche in unzweifelhaftem<lb/>
Zu&#x017F;ammenhange mit dem Heiligthume zu Delphi &#x017F;tehen, bei<lb/>
He&#x017F;iod in den ihm verwandten Sängern. Da i&#x017F;t nicht mehr<lb/>
die fröhliche Unmittelbarkeit der homeri&#x017F;chen Welt; da tritt<lb/>
in &#x017F;charfen Zügen der Schmerz über verlorenes Glück hervor,<lb/>
das Gefühl des Lebensdrucks, das Bedürfniß nach Ver&#x017F;öhnung<lb/>
mit der Gottheit, um die ur&#x017F;prüngliche Lebensgemein&#x017F;chaft mit<lb/>
ihr wiederherzu&#x017F;tellen. Die Gei&#x017F;terwelt tritt in den Vorder¬<lb/>
grund, das jen&#x017F;eitige Leben wird in ein be&#x017F;timmtes Verhältniß<lb/>
zum die&#x017F;&#x017F;eitigen ge&#x017F;etzt; das eine ent&#x017F;pricht dem andern. Hades<lb/>
i&#x017F;t der Strafort für die, welche &#x017F;ich gegen die göttlichen Ord¬<lb/>
nungen aufgelehnt haben, während der Gerechten ein ewiges<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0238] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. ſie unter einer milderen Sonne ein neues, hoffnungsreiches Leben beginnen. Da iſt die Gegenwart Alles, und bei dem Glanze des äußeren Lebens tritt das ſtillere Leben des Geiſtes zurück, wie es wohl bei Jünglingen der Fall iſt, welche ſich zum erſten Male einer ruhmvollen Thätigkeit mit voller Seele hingeben und von den glücklichen Erfolgen derſelben ganz in Anſpruch genommen ſind. Da iſt die Luſt am Leben auf das Höchſte geſteigert und jede Mahnung an das Ende deſſelben wird ſcheu vermieden. Das Jenſeits iſt den homeriſchen Griechen eine Welt des Grauens, Hades der Verhaßteſte der Götter, und jammernd gehen die Seelen hinunter. Da heißt es: Lieber Tagelöhner ſein im Lichte der Sonne, als König bei den Schatten, die ohne Saft und Kraft ein farbloſes Da¬ ſein friſten, ein ödes Einerlei! Die homeriſchen Gedichte ſind die Spiegelbilder der Griechen in einer beſtimmten Zeit und unter beſtimmten örtlichen Ver¬ hältniſſen. Wer wollte es wagen, die Vorſtellungen einer ernſteren und religiöſeren Lebensauffaſſung darum jünger zu nennen, weil ſie ſich in dem ritterlichen Epos nicht finden, in das ſie gar nicht hineinpaſſen? Bei Homer ſelbſt finden wir ſchon Widerſprüche, welche deutlich genug verrathen, daß im Bewußtſein des Volks auch andere Vorſtellungen vorhanden waren, die ſich zurückdrängen, aber nicht beſeitigen ließen. Dieſe ernſtere Form griechiſcher Lebensanſchauung tritt uns zuerſt bei den Dichtern entgegen, welche in unzweifelhaftem Zuſammenhange mit dem Heiligthume zu Delphi ſtehen, bei Heſiod in den ihm verwandten Sängern. Da iſt nicht mehr die fröhliche Unmittelbarkeit der homeriſchen Welt; da tritt in ſcharfen Zügen der Schmerz über verlorenes Glück hervor, das Gefühl des Lebensdrucks, das Bedürfniß nach Verſöhnung mit der Gottheit, um die urſprüngliche Lebensgemeinſchaft mit ihr wiederherzuſtellen. Die Geiſterwelt tritt in den Vorder¬ grund, das jenſeitige Leben wird in ein beſtimmtes Verhältniß zum dieſſeitigen geſetzt; das eine entſpricht dem andern. Hades iſt der Strafort für die, welche ſich gegen die göttlichen Ord¬ nungen aufgelehnt haben, während der Gerechten ein ewiges

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/238
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/238>, abgerufen am 23.11.2024.