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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten.
Glück wartet. Und diese Ansicht ist nicht etwa eine Priester¬
lehre oder eine absonderliche Theorie, sondern ein Stück
Volksbewußtsein, ein allgemeiner Glaube, von dem Aristoteles
im Eudemos bezeugt, daß er ohne Unterbrechung aus so hohem
Alterthume sich behauptet habe, daß es schlechterdings unmög¬
lich sei, die Zeit seiner Entstehung und den Urheber desselben
zu bezeichnen. Damit stimmt überein der greise Kephalos,
welcher in jenem lieblichen Gespräch bei Platon das Alter
preist, das den Menschen von der Herrschaft der Sinnlichkeit
frei mache, und namentlich das Alter dessen, welcher der Gott¬
heit und seinen Nächsten gegeben habe, was ihnen zukomme,
und deshalb mit reinem Gewissen dem Jenseits entgegen gehen
könne, wo einem Jeden nach seinen Thaten vergolten werde.
Denn das seien die alten Ueberlieferungen, die freilich von
Vielen verlacht würden, deren Wahrheit aber -- dem Einen
zum Schrecken, dem Andern zum Troste -- immer unwider¬
sprechlicher einleuchte, je näher das Ende heranrücke. Darum
wird dies ja auch als die echt hellenische Weisheit den Bar¬
baren gegenüber geltend gemacht, daß über Glück und Unglück
eines Menschenlebens sich erst am Ende desselben urtheilen
lasse. Das ganze Leben ist nur eine Vorbereitung, und am
glücklichsten ist derjenige, welcher mit einer That der Selbst¬
aufopferung aus dem Leben scheidet. So schwer also auch
der Bann des Todes auf der alten Welt liegt, so finden sich
dennoch Beispiele genug davon, daß die Alten, auch wenn sie
nicht im Feuer der Schlacht, sondern einsam und mit klarem
Bewußtsein den dunkeln Weg betreten sollen, nicht etwa nur
mit stumpfer Ergebung in das Unvermeidliche, sondern mit
hohem Muthe und freudigem Sinne in den Tod gehen, weil
sie das Leben nicht für das höchste Gut achten, die Schande
aber für ein größeres Uebel als das Sterben. So finden
wir, um der Euthanasie eines Sokrates nicht zu gedenken,
auch Männer von viel geringerem sittlichen Werthe, welche
durch einen freudigen Tod ihr ganzes Leben verklärt haben.
So trank Theramenes den Giftbecher mit großartiger Fassung;
so ging Philokles, der attische Feldherr, der von dem tücki¬

Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
Glück wartet. Und dieſe Anſicht iſt nicht etwa eine Prieſter¬
lehre oder eine abſonderliche Theorie, ſondern ein Stück
Volksbewußtſein, ein allgemeiner Glaube, von dem Ariſtoteles
im Eudemos bezeugt, daß er ohne Unterbrechung aus ſo hohem
Alterthume ſich behauptet habe, daß es ſchlechterdings unmög¬
lich ſei, die Zeit ſeiner Entſtehung und den Urheber deſſelben
zu bezeichnen. Damit ſtimmt überein der greiſe Kephalos,
welcher in jenem lieblichen Geſpräch bei Platon das Alter
preiſt, das den Menſchen von der Herrſchaft der Sinnlichkeit
frei mache, und namentlich das Alter deſſen, welcher der Gott¬
heit und ſeinen Nächſten gegeben habe, was ihnen zukomme,
und deshalb mit reinem Gewiſſen dem Jenſeits entgegen gehen
könne, wo einem Jeden nach ſeinen Thaten vergolten werde.
Denn das ſeien die alten Ueberlieferungen, die freilich von
Vielen verlacht würden, deren Wahrheit aber — dem Einen
zum Schrecken, dem Andern zum Troſte — immer unwider¬
ſprechlicher einleuchte, je näher das Ende heranrücke. Darum
wird dies ja auch als die echt helleniſche Weisheit den Bar¬
baren gegenüber geltend gemacht, daß über Glück und Unglück
eines Menſchenlebens ſich erſt am Ende deſſelben urtheilen
laſſe. Das ganze Leben iſt nur eine Vorbereitung, und am
glücklichſten iſt derjenige, welcher mit einer That der Selbſt¬
aufopferung aus dem Leben ſcheidet. So ſchwer alſo auch
der Bann des Todes auf der alten Welt liegt, ſo finden ſich
dennoch Beiſpiele genug davon, daß die Alten, auch wenn ſie
nicht im Feuer der Schlacht, ſondern einſam und mit klarem
Bewußtſein den dunkeln Weg betreten ſollen, nicht etwa nur
mit ſtumpfer Ergebung in das Unvermeidliche, ſondern mit
hohem Muthe und freudigem Sinne in den Tod gehen, weil
ſie das Leben nicht für das höchſte Gut achten, die Schande
aber für ein größeres Uebel als das Sterben. So finden
wir, um der Euthanaſie eines Sokrates nicht zu gedenken,
auch Männer von viel geringerem ſittlichen Werthe, welche
durch einen freudigen Tod ihr ganzes Leben verklärt haben.
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[223/0239] Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. Glück wartet. Und dieſe Anſicht iſt nicht etwa eine Prieſter¬ lehre oder eine abſonderliche Theorie, ſondern ein Stück Volksbewußtſein, ein allgemeiner Glaube, von dem Ariſtoteles im Eudemos bezeugt, daß er ohne Unterbrechung aus ſo hohem Alterthume ſich behauptet habe, daß es ſchlechterdings unmög¬ lich ſei, die Zeit ſeiner Entſtehung und den Urheber deſſelben zu bezeichnen. Damit ſtimmt überein der greiſe Kephalos, welcher in jenem lieblichen Geſpräch bei Platon das Alter preiſt, das den Menſchen von der Herrſchaft der Sinnlichkeit frei mache, und namentlich das Alter deſſen, welcher der Gott¬ heit und ſeinen Nächſten gegeben habe, was ihnen zukomme, und deshalb mit reinem Gewiſſen dem Jenſeits entgegen gehen könne, wo einem Jeden nach ſeinen Thaten vergolten werde. Denn das ſeien die alten Ueberlieferungen, die freilich von Vielen verlacht würden, deren Wahrheit aber — dem Einen zum Schrecken, dem Andern zum Troſte — immer unwider¬ ſprechlicher einleuchte, je näher das Ende heranrücke. Darum wird dies ja auch als die echt helleniſche Weisheit den Bar¬ baren gegenüber geltend gemacht, daß über Glück und Unglück eines Menſchenlebens ſich erſt am Ende deſſelben urtheilen laſſe. Das ganze Leben iſt nur eine Vorbereitung, und am glücklichſten iſt derjenige, welcher mit einer That der Selbſt¬ aufopferung aus dem Leben ſcheidet. So ſchwer alſo auch der Bann des Todes auf der alten Welt liegt, ſo finden ſich dennoch Beiſpiele genug davon, daß die Alten, auch wenn ſie nicht im Feuer der Schlacht, ſondern einſam und mit klarem Bewußtſein den dunkeln Weg betreten ſollen, nicht etwa nur mit ſtumpfer Ergebung in das Unvermeidliche, ſondern mit hohem Muthe und freudigem Sinne in den Tod gehen, weil ſie das Leben nicht für das höchſte Gut achten, die Schande aber für ein größeres Uebel als das Sterben. So finden wir, um der Euthanaſie eines Sokrates nicht zu gedenken, auch Männer von viel geringerem ſittlichen Werthe, welche durch einen freudigen Tod ihr ganzes Leben verklärt haben. So trank Theramenes den Giftbecher mit großartiger Faſſung; ſo ging Philokles, der attiſche Feldherr, der von dem tücki¬

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/239>, abgerufen am 23.11.2024.