Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten. schen Lysandros verurtheilt war, nachdem er gebadet undFeierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod voran, und was ist rührender als das Ende der Athener, die ihrer Stadt den Arginusensieg erfochten hatten! Sie werden das Opfer eines schnöden Rechtsbruchs, und doch ist ihr letztes Gebet, daß diese That der Stadt keinen Unsegen bringe, ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche sie für den Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden möchten. So besiegeln sie im Tode die Ueberzeugung, daß Unrecht leiden besser sei, als Unrecht thun, und ist ein solcher Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht, welche über die sichtbare Welt hinausgehen? Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern, Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. ſchen Lyſandros verurtheilt war, nachdem er gebadet undFeierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod voran, und was iſt rührender als das Ende der Athener, die ihrer Stadt den Arginuſenſieg erfochten hatten! Sie werden das Opfer eines ſchnöden Rechtsbruchs, und doch iſt ihr letztes Gebet, daß dieſe That der Stadt keinen Unſegen bringe, ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche ſie für den Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden möchten. So beſiegeln ſie im Tode die Ueberzeugung, daß Unrecht leiden beſſer ſei, als Unrecht thun, und iſt ein ſolcher Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht, welche über die ſichtbare Welt hinausgehen? Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0240" n="224"/><fw place="top" type="header">Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.<lb/></fw> ſchen Lyſandros verurtheilt war, nachdem er gebadet und<lb/> Feierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod<lb/> voran, und was iſt rührender als das Ende der Athener, die ihrer<lb/> Stadt den Arginuſenſieg erfochten hatten! Sie werden das<lb/> Opfer eines ſchnöden Rechtsbruchs, und doch iſt ihr letztes<lb/> Gebet, daß dieſe That der Stadt keinen Unſegen bringe,<lb/> ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche ſie für den<lb/> Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden<lb/> möchten. So beſiegeln ſie im Tode die Ueberzeugung, daß<lb/> Unrecht leiden beſſer ſei, als Unrecht thun, und iſt ein ſolcher<lb/> Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht,<lb/> welche über die ſichtbare Welt hinausgehen?</p><lb/> <p>Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern,<lb/> um die Bedeutung des Unſterblichkeitsglaubens für die Griechen<lb/> klar zu machen; wir wiſſen ja Alle, daß keinerlei Ueberlieferungen<lb/> und Geſetze bei ihnen ſo heilig waren, wie diejenigen, welche<lb/> die Ehre der Todten betrafen; daß keine Sünde ſchwerer war,<lb/> als die an einem Verſtorbenen begangene, ſei es aus Fahr¬<lb/> läſſigkeit oder böſer Abſicht, durch That oder läſterndes Wort.<lb/> Nach dem blutigſten Kampfe ſehen wir die feindlichen Par¬<lb/> teien zuſammentreten, um ſich in ſtillſchweigender Uebereinkunft<lb/> zur Beſtattung der Gebliebenen zu vereinigen. Liegt dieſem<lb/> Eifer für die Ehre der Todten nicht die Ueberzeugung zu<lb/> Grunde, daß die Geehrten nicht nur leben und zwar in einem<lb/> erhöhten, reineren und deshalb beſonderer Ehrerbietung wür¬<lb/> digen Zuſtande, ſondern daß ſie auch perſönlich dabei betheiligt<lb/> ſind, ob und wie die Liebeswerke für ſie ausgeführt werden,<lb/> und daß ihre Geſinnung auch für die Ueberlebenden nichts<lb/> Gleichgültiges ſei? Die Todten ſind keineswegs Abgeſchiedene,<lb/> im fernen Hades allen irdiſchen Beziehungen Entrückte; ſie<lb/> ſind vielmehr mit dem Volke im Ganzen ſo wie mit den ein¬<lb/> zelnen Häuſern im allernächſten und ununterbrochenen Zu¬<lb/> ſammenhange. Die Götter des Volks ſind die Götter ſeiner<lb/> Väter. Mit den Tempeldienſten iſt die Verehrung derer ver¬<lb/> bunden, welche die Tempel geſtiftet haben; ihre Gräber ſind<lb/> im Heiligthume, hier walten ſie als ſegnende Landeshüter,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [224/0240]
Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
ſchen Lyſandros verurtheilt war, nachdem er gebadet und
Feierkleider angelegt hatte, den Seinen freudig in den Tod
voran, und was iſt rührender als das Ende der Athener, die ihrer
Stadt den Arginuſenſieg erfochten hatten! Sie werden das
Opfer eines ſchnöden Rechtsbruchs, und doch iſt ihr letztes
Gebet, daß dieſe That der Stadt keinen Unſegen bringe,
ihre letzte Bitte, daß die Opfer des Danks, welche ſie für den
Sieg gelobt hätten, von ihren Mitbürgern ausgerichtet werden
möchten. So beſiegeln ſie im Tode die Ueberzeugung, daß
Unrecht leiden beſſer ſei, als Unrecht thun, und iſt ein ſolcher
Heldenmuth denkbar, wenn er nicht auf Hoffnungen beruht,
welche über die ſichtbare Welt hinausgehen?
Aber wir brauchen nicht an einzelne Momente zu erinnern,
um die Bedeutung des Unſterblichkeitsglaubens für die Griechen
klar zu machen; wir wiſſen ja Alle, daß keinerlei Ueberlieferungen
und Geſetze bei ihnen ſo heilig waren, wie diejenigen, welche
die Ehre der Todten betrafen; daß keine Sünde ſchwerer war,
als die an einem Verſtorbenen begangene, ſei es aus Fahr¬
läſſigkeit oder böſer Abſicht, durch That oder läſterndes Wort.
Nach dem blutigſten Kampfe ſehen wir die feindlichen Par¬
teien zuſammentreten, um ſich in ſtillſchweigender Uebereinkunft
zur Beſtattung der Gebliebenen zu vereinigen. Liegt dieſem
Eifer für die Ehre der Todten nicht die Ueberzeugung zu
Grunde, daß die Geehrten nicht nur leben und zwar in einem
erhöhten, reineren und deshalb beſonderer Ehrerbietung wür¬
digen Zuſtande, ſondern daß ſie auch perſönlich dabei betheiligt
ſind, ob und wie die Liebeswerke für ſie ausgeführt werden,
und daß ihre Geſinnung auch für die Ueberlebenden nichts
Gleichgültiges ſei? Die Todten ſind keineswegs Abgeſchiedene,
im fernen Hades allen irdiſchen Beziehungen Entrückte; ſie
ſind vielmehr mit dem Volke im Ganzen ſo wie mit den ein¬
zelnen Häuſern im allernächſten und ununterbrochenen Zu¬
ſammenhange. Die Götter des Volks ſind die Götter ſeiner
Väter. Mit den Tempeldienſten iſt die Verehrung derer ver¬
bunden, welche die Tempel geſtiftet haben; ihre Gräber ſind
im Heiligthume, hier walten ſie als ſegnende Landeshüter,
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