Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Idee der Unsterblichkeit bei den Alten. also sind auch sie, die Ahnen des Stammes, als Lebendigegedacht; denn kein Gott ist ein Gott der Todten, sondern der Lebenden. In diesen seinen Ahnen fühlt das Volk durch alle Generationen hindurch sich eins; ihre Gräber sind die Unter¬ pfänder eines rechtmäßigen und geheiligten Landbesitzes; sie sind die theuersten Gegenstände unter allen, welche zu dem gemeinsamen Inventar der Landschaft gehören; sie ketten Volk und Land an einander und die Pflicht ihrer Vertheidigung ist das stärkste Band, welches die Glieder eines Volks zusammen¬ hält. Auch die Scheidung der Grabstätten und Wohnräume ist keine ursprüngliche, sie ist mehr aus polizeilichen als aus religiösen Gesichtspunkten hervorgegangen und war am wenigsten dazu bestimmt, die Todten aus der Gemeinschaft der Lebenden zu entfernen. Denn wie die Urväter des Staats und die Wohlthäter desselben als segenskräftige Heroen mit ihm fort¬ leben, so lebt auch die Familie mit ihren hingeschiedenen Mit¬ gliedern fort; die Ahnen wissen um Alles, was im Hause vor¬ geht; die ihnen dargebrachten Opfer dienen dazu, die Gemein¬ schaft immer zu erneuern und die gegenwärtigen Geschlechter mit der Vorzeit in Zusammenhang zu erhalten. Die gewissen¬ hafte Besorgung dieses frommen Dienstes ist das Kennzeichen eines wackern Bürgers; sie ist die Bedingung des öffentlichen Vertrauens; sie wird auch von Seiten des Staats als eine wesentliche Voraussetzung der öffentlichen Wohlfahrt angesehen; denn diese wird gefährdet, wenn einer der Verstorbenen zürnt. Darum gab es öffentliche Ahnentage, an denen alle Familien der Stadt das Andenken ihrer Verstorbenen feierten, und wenn dieses Todtenfest auch den Namen des Geburtsfestes trug, so scheint es, als liege hier die Ansicht zu Grunde, welche die Griechen bei den Indern wiederfanden, daß nämlich der Tod nichts Anderes sei als die Geburt zu einem neuen, und zu dem wahren Leben. Daß dieser Gedanke auch den Griechen nicht fremd ge¬ Curtius, Alterthum. 15
Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten. alſo ſind auch ſie, die Ahnen des Stammes, als Lebendigegedacht; denn kein Gott iſt ein Gott der Todten, ſondern der Lebenden. In dieſen ſeinen Ahnen fühlt das Volk durch alle Generationen hindurch ſich eins; ihre Gräber ſind die Unter¬ pfänder eines rechtmäßigen und geheiligten Landbeſitzes; ſie ſind die theuerſten Gegenſtände unter allen, welche zu dem gemeinſamen Inventar der Landſchaft gehören; ſie ketten Volk und Land an einander und die Pflicht ihrer Vertheidigung iſt das ſtärkſte Band, welches die Glieder eines Volks zuſammen¬ hält. Auch die Scheidung der Grabſtätten und Wohnräume iſt keine urſprüngliche, ſie iſt mehr aus polizeilichen als aus religiöſen Geſichtspunkten hervorgegangen und war am wenigſten dazu beſtimmt, die Todten aus der Gemeinſchaft der Lebenden zu entfernen. Denn wie die Urväter des Staats und die Wohlthäter deſſelben als ſegenskräftige Heroen mit ihm fort¬ leben, ſo lebt auch die Familie mit ihren hingeſchiedenen Mit¬ gliedern fort; die Ahnen wiſſen um Alles, was im Hauſe vor¬ geht; die ihnen dargebrachten Opfer dienen dazu, die Gemein¬ ſchaft immer zu erneuern und die gegenwärtigen Geſchlechter mit der Vorzeit in Zuſammenhang zu erhalten. Die gewiſſen¬ hafte Beſorgung dieſes frommen Dienſtes iſt das Kennzeichen eines wackern Bürgers; ſie iſt die Bedingung des öffentlichen Vertrauens; ſie wird auch von Seiten des Staats als eine weſentliche Vorausſetzung der öffentlichen Wohlfahrt angeſehen; denn dieſe wird gefährdet, wenn einer der Verſtorbenen zürnt. Darum gab es öffentliche Ahnentage, an denen alle Familien der Stadt das Andenken ihrer Verſtorbenen feierten, und wenn dieſes Todtenfeſt auch den Namen des Geburtsfeſtes trug, ſo ſcheint es, als liege hier die Anſicht zu Grunde, welche die Griechen bei den Indern wiederfanden, daß nämlich der Tod nichts Anderes ſei als die Geburt zu einem neuen, und zu dem wahren Leben. Daß dieſer Gedanke auch den Griechen nicht fremd ge¬ Curtius, Alterthum. 15
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Die Idee der Unſterblichkeit bei den Alten.
alſo ſind auch ſie, die Ahnen des Stammes, als Lebendige
gedacht; denn kein Gott iſt ein Gott der Todten, ſondern der
Lebenden. In dieſen ſeinen Ahnen fühlt das Volk durch alle
Generationen hindurch ſich eins; ihre Gräber ſind die Unter¬
pfänder eines rechtmäßigen und geheiligten Landbeſitzes; ſie
ſind die theuerſten Gegenſtände unter allen, welche zu dem
gemeinſamen Inventar der Landſchaft gehören; ſie ketten Volk
und Land an einander und die Pflicht ihrer Vertheidigung iſt
das ſtärkſte Band, welches die Glieder eines Volks zuſammen¬
hält. Auch die Scheidung der Grabſtätten und Wohnräume
iſt keine urſprüngliche, ſie iſt mehr aus polizeilichen als aus
religiöſen Geſichtspunkten hervorgegangen und war am wenigſten
dazu beſtimmt, die Todten aus der Gemeinſchaft der Lebenden
zu entfernen. Denn wie die Urväter des Staats und die
Wohlthäter deſſelben als ſegenskräftige Heroen mit ihm fort¬
leben, ſo lebt auch die Familie mit ihren hingeſchiedenen Mit¬
gliedern fort; die Ahnen wiſſen um Alles, was im Hauſe vor¬
geht; die ihnen dargebrachten Opfer dienen dazu, die Gemein¬
ſchaft immer zu erneuern und die gegenwärtigen Geſchlechter
mit der Vorzeit in Zuſammenhang zu erhalten. Die gewiſſen¬
hafte Beſorgung dieſes frommen Dienſtes iſt das Kennzeichen
eines wackern Bürgers; ſie iſt die Bedingung des öffentlichen
Vertrauens; ſie wird auch von Seiten des Staats als eine
weſentliche Vorausſetzung der öffentlichen Wohlfahrt angeſehen;
denn dieſe wird gefährdet, wenn einer der Verſtorbenen zürnt.
Darum gab es öffentliche Ahnentage, an denen alle Familien
der Stadt das Andenken ihrer Verſtorbenen feierten, und wenn
dieſes Todtenfeſt auch den Namen des Geburtsfeſtes trug, ſo
ſcheint es, als liege hier die Anſicht zu Grunde, welche die
Griechen bei den Indern wiederfanden, daß nämlich der Tod
nichts Anderes ſei als die Geburt zu einem neuen, und zu
dem wahren Leben.
Daß dieſer Gedanke auch den Griechen nicht fremd ge¬
weſen ſei, bezeugt ihre bildende Kunſt, indem ſie die hin¬
raffenden Todesgöttinnen als Nymphen darſtellt, welche die
wie Kinder geſtalteten Seelen mild umfangen und dieſelben
Curtius, Alterthum. 15
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