eine Familie übertragen wurden, welche sich, wie das make¬ donische Haus unter der griechisch redenden Menschheit, über dem Römervolk in einsamer Größe erhob.
Eine Zeitlang offenbarte sich der schwankende, unklare Zustand des öffentlichen Rechts im Gruße. Rangklassen bildeten sich, je nachdem man in der ersten oder in der zweiten Gruppe von Vertrauten zur Begrüßung des Staatsoberhaupts zuge¬ lassen wurde. Die Begrüßung selbst verlor ihre Einfachheit und Würde. Clienten sah man vor ihren Herren, Bürger vor dem Fürsten auf den Knieen. Bilder lebender Menschen wurden angebetet. Alles Maßlose des orientalischen Unwesens brach herein, da die gesunde Kraft ausging, welche nöthig ist Maß zu halten und vergiftende Ansteckung abzuwehren.
In ausländischen Purpur wurden die neuen Götter ge¬ kleidet; immer geschmacklosere und pomphaftere Grußformeln wurden ersonnen, um sich selbst zu erniedrigen und den Macht¬ haber zu erhöhen. Gedankenlose Acclamationen wurden in langen Reihen wiederholt und die Zahl der Wiederholungen in amtlichen Protocollen römischer Senatsverhandlungen sorg¬ fältig verzeichnet.
So sind die beiden Brudervölker, die Völker des Gesetzes und der Freiheit, nach Erschöpfung ihrer sittlichen Kraft der Unfreiheit des Orients wieder anheim gefallen und die Ge¬ schichte zeigt uns, wie ich denke, deutlich genug, wie diese innere Umwandlung bei Griechen und Römern in der Sitte des Grußes sich zu erkennen giebt.
Innerhalb des Orients hatte sich aber ein Volk von dem Verderben frei gehalten, welches darin seine Wurzel hatte, daß man sterbliche Menschen wie Götter grüßte, das Volk, welches den lebendigen Gott als seinen Gott verehrte, und dies ihm eigenthümliche Verhältniß mußte auch auf die Art, wie es seine Grüße und Glückwünsche ausdrückte, bestimmend einwirken. Bei dem Volke der Theokratie mußte alles Heil von oben kommen. Hier können wir auch die Form des Zuspruchs, in welchem die klassischen Völker ihr keckes Selbstgefühl aus¬ sprachen, die imperativische Form: "Sei froh, sei gesund!"
16 *
Der Gruß.
eine Familie übertragen wurden, welche ſich, wie das make¬ doniſche Haus unter der griechiſch redenden Menſchheit, über dem Römervolk in einſamer Größe erhob.
Eine Zeitlang offenbarte ſich der ſchwankende, unklare Zuſtand des öffentlichen Rechts im Gruße. Rangklaſſen bildeten ſich, je nachdem man in der erſten oder in der zweiten Gruppe von Vertrauten zur Begrüßung des Staatsoberhaupts zuge¬ laſſen wurde. Die Begrüßung ſelbſt verlor ihre Einfachheit und Würde. Clienten ſah man vor ihren Herren, Bürger vor dem Fürſten auf den Knieen. Bilder lebender Menſchen wurden angebetet. Alles Maßloſe des orientaliſchen Unweſens brach herein, da die geſunde Kraft ausging, welche nöthig iſt Maß zu halten und vergiftende Anſteckung abzuwehren.
In ausländiſchen Purpur wurden die neuen Götter ge¬ kleidet; immer geſchmackloſere und pomphaftere Grußformeln wurden erſonnen, um ſich ſelbſt zu erniedrigen und den Macht¬ haber zu erhöhen. Gedankenloſe Acclamationen wurden in langen Reihen wiederholt und die Zahl der Wiederholungen in amtlichen Protocollen römiſcher Senatsverhandlungen ſorg¬ fältig verzeichnet.
So ſind die beiden Brudervölker, die Völker des Geſetzes und der Freiheit, nach Erſchöpfung ihrer ſittlichen Kraft der Unfreiheit des Orients wieder anheim gefallen und die Ge¬ ſchichte zeigt uns, wie ich denke, deutlich genug, wie dieſe innere Umwandlung bei Griechen und Römern in der Sitte des Grußes ſich zu erkennen giebt.
Innerhalb des Orients hatte ſich aber ein Volk von dem Verderben frei gehalten, welches darin ſeine Wurzel hatte, daß man ſterbliche Menſchen wie Götter grüßte, das Volk, welches den lebendigen Gott als ſeinen Gott verehrte, und dies ihm eigenthümliche Verhältniß mußte auch auf die Art, wie es ſeine Grüße und Glückwünſche ausdrückte, beſtimmend einwirken. Bei dem Volke der Theokratie mußte alles Heil von oben kommen. Hier können wir auch die Form des Zuſpruchs, in welchem die klaſſiſchen Völker ihr keckes Selbſtgefühl aus¬ ſprachen, die imperativiſche Form: »Sei froh, ſei geſund!«
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Der Gruß.
eine Familie übertragen wurden, welche ſich, wie das make¬
doniſche Haus unter der griechiſch redenden Menſchheit, über
dem Römervolk in einſamer Größe erhob.
Eine Zeitlang offenbarte ſich der ſchwankende, unklare
Zuſtand des öffentlichen Rechts im Gruße. Rangklaſſen bildeten
ſich, je nachdem man in der erſten oder in der zweiten Gruppe
von Vertrauten zur Begrüßung des Staatsoberhaupts zuge¬
laſſen wurde. Die Begrüßung ſelbſt verlor ihre Einfachheit
und Würde. Clienten ſah man vor ihren Herren, Bürger
vor dem Fürſten auf den Knieen. Bilder lebender Menſchen
wurden angebetet. Alles Maßloſe des orientaliſchen Unweſens
brach herein, da die geſunde Kraft ausging, welche nöthig iſt
Maß zu halten und vergiftende Anſteckung abzuwehren.
In ausländiſchen Purpur wurden die neuen Götter ge¬
kleidet; immer geſchmackloſere und pomphaftere Grußformeln
wurden erſonnen, um ſich ſelbſt zu erniedrigen und den Macht¬
haber zu erhöhen. Gedankenloſe Acclamationen wurden in
langen Reihen wiederholt und die Zahl der Wiederholungen
in amtlichen Protocollen römiſcher Senatsverhandlungen ſorg¬
fältig verzeichnet.
So ſind die beiden Brudervölker, die Völker des Geſetzes
und der Freiheit, nach Erſchöpfung ihrer ſittlichen Kraft der
Unfreiheit des Orients wieder anheim gefallen und die Ge¬
ſchichte zeigt uns, wie ich denke, deutlich genug, wie dieſe
innere Umwandlung bei Griechen und Römern in der Sitte
des Grußes ſich zu erkennen giebt.
Innerhalb des Orients hatte ſich aber ein Volk von dem
Verderben frei gehalten, welches darin ſeine Wurzel hatte, daß
man ſterbliche Menſchen wie Götter grüßte, das Volk, welches
den lebendigen Gott als ſeinen Gott verehrte, und dies ihm
eigenthümliche Verhältniß mußte auch auf die Art, wie es
ſeine Grüße und Glückwünſche ausdrückte, beſtimmend einwirken.
Bei dem Volke der Theokratie mußte alles Heil von oben
kommen. Hier können wir auch die Form des Zuſpruchs, in
welchem die klaſſiſchen Völker ihr keckes Selbſtgefühl aus¬
ſprachen, die imperativiſche Form: »Sei froh, ſei geſund!«
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/259>, abgerufen am 22.06.2024.
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