Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Philosophie und Geschichte.
d. h. des den Deutschen eingeborenen Zugs zur Spekulation,
sich bald einen ehrenvollen Platz unter den Akademien erwerben.
Das waren die vom König selbst ausgehenden, von Mauper¬
tuis, dem Nachfolger Leibnizens, beredt vertretenen Gesichts¬
punkte bei der Neugründung der Akademie.

Die Abweichung von Leibniz bewährte sich nicht; die für
spekulative Forschung bestimmte Abtheilung konnte mit den
anderen nicht zu gleichem Gedeihen gelangen. Als man sich
um 1820 in der Akademie mit einer Reform des Statuts
ernstlich zu beschäftigen anfing, wurde als Thatsache anerkannt,
daß die philosophische Klasse sich seit längerer Zeit in einer
schwierigen Lage befinde, und Schleiermacher machte zuerst
die Ansicht geltend, daß die Klasse, um neues Leben zu ge¬
winnen, aus ihrer Sonderstellung heraustreten müsse. Die Mei¬
nungen der Akademiker gingen weit aus einander. Ancillon
bestand darauf, daß die philosophische Spekulation als eine
charakteristische Seite des deutschen Geistes in einer besonderen
Abtheilung vertreten bleibe; das Aufgeben derselben würde
auf die öffentliche Meinung einen ungünstigen Eindruck machen.
Savigny wollte eine mathematische, eine physikalische, eine
historische und eine philologische Klasse. Indessen gewann die
Ansicht, daß man durch Vereinigung von je zwei Abtheilungen
den Klassenverhandlungen mehr Inhalt und Bedeutung geben
müsse, mehr und mehr Anhang. 1827 gingen die Mathe¬
matiker und Physiker mit der Verschmelzung ihrer Klassen
voran, und nachdem sich in Schleiermacher, der mit dem aus¬
drücklichen Vorbehalt, Philosoph zu bleiben, aus der Philo¬
sophenklasse in die historisch-philologische übergetreten war,
die Vereinigung auch dieser Klassen thatsächlich schon vollzogen
hatte, wurde die Organisation der beiden Doppelklassen ein¬
geführt. Die Philosophie behielt ihre akademische Stelle, und
mit ihr wurden, da man einen dreifachen Klassennamen ver¬
meiden wollte, die Geschichte im weitesten Sinne des Worts
verbunden, so daß die Philologie ihr zugerechnet wurde.

So ist dem Schwanken in Gruppirung der Fächer ein
Ende gemacht, und wenn ich heute auf die Fusion der Klassen,

Philoſophie und Geſchichte.
d. h. des den Deutſchen eingeborenen Zugs zur Spekulation,
ſich bald einen ehrenvollen Platz unter den Akademien erwerben.
Das waren die vom König ſelbſt ausgehenden, von Mauper¬
tuis, dem Nachfolger Leibnizens, beredt vertretenen Geſichts¬
punkte bei der Neugründung der Akademie.

Die Abweichung von Leibniz bewährte ſich nicht; die für
ſpekulative Forſchung beſtimmte Abtheilung konnte mit den
anderen nicht zu gleichem Gedeihen gelangen. Als man ſich
um 1820 in der Akademie mit einer Reform des Statuts
ernſtlich zu beſchäftigen anfing, wurde als Thatſache anerkannt,
daß die philoſophiſche Klaſſe ſich ſeit längerer Zeit in einer
ſchwierigen Lage befinde, und Schleiermacher machte zuerſt
die Anſicht geltend, daß die Klaſſe, um neues Leben zu ge¬
winnen, aus ihrer Sonderſtellung heraustreten müſſe. Die Mei¬
nungen der Akademiker gingen weit aus einander. Ancillon
beſtand darauf, daß die philoſophiſche Spekulation als eine
charakteriſtiſche Seite des deutſchen Geiſtes in einer beſonderen
Abtheilung vertreten bleibe; das Aufgeben derſelben würde
auf die öffentliche Meinung einen ungünſtigen Eindruck machen.
Savigny wollte eine mathematiſche, eine phyſikaliſche, eine
hiſtoriſche und eine philologiſche Klaſſe. Indeſſen gewann die
Anſicht, daß man durch Vereinigung von je zwei Abtheilungen
den Klaſſenverhandlungen mehr Inhalt und Bedeutung geben
müſſe, mehr und mehr Anhang. 1827 gingen die Mathe¬
matiker und Phyſiker mit der Verſchmelzung ihrer Klaſſen
voran, und nachdem ſich in Schleiermacher, der mit dem aus¬
drücklichen Vorbehalt, Philoſoph zu bleiben, aus der Philo¬
ſophenklaſſe in die hiſtoriſch-philologiſche übergetreten war,
die Vereinigung auch dieſer Klaſſen thatſächlich ſchon vollzogen
hatte, wurde die Organiſation der beiden Doppelklaſſen ein¬
geführt. Die Philoſophie behielt ihre akademiſche Stelle, und
mit ihr wurden, da man einen dreifachen Klaſſennamen ver¬
meiden wollte, die Geſchichte im weiteſten Sinne des Worts
verbunden, ſo daß die Philologie ihr zugerechnet wurde.

So iſt dem Schwanken in Gruppirung der Fächer ein
Ende gemacht, und wenn ich heute auf die Fuſion der Klaſſen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0304" n="288"/><fw place="top" type="header">Philo&#x017F;ophie und Ge&#x017F;chichte.<lb/></fw>d. h. des den Deut&#x017F;chen eingeborenen Zugs zur Spekulation,<lb/>
&#x017F;ich bald einen ehrenvollen Platz unter den Akademien erwerben.<lb/>
Das waren die vom König &#x017F;elb&#x017F;t ausgehenden, von Mauper¬<lb/>
tuis, dem Nachfolger Leibnizens, beredt vertretenen Ge&#x017F;ichts¬<lb/>
punkte bei der Neugründung der Akademie.</p><lb/>
        <p>Die Abweichung von Leibniz bewährte &#x017F;ich nicht; die für<lb/>
&#x017F;pekulative For&#x017F;chung be&#x017F;timmte Abtheilung konnte mit den<lb/>
anderen nicht zu gleichem Gedeihen gelangen. Als man &#x017F;ich<lb/>
um 1820 in der Akademie mit einer Reform des Statuts<lb/>
ern&#x017F;tlich zu be&#x017F;chäftigen anfing, wurde als That&#x017F;ache anerkannt,<lb/>
daß die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Kla&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich &#x017F;eit längerer Zeit in einer<lb/>
&#x017F;chwierigen Lage befinde, und Schleiermacher machte zuer&#x017F;t<lb/>
die An&#x017F;icht geltend, daß die Kla&#x017F;&#x017F;e, um neues Leben zu ge¬<lb/>
winnen, aus ihrer Sonder&#x017F;tellung heraustreten mü&#x017F;&#x017F;e. Die Mei¬<lb/>
nungen der Akademiker gingen weit aus einander. Ancillon<lb/>
be&#x017F;tand darauf, daß die philo&#x017F;ophi&#x017F;che Spekulation als eine<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Seite des deut&#x017F;chen Gei&#x017F;tes in einer be&#x017F;onderen<lb/>
Abtheilung vertreten bleibe; das Aufgeben der&#x017F;elben würde<lb/>
auf die öffentliche Meinung einen ungün&#x017F;tigen Eindruck machen.<lb/>
Savigny wollte eine mathemati&#x017F;che, eine phy&#x017F;ikali&#x017F;che, eine<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che und eine philologi&#x017F;che Kla&#x017F;&#x017F;e. Inde&#x017F;&#x017F;en gewann die<lb/>
An&#x017F;icht, daß man durch Vereinigung von je zwei Abtheilungen<lb/>
den Kla&#x017F;&#x017F;enverhandlungen mehr Inhalt und Bedeutung geben<lb/>&#x017F;&#x017F;e, mehr und mehr Anhang. 1827 gingen die Mathe¬<lb/>
matiker und Phy&#x017F;iker mit der Ver&#x017F;chmelzung ihrer Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
voran, und nachdem &#x017F;ich in Schleiermacher, der mit dem aus¬<lb/>
drücklichen Vorbehalt, Philo&#x017F;oph zu bleiben, aus der Philo¬<lb/>
&#x017F;ophenkla&#x017F;&#x017F;e in die hi&#x017F;tori&#x017F;ch-philologi&#x017F;che übergetreten war,<lb/>
die Vereinigung auch die&#x017F;er Kla&#x017F;&#x017F;en that&#x017F;ächlich &#x017F;chon vollzogen<lb/>
hatte, wurde die Organi&#x017F;ation der beiden Doppelkla&#x017F;&#x017F;en ein¬<lb/>
geführt. Die Philo&#x017F;ophie behielt ihre akademi&#x017F;che Stelle, und<lb/>
mit ihr wurden, da man einen dreifachen Kla&#x017F;&#x017F;ennamen ver¬<lb/>
meiden wollte, die Ge&#x017F;chichte im weite&#x017F;ten Sinne des Worts<lb/>
verbunden, &#x017F;o daß die Philologie ihr zugerechnet wurde.</p><lb/>
        <p>So i&#x017F;t dem Schwanken in Gruppirung der Fächer ein<lb/>
Ende gemacht, und wenn ich heute auf die Fu&#x017F;ion der Kla&#x017F;&#x017F;en,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0304] Philoſophie und Geſchichte. d. h. des den Deutſchen eingeborenen Zugs zur Spekulation, ſich bald einen ehrenvollen Platz unter den Akademien erwerben. Das waren die vom König ſelbſt ausgehenden, von Mauper¬ tuis, dem Nachfolger Leibnizens, beredt vertretenen Geſichts¬ punkte bei der Neugründung der Akademie. Die Abweichung von Leibniz bewährte ſich nicht; die für ſpekulative Forſchung beſtimmte Abtheilung konnte mit den anderen nicht zu gleichem Gedeihen gelangen. Als man ſich um 1820 in der Akademie mit einer Reform des Statuts ernſtlich zu beſchäftigen anfing, wurde als Thatſache anerkannt, daß die philoſophiſche Klaſſe ſich ſeit längerer Zeit in einer ſchwierigen Lage befinde, und Schleiermacher machte zuerſt die Anſicht geltend, daß die Klaſſe, um neues Leben zu ge¬ winnen, aus ihrer Sonderſtellung heraustreten müſſe. Die Mei¬ nungen der Akademiker gingen weit aus einander. Ancillon beſtand darauf, daß die philoſophiſche Spekulation als eine charakteriſtiſche Seite des deutſchen Geiſtes in einer beſonderen Abtheilung vertreten bleibe; das Aufgeben derſelben würde auf die öffentliche Meinung einen ungünſtigen Eindruck machen. Savigny wollte eine mathematiſche, eine phyſikaliſche, eine hiſtoriſche und eine philologiſche Klaſſe. Indeſſen gewann die Anſicht, daß man durch Vereinigung von je zwei Abtheilungen den Klaſſenverhandlungen mehr Inhalt und Bedeutung geben müſſe, mehr und mehr Anhang. 1827 gingen die Mathe¬ matiker und Phyſiker mit der Verſchmelzung ihrer Klaſſen voran, und nachdem ſich in Schleiermacher, der mit dem aus¬ drücklichen Vorbehalt, Philoſoph zu bleiben, aus der Philo¬ ſophenklaſſe in die hiſtoriſch-philologiſche übergetreten war, die Vereinigung auch dieſer Klaſſen thatſächlich ſchon vollzogen hatte, wurde die Organiſation der beiden Doppelklaſſen ein¬ geführt. Die Philoſophie behielt ihre akademiſche Stelle, und mit ihr wurden, da man einen dreifachen Klaſſennamen ver¬ meiden wollte, die Geſchichte im weiteſten Sinne des Worts verbunden, ſo daß die Philologie ihr zugerechnet wurde. So iſt dem Schwanken in Gruppirung der Fächer ein Ende gemacht, und wenn ich heute auf die Fuſion der Klaſſen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/304
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/304>, abgerufen am 23.11.2024.