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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Große und kleine Städte.
Begabteste sich nur als eine unscheinbar wirkende Kraft und
seine Leistung als einen Tropfen im Meere ansehen. Aber
dadurch fühlen wir unser Streben nicht entwerthet, sondern
geadelt, und was in diesem Streben sich zu einander gefunden
und mit einander verbunden hat, wird um so fester zusammen¬
halten, weil es im Gedränge des Lebens geschlossener Reihen
bedarf, um solchen Richtungen, welche der Strömung der
großen Welt nicht folgen, freie Bahn zu machen. Dann wird
von dem, was der Schmuck kleinerer Universitäten zu sein
pflegt, das wahrhaft Werthvolle auch uns nicht entgehen; die
Freundschaft wird den weiten Kreis mit traulichen Beziehungen
durchdringen und dem großstädtischen Leben die wohlthuende
Wärme geben, welche zu einem wahren Menschenleben unent¬
behrlich ist.

Wir Deutsche sind vor Allen dazu berufen, die Vergangen¬
heit zu ergründen, aber das Vergangene nicht nachzuahmen,
sondern Höheres zu erstreben. Auch ein Athen kann und soll
keine einzelne Stadt des Vaterlandes werden, aber wir können
erreichen, was die Athener nie erreicht haben, namentlich Eines,
daß unsere Wissenschaft nicht den Bürger dem Staate entfremde,
wie es die Wissenschaft zur Zeit Platon's that und dadurch
den Staat untergraben half, in dessen Schutz sie groß gewor¬
den war. Unsere Universität ist schon durch ihre Lage darauf
hingewiesen, daß sie ein unentbehrliches Glied ist in der Reihe
der Anstalten, auf denen das Heil des Staats beruht, und
je weniger es hier engere Kreise sind, welche unsere Interessen
umgränzen, um so völliger schließen wir uns an das Große
und Ganze, um so lebendiger fühlen wir, was das Vaterland
von uns erwartet.

Und so kehren wir zu dem Anfange und Anlasse unserer
Rede zurück, zu dem Gedanken, welcher uns heute hebt und
erwärmt, daß nämlich unsere Universität vor allen anderen
berufen ist, das Geburtsfest des Königs mit freudigem Danke
zu begehen und daß sie stolz darauf ist, bei dem großen Lebens¬
werke, zu welchem unser König von Gott berufen ist, der
fortschreitenden Einigung der deutschen Stämme, dem Werke,

Große und kleine Städte.
Begabteſte ſich nur als eine unſcheinbar wirkende Kraft und
ſeine Leiſtung als einen Tropfen im Meere anſehen. Aber
dadurch fühlen wir unſer Streben nicht entwerthet, ſondern
geadelt, und was in dieſem Streben ſich zu einander gefunden
und mit einander verbunden hat, wird um ſo feſter zuſammen¬
halten, weil es im Gedränge des Lebens geſchloſſener Reihen
bedarf, um ſolchen Richtungen, welche der Strömung der
großen Welt nicht folgen, freie Bahn zu machen. Dann wird
von dem, was der Schmuck kleinerer Univerſitäten zu ſein
pflegt, das wahrhaft Werthvolle auch uns nicht entgehen; die
Freundſchaft wird den weiten Kreis mit traulichen Beziehungen
durchdringen und dem großſtädtiſchen Leben die wohlthuende
Wärme geben, welche zu einem wahren Menſchenleben unent¬
behrlich iſt.

Wir Deutſche ſind vor Allen dazu berufen, die Vergangen¬
heit zu ergründen, aber das Vergangene nicht nachzuahmen,
ſondern Höheres zu erſtreben. Auch ein Athen kann und ſoll
keine einzelne Stadt des Vaterlandes werden, aber wir können
erreichen, was die Athener nie erreicht haben, namentlich Eines,
daß unſere Wiſſenſchaft nicht den Bürger dem Staate entfremde,
wie es die Wiſſenſchaft zur Zeit Platon's that und dadurch
den Staat untergraben half, in deſſen Schutz ſie groß gewor¬
den war. Unſere Univerſität iſt ſchon durch ihre Lage darauf
hingewieſen, daß ſie ein unentbehrliches Glied iſt in der Reihe
der Anſtalten, auf denen das Heil des Staats beruht, und
je weniger es hier engere Kreiſe ſind, welche unſere Intereſſen
umgränzen, um ſo völliger ſchließen wir uns an das Große
und Ganze, um ſo lebendiger fühlen wir, was das Vaterland
von uns erwartet.

Und ſo kehren wir zu dem Anfange und Anlaſſe unſerer
Rede zurück, zu dem Gedanken, welcher uns heute hebt und
erwärmt, daß nämlich unſere Univerſität vor allen anderen
berufen iſt, das Geburtsfeſt des Königs mit freudigem Danke
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[382/0398] Große und kleine Städte. Begabteſte ſich nur als eine unſcheinbar wirkende Kraft und ſeine Leiſtung als einen Tropfen im Meere anſehen. Aber dadurch fühlen wir unſer Streben nicht entwerthet, ſondern geadelt, und was in dieſem Streben ſich zu einander gefunden und mit einander verbunden hat, wird um ſo feſter zuſammen¬ halten, weil es im Gedränge des Lebens geſchloſſener Reihen bedarf, um ſolchen Richtungen, welche der Strömung der großen Welt nicht folgen, freie Bahn zu machen. Dann wird von dem, was der Schmuck kleinerer Univerſitäten zu ſein pflegt, das wahrhaft Werthvolle auch uns nicht entgehen; die Freundſchaft wird den weiten Kreis mit traulichen Beziehungen durchdringen und dem großſtädtiſchen Leben die wohlthuende Wärme geben, welche zu einem wahren Menſchenleben unent¬ behrlich iſt. Wir Deutſche ſind vor Allen dazu berufen, die Vergangen¬ heit zu ergründen, aber das Vergangene nicht nachzuahmen, ſondern Höheres zu erſtreben. Auch ein Athen kann und ſoll keine einzelne Stadt des Vaterlandes werden, aber wir können erreichen, was die Athener nie erreicht haben, namentlich Eines, daß unſere Wiſſenſchaft nicht den Bürger dem Staate entfremde, wie es die Wiſſenſchaft zur Zeit Platon's that und dadurch den Staat untergraben half, in deſſen Schutz ſie groß gewor¬ den war. Unſere Univerſität iſt ſchon durch ihre Lage darauf hingewieſen, daß ſie ein unentbehrliches Glied iſt in der Reihe der Anſtalten, auf denen das Heil des Staats beruht, und je weniger es hier engere Kreiſe ſind, welche unſere Intereſſen umgränzen, um ſo völliger ſchließen wir uns an das Große und Ganze, um ſo lebendiger fühlen wir, was das Vaterland von uns erwartet. Und ſo kehren wir zu dem Anfange und Anlaſſe unſerer Rede zurück, zu dem Gedanken, welcher uns heute hebt und erwärmt, daß nämlich unſere Univerſität vor allen anderen berufen iſt, das Geburtsfeſt des Königs mit freudigem Danke zu begehen und daß ſie ſtolz darauf iſt, bei dem großen Lebens¬ werke, zu welchem unſer König von Gott berufen iſt, der fortſchreitenden Einigung der deutſchen Stämme, dem Werke,

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/398>, abgerufen am 23.11.2024.