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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
für einen großen Theil der Christenheit die geistliche Haupt¬
stadt geblieben, für alle Gebildeten aber ein Mittelpunkt geisti¬
ger Interessen, eine hohe Schule für Wissenschaft und Kunst.

Die Menschen lieben es, mit zäher Pietät an gewissen
Orten festzuhalten und den Begriff von Heiligkeit und Macht
unauflöslich mit ihrem Namen zu verbinden. Auch kann es
nicht befremden, wenn alle romanischen Völker an der Stadt
festgehalten haben, welcher sie ihre Sprache und Cultur ver¬
danken; für sie ist Rom ja die gemeinsame Mutterstadt. Aber
gerade die Deutschen sind es, welche von allen Nationen die
nächsten und wichtigsten Beziehungen zu Rom gehabt haben,
sie, welche durch die mächtigsten Naturschranken von Italien
getrennt leben, welche von den Bewohnern der Halbinsel in
Anlage und Sitte grundverschieden sind, welche sie mehr als
alle anderen Völker gehaßt haben und von ihnen gehaßt wor¬
den sind, -- und dennoch haben sie nie von einander lassen
können, dennoch hat der Gedanke, daß Rom die Metropole
der Welt sei, nirgends so tiefe Wurzel geschlagen wie bei den
Deutschen; kein Volk ist mehr nach Rom gepilgert, hat mehr
um Rom gestritten und gearbeitet, als das unsrige. Diese
Thatsache hat mich diesmal besonders beschäftigt, während
ich durch die Straßen Roms wandelte, und darum lassen Sie
mich auch heute dem Gedanken nachgehen: Rom und die
Deutschen.

Welch eine Fülle von Wechselbeziehungen tritt uns hier
seit frühester Zeit entgegen! Denn schon die erste geschichtliche
That der Deutschen war ein Zug nach Italien. Zurückge¬
wiesen, weil ihre Zeit noch nicht gekommen war, lebten sie
nach blutigem Kampfe als friedliche Nachbarn oder Bundes¬
genossen Roms und lernten die Herrlichkeit der Kaiserstadt,
den großartigen Staatsorganismus, die immer mehr sich aus¬
gleichende Cultur der Reichsländer kennen und bewundern.
Aber auch sie nöthigten den Römern Bewunderung ab. Rom
ahnte in ihnen die künftigen Träger der Weltherrschaft und
erzitterte bei dem Gedanken, daß die Stämme dieses willens¬
starken und freiheitstolzen Volks einmal ein einiges und damit

Rom und die Deutſchen.
für einen großen Theil der Chriſtenheit die geiſtliche Haupt¬
ſtadt geblieben, für alle Gebildeten aber ein Mittelpunkt geiſti¬
ger Intereſſen, eine hohe Schule für Wiſſenſchaft und Kunſt.

Die Menſchen lieben es, mit zäher Pietät an gewiſſen
Orten feſtzuhalten und den Begriff von Heiligkeit und Macht
unauflöslich mit ihrem Namen zu verbinden. Auch kann es
nicht befremden, wenn alle romaniſchen Völker an der Stadt
feſtgehalten haben, welcher ſie ihre Sprache und Cultur ver¬
danken; für ſie iſt Rom ja die gemeinſame Mutterſtadt. Aber
gerade die Deutſchen ſind es, welche von allen Nationen die
nächſten und wichtigſten Beziehungen zu Rom gehabt haben,
ſie, welche durch die mächtigſten Naturſchranken von Italien
getrennt leben, welche von den Bewohnern der Halbinſel in
Anlage und Sitte grundverſchieden ſind, welche ſie mehr als
alle anderen Völker gehaßt haben und von ihnen gehaßt wor¬
den ſind, — und dennoch haben ſie nie von einander laſſen
können, dennoch hat der Gedanke, daß Rom die Metropole
der Welt ſei, nirgends ſo tiefe Wurzel geſchlagen wie bei den
Deutſchen; kein Volk iſt mehr nach Rom gepilgert, hat mehr
um Rom geſtritten und gearbeitet, als das unſrige. Dieſe
Thatſache hat mich diesmal beſonders beſchäftigt, während
ich durch die Straßen Roms wandelte, und darum laſſen Sie
mich auch heute dem Gedanken nachgehen: Rom und die
Deutſchen.

Welch eine Fülle von Wechſelbeziehungen tritt uns hier
ſeit früheſter Zeit entgegen! Denn ſchon die erſte geſchichtliche
That der Deutſchen war ein Zug nach Italien. Zurückge¬
wieſen, weil ihre Zeit noch nicht gekommen war, lebten ſie
nach blutigem Kampfe als friedliche Nachbarn oder Bundes¬
genoſſen Roms und lernten die Herrlichkeit der Kaiſerſtadt,
den großartigen Staatsorganismus, die immer mehr ſich aus¬
gleichende Cultur der Reichsländer kennen und bewundern.
Aber auch ſie nöthigten den Römern Bewunderung ab. Rom
ahnte in ihnen die künftigen Träger der Weltherrſchaft und
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[42/0058] Rom und die Deutſchen. für einen großen Theil der Chriſtenheit die geiſtliche Haupt¬ ſtadt geblieben, für alle Gebildeten aber ein Mittelpunkt geiſti¬ ger Intereſſen, eine hohe Schule für Wiſſenſchaft und Kunſt. Die Menſchen lieben es, mit zäher Pietät an gewiſſen Orten feſtzuhalten und den Begriff von Heiligkeit und Macht unauflöslich mit ihrem Namen zu verbinden. Auch kann es nicht befremden, wenn alle romaniſchen Völker an der Stadt feſtgehalten haben, welcher ſie ihre Sprache und Cultur ver¬ danken; für ſie iſt Rom ja die gemeinſame Mutterſtadt. Aber gerade die Deutſchen ſind es, welche von allen Nationen die nächſten und wichtigſten Beziehungen zu Rom gehabt haben, ſie, welche durch die mächtigſten Naturſchranken von Italien getrennt leben, welche von den Bewohnern der Halbinſel in Anlage und Sitte grundverſchieden ſind, welche ſie mehr als alle anderen Völker gehaßt haben und von ihnen gehaßt wor¬ den ſind, — und dennoch haben ſie nie von einander laſſen können, dennoch hat der Gedanke, daß Rom die Metropole der Welt ſei, nirgends ſo tiefe Wurzel geſchlagen wie bei den Deutſchen; kein Volk iſt mehr nach Rom gepilgert, hat mehr um Rom geſtritten und gearbeitet, als das unſrige. Dieſe Thatſache hat mich diesmal beſonders beſchäftigt, während ich durch die Straßen Roms wandelte, und darum laſſen Sie mich auch heute dem Gedanken nachgehen: Rom und die Deutſchen. Welch eine Fülle von Wechſelbeziehungen tritt uns hier ſeit früheſter Zeit entgegen! Denn ſchon die erſte geſchichtliche That der Deutſchen war ein Zug nach Italien. Zurückge¬ wieſen, weil ihre Zeit noch nicht gekommen war, lebten ſie nach blutigem Kampfe als friedliche Nachbarn oder Bundes¬ genoſſen Roms und lernten die Herrlichkeit der Kaiſerſtadt, den großartigen Staatsorganismus, die immer mehr ſich aus¬ gleichende Cultur der Reichsländer kennen und bewundern. Aber auch ſie nöthigten den Römern Bewunderung ab. Rom ahnte in ihnen die künftigen Träger der Weltherrſchaft und erzitterte bei dem Gedanken, daß die Stämme dieſes willens¬ ſtarken und freiheitſtolzen Volks einmal ein einiges und damit

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/58>, abgerufen am 23.11.2024.