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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
lien gedeihen. Was die Transalpiner sich erst mühsam er¬
werben mußten, war ein natürlicher Besitz der Italiäner, ein
ihnen zugefallenes Erbe. Die Sprache der Alten war ihnen
eine leicht verständliche, das Interesse für das Alterthum eine
Sache des Patriotismus. Die Erinnerungen des Alterthums
umgaben den Römer von Kindheit auf; bei natürlicher Ge¬
wandtheit und lebendigem Formsinne fand er sich leicht in die
Dichter der Kaiserzeit, verstand ihre Eleganz und gewöhnte
sich, sie wie Zeit- und Volksgenossen zu lesen. Die Bildwerke
drängten sich ihm auf als Schmuck seiner Wohnungen und
Paläste; man mußte sammeln, das Gesammelte ordnen und
zu verstehen suchen. Man kam gleich in das Ganze hinein,
in einen großen Zusammenhang schriftlicher und monumentaler
Ueberlieferung.

Freilich bezogen sich diese Vorzüge der Italiäner nur auf
das römische Alterthum. Aber nun hatten sie das Glück, daß
auch die griechischen Lehrer, aus Byzanz flüchtig, zuerst zu
ihnen kamen, um ihnen die Schätze hellenischer Weisheit mit¬
zubringen und zu entsiegeln. Nun waren sie wieder, wie zur
Cäsarenzeit, im Besitze des ganzen Vermächtnisses des klassi¬
schen Alterthums; nur bei ihnen konnte man Einblick und
Eintritt in die Schatzkammer desselben gewinnen, und mit er¬
höhtem Stolze fühlte sich Italien als das Haupt von Europa,
als den Lehrmeister aller Völker. Auch das Papstthum, durch
die Wirren am Ende des Mittelalters in seinem Ansehn tief
erschüttert, erkannte in dem Humanismus ein willkommenes
Mittel, neuen Glanz und Einfluß zu gewinnen Es suchte in
Anlage von Museen und Bibliotheken Florenz zu überbieten
und brachte es dahin, daß die römischen Bischöfe als die be¬
rufenen Hüter aller Schätze des Alterthums angesehen wurden,
so daß selbst deutsche Fürsten die in deutschen Fürstensitzen
erbeuteten Handschriften in die Vaticana schickten.

Indessen haben sich die Deutschen nicht einschüchtern lassen.
Sie erkannten die Bedeutung des geistigen Aufschwungs in
Italien; sie bewunderten ihn, sie kamen und lernten, aber sie
schlugen bald ihre eigenen Wege ein und es bildete sich ein

Rom und die Deutſchen.
lien gedeihen. Was die Transalpiner ſich erſt mühſam er¬
werben mußten, war ein natürlicher Beſitz der Italiäner, ein
ihnen zugefallenes Erbe. Die Sprache der Alten war ihnen
eine leicht verſtändliche, das Intereſſe für das Alterthum eine
Sache des Patriotismus. Die Erinnerungen des Alterthums
umgaben den Römer von Kindheit auf; bei natürlicher Ge¬
wandtheit und lebendigem Formſinne fand er ſich leicht in die
Dichter der Kaiſerzeit, verſtand ihre Eleganz und gewöhnte
ſich, ſie wie Zeit- und Volksgenoſſen zu leſen. Die Bildwerke
drängten ſich ihm auf als Schmuck ſeiner Wohnungen und
Paläſte; man mußte ſammeln, das Geſammelte ordnen und
zu verſtehen ſuchen. Man kam gleich in das Ganze hinein,
in einen großen Zuſammenhang ſchriftlicher und monumentaler
Ueberlieferung.

Freilich bezogen ſich dieſe Vorzüge der Italiäner nur auf
das römiſche Alterthum. Aber nun hatten ſie das Glück, daß
auch die griechiſchen Lehrer, aus Byzanz flüchtig, zuerſt zu
ihnen kamen, um ihnen die Schätze helleniſcher Weisheit mit¬
zubringen und zu entſiegeln. Nun waren ſie wieder, wie zur
Cäſarenzeit, im Beſitze des ganzen Vermächtniſſes des klaſſi¬
ſchen Alterthums; nur bei ihnen konnte man Einblick und
Eintritt in die Schatzkammer deſſelben gewinnen, und mit er¬
höhtem Stolze fühlte ſich Italien als das Haupt von Europa,
als den Lehrmeiſter aller Völker. Auch das Papſtthum, durch
die Wirren am Ende des Mittelalters in ſeinem Anſehn tief
erſchüttert, erkannte in dem Humanismus ein willkommenes
Mittel, neuen Glanz und Einfluß zu gewinnen Es ſuchte in
Anlage von Muſeen und Bibliotheken Florenz zu überbieten
und brachte es dahin, daß die römiſchen Biſchöfe als die be¬
rufenen Hüter aller Schätze des Alterthums angeſehen wurden,
ſo daß ſelbſt deutſche Fürſten die in deutſchen Fürſtenſitzen
erbeuteten Handſchriften in die Vaticana ſchickten.

Indeſſen haben ſich die Deutſchen nicht einſchüchtern laſſen.
Sie erkannten die Bedeutung des geiſtigen Aufſchwungs in
Italien; ſie bewunderten ihn, ſie kamen und lernten, aber ſie
ſchlugen bald ihre eigenen Wege ein und es bildete ſich ein

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[47/0063] Rom und die Deutſchen. lien gedeihen. Was die Transalpiner ſich erſt mühſam er¬ werben mußten, war ein natürlicher Beſitz der Italiäner, ein ihnen zugefallenes Erbe. Die Sprache der Alten war ihnen eine leicht verſtändliche, das Intereſſe für das Alterthum eine Sache des Patriotismus. Die Erinnerungen des Alterthums umgaben den Römer von Kindheit auf; bei natürlicher Ge¬ wandtheit und lebendigem Formſinne fand er ſich leicht in die Dichter der Kaiſerzeit, verſtand ihre Eleganz und gewöhnte ſich, ſie wie Zeit- und Volksgenoſſen zu leſen. Die Bildwerke drängten ſich ihm auf als Schmuck ſeiner Wohnungen und Paläſte; man mußte ſammeln, das Geſammelte ordnen und zu verſtehen ſuchen. Man kam gleich in das Ganze hinein, in einen großen Zuſammenhang ſchriftlicher und monumentaler Ueberlieferung. Freilich bezogen ſich dieſe Vorzüge der Italiäner nur auf das römiſche Alterthum. Aber nun hatten ſie das Glück, daß auch die griechiſchen Lehrer, aus Byzanz flüchtig, zuerſt zu ihnen kamen, um ihnen die Schätze helleniſcher Weisheit mit¬ zubringen und zu entſiegeln. Nun waren ſie wieder, wie zur Cäſarenzeit, im Beſitze des ganzen Vermächtniſſes des klaſſi¬ ſchen Alterthums; nur bei ihnen konnte man Einblick und Eintritt in die Schatzkammer deſſelben gewinnen, und mit er¬ höhtem Stolze fühlte ſich Italien als das Haupt von Europa, als den Lehrmeiſter aller Völker. Auch das Papſtthum, durch die Wirren am Ende des Mittelalters in ſeinem Anſehn tief erſchüttert, erkannte in dem Humanismus ein willkommenes Mittel, neuen Glanz und Einfluß zu gewinnen Es ſuchte in Anlage von Muſeen und Bibliotheken Florenz zu überbieten und brachte es dahin, daß die römiſchen Biſchöfe als die be¬ rufenen Hüter aller Schätze des Alterthums angeſehen wurden, ſo daß ſelbſt deutſche Fürſten die in deutſchen Fürſtenſitzen erbeuteten Handſchriften in die Vaticana ſchickten. Indeſſen haben ſich die Deutſchen nicht einſchüchtern laſſen. Sie erkannten die Bedeutung des geiſtigen Aufſchwungs in Italien; ſie bewunderten ihn, ſie kamen und lernten, aber ſie ſchlugen bald ihre eigenen Wege ein und es bildete ſich ein

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/63>, abgerufen am 17.05.2024.