Denn dies gerade ist eine merkwürdige Thatsache, wir können sagen, ein Gesetz in der Geschichte der griechischen Cultur, daß jedes Mal, wenn ein Theil des Volks die Selbst¬ ständigkeit einbüßt, seine Bildung in neuen Kreisen Anerken¬ nung und Einfluß gewinnt, als wenn die Vorsehung darin eine Entschädigung für das verlorene Gut der Freiheit hätte geben wollen.
Crösus war, wie Herodot bezeugt, der erste unter allen Barbaren, welcher griechische Städte zinspflichtig gemacht hat, und diese erste Unterwerfung der Hellenen ist wiederum ein Sieg derselben, eine geistige Eroberung gewesen, und ihr erster Zwingherr war zugleich einer der ersten Philhellenen. Hatten doch seine Kriege keinen anderen Zweck, als die Hülfs¬ mittel der Küstenstädte seinem Reiche zuzueignen, war er doch auf das Eifrigste beflissen, die Blüthe des griechischen Lebens nicht nur zu schonen, sondern auch auf alle Weise zu pflegen. Griechische Kunst und Wissenschaft zog er an seinen Hof; er ehrte mit freigebiger Hand die Orakel, beschenkte die jen¬ seitigen Städte und half die Tempel griechischer Gottheiten prachtvoll erneuern. Sein Ziel war kein anderes als die Her¬ stellung eines Reichs, in welchem griechische Bildung herrschte.
Ganz entsprechende Verhältnisse finden wir in Aegypten. Nachdem sich das Land einmal dem Fremdenverkehre geöffnet hatte, dauerte es nicht lange, bis daß die eigentliche Stärke des Pharaonenreichs auf den Griechen beruhte. König Amasis, welcher die Städte auf Cypern zinspflichtig machte, war zu¬ gleich, wie Crösus, ein voller Philhellene, gastfreundlich gegen alle Griechen, immer bereit, den Ankommenden Plätze zur An¬ siedelung und zur Gründung von Altären zu geben; er suchte Freundschaft mit griechischen Fürsten, Familienverbindung mit griechischen Städten; er steuerte, wie ein Hellene, zum Auf¬ baue des delphischen Tempels und beschenkte die heiligen Stätten hellenischer Götterverehrung.
Unter allen Barbaren aber, welche mit den Griechen in Berührung gekommen sind, ist ihnen kein Volk so stolz und feindselig gegenüber getreten wie die Perser. Sie hatten
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Denn dies gerade iſt eine merkwürdige Thatſache, wir können ſagen, ein Geſetz in der Geſchichte der griechiſchen Cultur, daß jedes Mal, wenn ein Theil des Volks die Selbſt¬ ſtändigkeit einbüßt, ſeine Bildung in neuen Kreiſen Anerken¬ nung und Einfluß gewinnt, als wenn die Vorſehung darin eine Entſchädigung für das verlorene Gut der Freiheit hätte geben wollen.
Cröſus war, wie Herodot bezeugt, der erſte unter allen Barbaren, welcher griechiſche Städte zinspflichtig gemacht hat, und dieſe erſte Unterwerfung der Hellenen iſt wiederum ein Sieg derſelben, eine geiſtige Eroberung geweſen, und ihr erſter Zwingherr war zugleich einer der erſten Philhellenen. Hatten doch ſeine Kriege keinen anderen Zweck, als die Hülfs¬ mittel der Küſtenſtädte ſeinem Reiche zuzueignen, war er doch auf das Eifrigſte befliſſen, die Blüthe des griechiſchen Lebens nicht nur zu ſchonen, ſondern auch auf alle Weiſe zu pflegen. Griechiſche Kunſt und Wiſſenſchaft zog er an ſeinen Hof; er ehrte mit freigebiger Hand die Orakel, beſchenkte die jen¬ ſeitigen Städte und half die Tempel griechiſcher Gottheiten prachtvoll erneuern. Sein Ziel war kein anderes als die Her¬ ſtellung eines Reichs, in welchem griechiſche Bildung herrſchte.
Ganz entſprechende Verhältniſſe finden wir in Aegypten. Nachdem ſich das Land einmal dem Fremdenverkehre geöffnet hatte, dauerte es nicht lange, bis daß die eigentliche Stärke des Pharaonenreichs auf den Griechen beruhte. König Amaſis, welcher die Städte auf Cypern zinspflichtig machte, war zu¬ gleich, wie Cröſus, ein voller Philhellene, gaſtfreundlich gegen alle Griechen, immer bereit, den Ankommenden Plätze zur An¬ ſiedelung und zur Gründung von Altären zu geben; er ſuchte Freundſchaft mit griechiſchen Fürſten, Familienverbindung mit griechiſchen Städten; er ſteuerte, wie ein Hellene, zum Auf¬ baue des delphiſchen Tempels und beſchenkte die heiligen Stätten helleniſcher Götterverehrung.
Unter allen Barbaren aber, welche mit den Griechen in Berührung gekommen ſind, iſt ihnen kein Volk ſo ſtolz und feindſelig gegenüber getreten wie die Perſer. Sie hatten
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Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
Denn dies gerade iſt eine merkwürdige Thatſache, wir
können ſagen, ein Geſetz in der Geſchichte der griechiſchen
Cultur, daß jedes Mal, wenn ein Theil des Volks die Selbſt¬
ſtändigkeit einbüßt, ſeine Bildung in neuen Kreiſen Anerken¬
nung und Einfluß gewinnt, als wenn die Vorſehung darin
eine Entſchädigung für das verlorene Gut der Freiheit hätte
geben wollen.
Cröſus war, wie Herodot bezeugt, der erſte unter allen
Barbaren, welcher griechiſche Städte zinspflichtig gemacht hat,
und dieſe erſte Unterwerfung der Hellenen iſt wiederum ein
Sieg derſelben, eine geiſtige Eroberung geweſen, und ihr
erſter Zwingherr war zugleich einer der erſten Philhellenen.
Hatten doch ſeine Kriege keinen anderen Zweck, als die Hülfs¬
mittel der Küſtenſtädte ſeinem Reiche zuzueignen, war er doch
auf das Eifrigſte befliſſen, die Blüthe des griechiſchen Lebens
nicht nur zu ſchonen, ſondern auch auf alle Weiſe zu pflegen.
Griechiſche Kunſt und Wiſſenſchaft zog er an ſeinen Hof;
er ehrte mit freigebiger Hand die Orakel, beſchenkte die jen¬
ſeitigen Städte und half die Tempel griechiſcher Gottheiten
prachtvoll erneuern. Sein Ziel war kein anderes als die Her¬
ſtellung eines Reichs, in welchem griechiſche Bildung herrſchte.
Ganz entſprechende Verhältniſſe finden wir in Aegypten.
Nachdem ſich das Land einmal dem Fremdenverkehre geöffnet
hatte, dauerte es nicht lange, bis daß die eigentliche Stärke
des Pharaonenreichs auf den Griechen beruhte. König Amaſis,
welcher die Städte auf Cypern zinspflichtig machte, war zu¬
gleich, wie Cröſus, ein voller Philhellene, gaſtfreundlich gegen
alle Griechen, immer bereit, den Ankommenden Plätze zur An¬
ſiedelung und zur Gründung von Altären zu geben; er ſuchte
Freundſchaft mit griechiſchen Fürſten, Familienverbindung mit
griechiſchen Städten; er ſteuerte, wie ein Hellene, zum Auf¬
baue des delphiſchen Tempels und beſchenkte die heiligen
Stätten helleniſcher Götterverehrung.
Unter allen Barbaren aber, welche mit den Griechen in
Berührung gekommen ſind, iſt ihnen kein Volk ſo ſtolz und
feindſelig gegenüber getreten wie die Perſer. Sie hatten
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/79>, abgerufen am 27.11.2024.
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