Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.Bopp lehrte nach Ueberwindung einer andern nur sehr Bopp lehrte nach Ueberwindung einer andern nur sehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0100" n="92"/> <p>Bopp lehrte nach Ueberwindung einer andern nur sehr<lb/> unvollkommen von ihm angedeuteten Auffassung, das eine im<lb/> Sanskrit erhaltene <hi rendition="#i">a</hi> habe sich bei andern Völkern in den<lb/> Dreiklang <hi rendition="#i">a e o</hi> gespalten. Und bei dieser Lehre verblieb —<lb/> von vereinzelten rasch hingeworfenen Zweifeln abgesehn —<lb/> die Sprachwissenschaft bis 1876. Allerdings war die ältere<lb/> Lehre, worin ich mit Joh. Schmidt, Froehde und andern ganz<lb/> übereinstimme, nicht <hi rendition="#g">bewiesen</hi>. Aber das ist kein Vorwurf,<lb/> vieles in unsrer Wissenschaft musste, zumal in ihren Anfängen,<lb/> längere Zeit eben nur vorläufig aufgestellt werden! Bewiesen<lb/> waren nur die Thatsachen, dass sanskr. <hi rendition="#i">a</hi> bald einem <hi rendition="#i">a</hi>, bald<lb/> einem <hi rendition="#i">e</hi>, bald einem <hi rendition="#i">o</hi> der europäischen Sprachen gegenüber<lb/> stehe, und dies thatsächliche Verhältniss leugnet niemand. Dass<lb/> man den Vocalismus der Inder und Iranier für den älteren<lb/> hielt, war bei dem ersten Auftauchen der vergleichenden Gram-<lb/> matik sehr natürlich, da man zumeist durch das Mittel des<lb/> Sanskrit alle diese Dinge gelernt hatte und daher stets, frei-<lb/> lich oft mit Unrecht, geneigt war, das Sanskrit in jedem Falle<lb/> bis zum Beweis des Gegentheils für besonders alterthümlich<lb/> zu halten. Dass auch das Gotische mit seinem, wie wir jetzt<lb/> wissen, nicht durchweg primitiven <hi rendition="#i">a i u</hi> zur Bekräftigung die-<lb/> ser Lehrmeinung beitrug, kann nicht geleugnet werden. Die<lb/> Behauptung von der Priorität des eintönigen Vocalismus vor<lb/> dem bunten ist also eine <hi rendition="#g">Hypothese</hi>. Die Richtigkeit einer<lb/> Hypothese bemisst sich darnach, ob sich aus ihr die in Be-<lb/> tracht kommenden Thatsachen gut erklären lassen. Zu ver-<lb/> werfen ist sie, wenn das nicht gelingt, oder wenn sich die<lb/> Thatsachen durch eine andre Hypothese besser erklären lassen.<lb/> Dennoch hat eine Widerlegung der älteren Auffassung in die-<lb/> sem Sinne nicht stattgefunden. Einer der scharfsinnigsten und<lb/> eindringlichsten Vertreter der neuen Richtung, Ferd. de Saus-<lb/> sure, sagt in den Memoires de la societe de linguistique III<lb/> p. 358<choice><sic> zu</sic><corr/></choice>: „<foreign xml:lang="fra">Le scindement d'un seul a est et restera <hi rendition="#g">un fait<lb/> possible en lui même</hi></foreign>“. Brugmann dagegen scheint Mor-<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [92/0100]
Bopp lehrte nach Ueberwindung einer andern nur sehr
unvollkommen von ihm angedeuteten Auffassung, das eine im
Sanskrit erhaltene a habe sich bei andern Völkern in den
Dreiklang a e o gespalten. Und bei dieser Lehre verblieb —
von vereinzelten rasch hingeworfenen Zweifeln abgesehn —
die Sprachwissenschaft bis 1876. Allerdings war die ältere
Lehre, worin ich mit Joh. Schmidt, Froehde und andern ganz
übereinstimme, nicht bewiesen. Aber das ist kein Vorwurf,
vieles in unsrer Wissenschaft musste, zumal in ihren Anfängen,
längere Zeit eben nur vorläufig aufgestellt werden! Bewiesen
waren nur die Thatsachen, dass sanskr. a bald einem a, bald
einem e, bald einem o der europäischen Sprachen gegenüber
stehe, und dies thatsächliche Verhältniss leugnet niemand. Dass
man den Vocalismus der Inder und Iranier für den älteren
hielt, war bei dem ersten Auftauchen der vergleichenden Gram-
matik sehr natürlich, da man zumeist durch das Mittel des
Sanskrit alle diese Dinge gelernt hatte und daher stets, frei-
lich oft mit Unrecht, geneigt war, das Sanskrit in jedem Falle
bis zum Beweis des Gegentheils für besonders alterthümlich
zu halten. Dass auch das Gotische mit seinem, wie wir jetzt
wissen, nicht durchweg primitiven a i u zur Bekräftigung die-
ser Lehrmeinung beitrug, kann nicht geleugnet werden. Die
Behauptung von der Priorität des eintönigen Vocalismus vor
dem bunten ist also eine Hypothese. Die Richtigkeit einer
Hypothese bemisst sich darnach, ob sich aus ihr die in Be-
tracht kommenden Thatsachen gut erklären lassen. Zu ver-
werfen ist sie, wenn das nicht gelingt, oder wenn sich die
Thatsachen durch eine andre Hypothese besser erklären lassen.
Dennoch hat eine Widerlegung der älteren Auffassung in die-
sem Sinne nicht stattgefunden. Einer der scharfsinnigsten und
eindringlichsten Vertreter der neuen Richtung, Ferd. de Saus-
sure, sagt in den Memoires de la societe de linguistique III
p. 358: „Le scindement d'un seul a est et restera un fait
possible en lui même“. Brugmann dagegen scheint Mor-
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