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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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aham
(wachen soll ich), die indess nach Whitney nur ein-
mal vorkommt, aber nach Scherer und Thurneysen weiss
ich sie ebenso wenig zu verstehen. Ob in dieser ganz ver-
einzelten Form an eine Uebertragung aus der dritten Person
oder an eine kühne Construction zu denken ist, mögen andere
entscheiden.

Die wiederholte Rückkehr zu denselben Problemen mit
verschiedener Entscheidung zeigt zweierlei; einmal, dass Joh.
Schmidt's Ansicht über das verfehlte jedes Versuches, dem
begrifflichen Werthe von Suffixen nachzuspüren, nicht von
allen jetzigen Forschern getheilt wird. Trotz der Schwierig-
keiten, die für manche einzelne Bildungen nicht gering sind,
kehren Fragen der Art immer wieder. Ohne Eingehen in
solche Fragen ist eine Klarheit über den Entwickelungsgang
der Sprache und über die richtigen Ausgangspunkte für zahl-
reiche Specialfragen nicht zu erreichen, und es ist besser,
bei solchen Versuchen zu irren als gar nicht darüber nachzu-
denken. Zweitens aber erkennen wir, dass bei Streifzügen
in so dunkle Regionen mit grosser Behutsamkeit und Zurück-
haltung vorzugehen ist. Apodiktische Behauptungen sind hier
nicht am Platze.

Freilich hat man wohl gesagt, es fehle bei diesen mor-
phogonischen Untersuchungen an Mitteln für sichere Erkennt-
niss. Mich dünkt, man sollte überhaupt auf diesem Ge-
biete öfter nach dem wahrscheinlichen fragen und sich der
Worte "unmöglich" und "muss" seltner bedienen. Wie oft
befinden wir uns in unserer Wissenschaft in derselben Lage!
Das sehr reichhaltige und anregende Buch von Otto Schrader
"Sprachvergleichung und Urgeschichte" Jena 1883 wird nie-
mand, der es gelesen hat, ohne das bittere Gefühl grosser
Unsicherheit aus der Hand legen. Und dennoch ist es höchst
verdienstlich, einerseits durch eine gesunde Skepsis gegen

Curtius, Zur Kritik. 10

fixes -tᾱt auf die erste Person Sing.: Atharva Veda g̍āgṛ-tād
aham
(wachen soll ich), die indess nach Whitney nur ein-
mal vorkommt, aber nach Scherer und Thurneysen weiss
ich sie ebenso wenig zu verstehen. Ob in dieser ganz ver-
einzelten Form an eine Uebertragung aus der dritten Person
oder an eine kühne Construction zu denken ist, mögen andere
entscheiden.

Die wiederholte Rückkehr zu denselben Problemen mit
verschiedener Entscheidung zeigt zweierlei; einmal, dass Joh.
Schmidt's Ansicht über das verfehlte jedes Versuches, dem
begrifflichen Werthe von Suffixen nachzuspüren, nicht von
allen jetzigen Forschern getheilt wird. Trotz der Schwierig-
keiten, die für manche einzelne Bildungen nicht gering sind,
kehren Fragen der Art immer wieder. Ohne Eingehen in
solche Fragen ist eine Klarheit über den Entwickelungsgang
der Sprache und über die richtigen Ausgangspunkte für zahl-
reiche Specialfragen nicht zu erreichen, und es ist besser,
bei solchen Versuchen zu irren als gar nicht darüber nachzu-
denken. Zweitens aber erkennen wir, dass bei Streifzügen
in so dunkle Regionen mit grosser Behutsamkeit und Zurück-
haltung vorzugehen ist. Apodiktische Behauptungen sind hier
nicht am Platze.

Freilich hat man wohl gesagt, es fehle bei diesen mor-
phogonischen Untersuchungen an Mitteln für sichere Erkennt-
niss. Mich dünkt, man sollte überhaupt auf diesem Ge-
biete öfter nach dem wahrscheinlichen fragen und sich der
Worte „unmöglich“ und „muss“ seltner bedienen. Wie oft
befinden wir uns in unserer Wissenschaft in derselben Lage!
Das sehr reichhaltige und anregende Buch von Otto Schrader
„Sprachvergleichung und Urgeschichte“ Jena 1883 wird nie-
mand, der es gelesen hat, ohne das bittere Gefühl grosser
Unsicherheit aus der Hand legen. Und dennoch ist es höchst
verdienstlich, einerseits durch eine gesunde Skepsis gegen

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[145/0153] fixes -tᾱt auf die erste Person Sing.: Atharva Veda g̍āgṛ-tād aham (wachen soll ich), die indess nach Whitney nur ein- mal vorkommt, aber nach Scherer und Thurneysen weiss ich sie ebenso wenig zu verstehen. Ob in dieser ganz ver- einzelten Form an eine Uebertragung aus der dritten Person oder an eine kühne Construction zu denken ist, mögen andere entscheiden. Die wiederholte Rückkehr zu denselben Problemen mit verschiedener Entscheidung zeigt zweierlei; einmal, dass Joh. Schmidt's Ansicht über das verfehlte jedes Versuches, dem begrifflichen Werthe von Suffixen nachzuspüren, nicht von allen jetzigen Forschern getheilt wird. Trotz der Schwierig- keiten, die für manche einzelne Bildungen nicht gering sind, kehren Fragen der Art immer wieder. Ohne Eingehen in solche Fragen ist eine Klarheit über den Entwickelungsgang der Sprache und über die richtigen Ausgangspunkte für zahl- reiche Specialfragen nicht zu erreichen, und es ist besser, bei solchen Versuchen zu irren als gar nicht darüber nachzu- denken. Zweitens aber erkennen wir, dass bei Streifzügen in so dunkle Regionen mit grosser Behutsamkeit und Zurück- haltung vorzugehen ist. Apodiktische Behauptungen sind hier nicht am Platze. Freilich hat man wohl gesagt, es fehle bei diesen mor- phogonischen Untersuchungen an Mitteln für sichere Erkennt- niss. Mich dünkt, man sollte überhaupt auf diesem Ge- biete öfter nach dem wahrscheinlichen fragen und sich der Worte „unmöglich“ und „muss“ seltner bedienen. Wie oft befinden wir uns in unserer Wissenschaft in derselben Lage! Das sehr reichhaltige und anregende Buch von Otto Schrader „Sprachvergleichung und Urgeschichte“ Jena 1883 wird nie- mand, der es gelesen hat, ohne das bittere Gefühl grosser Unsicherheit aus der Hand legen. Und dennoch ist es höchst verdienstlich, einerseits durch eine gesunde Skepsis gegen Curtius, Zur Kritik. 10

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/153>, abgerufen am 21.11.2024.