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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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in -aire. Das lateinische purpura hat sogar (S. 15) sechs spa-
nische Vertreter: purpura, porpura, porpula, porpora, porpra,
porpla
. Ein grosser Theil der erwähnten Schrift beschäftigt
sich mit diesem Gegenstand. Es kann ja sein, dass die Ver-
schiedenheit der lautlichen Form auch hier theilweise aus
Dialektmischung, anderntheils aus immer neuer, so zu sagen,
Einpfropfung des nie ganz unbekannt bleibenden Latein (z. B.
franz. chose und cause aus dem einen causa), zum Theil viel-
leicht auch aus Analogiebildung, erklärt werden kann. Da-
rüber gestatte ich mir kein Urtheil. Aber wir sahen ja, dass
ähnliche Einflüsse auch anderswo nicht ausgeschlossen sind,
und wer getraute sich wohl auf Sprachgebieten, für die uns
Daten über mundartliche Spaltungen aus älteren Zeiten ent-
weder, wie z. B. für das Lateinische so gut wie gar nicht,
oder wie für das Griechische trotz aller epigraphischen Funde
doch nur sehr lückenhaft vorliegen, in jedem Falle abson-
derlicher Lautgestalt bestimmt zu sagen, wo der Anlass zu
suchen sei? Auch Ascoli, auf den wir immer wieder zu-
rückgeführt werden, scheut vor der Zulassung von Doppel-
formen aus einer Grundform ('diversi continuatori') nicht zu-
rück. Aus puteus ist ital. pozzo, aus radius ital. razzo, aber
auch raggio entstanden, aus cavea wird ital. gabbia, aus pluvia
aber pioggia (Lettera glottolog. p. 8). Es kommt mir so vor,
als ob die romanischen Sprachen noch weniger als Griechisch
und Latein einer rigorosen Regel sich fügen. Dies bestätigt
sich mir unter anderm auch durch das, was Groeber in sei-
nem Artikel "Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter"
(Archiv f. lat. Lexikographie I 204 ff.) in reicher Fülle zu-
sammenstellt. Von diesem Ausflug in romanische Gebiete
kehrte ich also unverbessert zurück.

Auch Gustav Meyer, der in seiner griechischen Gram-
matik (1880) den verdienstlichen Versuch gemacht hat, die
Erscheinungen dieser Sprache im Sinne der neueren Aufstel-
lungen aufzuklären, schrickt keineswegs davor zurück, That-

in -aire. Das lateinische purpura hat sogar (S. 15) sechs spa-
nische Vertreter: purpura, porpura, porpula, porpora, porpra,
porpla
. Ein grosser Theil der erwähnten Schrift beschäftigt
sich mit diesem Gegenstand. Es kann ja sein, dass die Ver-
schiedenheit der lautlichen Form auch hier theilweise aus
Dialektmischung, anderntheils aus immer neuer, so zu sagen,
Einpfropfung des nie ganz unbekannt bleibenden Latein (z. B.
franz. chose und cause aus dem einen causa), zum Theil viel-
leicht auch aus Analogiebildung, erklärt werden kann. Da-
rüber gestatte ich mir kein Urtheil. Aber wir sahen ja, dass
ähnliche Einflüsse auch anderswo nicht ausgeschlossen sind,
und wer getraute sich wohl auf Sprachgebieten, für die uns
Daten über mundartliche Spaltungen aus älteren Zeiten ent-
weder, wie z. B. für das Lateinische so gut wie gar nicht,
oder wie für das Griechische trotz aller epigraphischen Funde
doch nur sehr lückenhaft vorliegen, in jedem Falle abson-
derlicher Lautgestalt bestimmt zu sagen, wo der Anlass zu
suchen sei? Auch Ascoli, auf den wir immer wieder zu-
rückgeführt werden, scheut vor der Zulassung von Doppel-
formen aus einer Grundform (‘diversi continuatori’) nicht zu-
rück. Aus puteus ist ital. pozzo, aus radius ital. razzo, aber
auch raggio entstanden, aus cavea wird ital. gabbia, aus pluvia
aber pioggia (Lettera glottolog. p. 8). Es kommt mir so vor,
als ob die romanischen Sprachen noch weniger als Griechisch
und Latein einer rigorosen Regel sich fügen. Dies bestätigt
sich mir unter anderm auch durch das, was Groeber in sei-
nem Artikel „Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter"
(Archiv f. lat. Lexikographie I 204 ff.) in reicher Fülle zu-
sammenstellt. Von diesem Ausflug in romanische Gebiete
kehrte ich also unverbessert zurück.

Auch Gustav Meyer, der in seiner griechischen Gram-
matik (1880) den verdienstlichen Versuch gemacht hat, die
Erscheinungen dieser Sprache im Sinne der neueren Aufstel-
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[20/0028] in -aire. Das lateinische purpura hat sogar (S. 15) sechs spa- nische Vertreter: purpura, porpura, porpula, porpora, porpra, porpla. Ein grosser Theil der erwähnten Schrift beschäftigt sich mit diesem Gegenstand. Es kann ja sein, dass die Ver- schiedenheit der lautlichen Form auch hier theilweise aus Dialektmischung, anderntheils aus immer neuer, so zu sagen, Einpfropfung des nie ganz unbekannt bleibenden Latein (z. B. franz. chose und cause aus dem einen causa), zum Theil viel- leicht auch aus Analogiebildung, erklärt werden kann. Da- rüber gestatte ich mir kein Urtheil. Aber wir sahen ja, dass ähnliche Einflüsse auch anderswo nicht ausgeschlossen sind, und wer getraute sich wohl auf Sprachgebieten, für die uns Daten über mundartliche Spaltungen aus älteren Zeiten ent- weder, wie z. B. für das Lateinische so gut wie gar nicht, oder wie für das Griechische trotz aller epigraphischen Funde doch nur sehr lückenhaft vorliegen, in jedem Falle abson- derlicher Lautgestalt bestimmt zu sagen, wo der Anlass zu suchen sei? Auch Ascoli, auf den wir immer wieder zu- rückgeführt werden, scheut vor der Zulassung von Doppel- formen aus einer Grundform (‘diversi continuatori’) nicht zu- rück. Aus puteus ist ital. pozzo, aus radius ital. razzo, aber auch raggio entstanden, aus cavea wird ital. gabbia, aus pluvia aber pioggia (Lettera glottolog. p. 8). Es kommt mir so vor, als ob die romanischen Sprachen noch weniger als Griechisch und Latein einer rigorosen Regel sich fügen. Dies bestätigt sich mir unter anderm auch durch das, was Groeber in sei- nem Artikel „Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter" (Archiv f. lat. Lexikographie I 204 ff.) in reicher Fülle zu- sammenstellt. Von diesem Ausflug in romanische Gebiete kehrte ich also unverbessert zurück. Auch Gustav Meyer, der in seiner griechischen Gram- matik (1880) den verdienstlichen Versuch gemacht hat, die Erscheinungen dieser Sprache im Sinne der neueren Aufstel- lungen aufzuklären, schrickt keineswegs davor zurück, That-

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/28>, abgerufen am 21.11.2024.