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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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sachen zuzulassen, deren lautliche Regelmässigkeit nicht nach-
weisbar ist. So heisst es S. 29: "Die Ursache der Unregel-
mässigkeit ist vorläufig unklar", S. 108 "in einigen Fällen
hat sich aus dem Stimmton des Spiranten s nach einem vor-
hergehenden Vocal ein i entwickelt", S. 153 "bei wurzelhaftem
r tritt (in dem Suffix -ro) meistens, aber nicht ausnahms-
los, l ein". S. 170 wird für die Gestaltung des K-Lautes ein
entweder - oder der Entwickelung zugelassen. Diesen Einräu-
mungen gegenüber verstehe ich nicht, warum derselbe For-
scher anderswo, z. B. S. 106 in Bezug auf den Zusammenhang
von dasus und daulos, S. 194 in Bezug auf die ursprüngliche
Identität des Verbalausgangs -ao und -azo aus -ajanmi sich
des Lieblingsausdrucks der neuen Schule, "unmöglich", be-
dient *) In der That könnte man einwenden, dass diese ganz
allgemeinen Fragen, die mit den in der Politik verrufenen
Doktorfragen eine gewisse Aehnlichkeit haben, eine umständ-
liche Erörterung kaum verdienen. Aber eben jenes "unmög-
lich" zeigt, dass diese Fragen von praktischer Bedeutung sind,
denn in unzähligen Fällen werden frühere Aufstellungen nur
desshalb von jüngeren Forschern mit diesem kurzen Worte ab-
gewiesen, weil sie zu jenem an die Spitze gestellten Axiom
nicht passen oder nicht zu passen scheinen. Eben desshalb
schien es nöthig zu zeigen, dass es mit jenem Axiom doch
seine Schwierigkeiten habe, und dass unter den berufensten
Mitforschern darüber keineswegs allgemeine Uebereinstimmung
herrsche. Soll übrigens jener Grundsatz mehr die Bedeutung

*) Will man etwa auch sanskr. pibanmi (trinke), das doch gewiss auf
pipa-mi zurückgeht, will man der Aspiration in lukhno-s, paskho (wofür
jetzt die ältere Form pasko [elisch, I. A. 112, 8] vorliegt) und andern sehr
vereinzelten Abweichungen von weit verbreiteter Regelmässigkeit die Exi-
stenz absprechen? Will man leugnen, dass lat. pendo mit gr. perdomai
und sanskr. prd identisch ist, nur aus dem Grunde, weil eine entspre-
chende Ausstossung des r nicht nachweisbar ist? C. Pauli in seinen
Etrusk. Forsch. u. Stud. III (Zahlwörter) S. 44 glaubt mit mir daran.

sachen zuzulassen, deren lautliche Regelmässigkeit nicht nach-
weisbar ist. So heisst es S. 29: „Die Ursache der Unregel-
mässigkeit ist vorläufig unklar“, S. 108 „in einigen Fällen
hat sich aus dem Stimmton des Spiranten s nach einem vor-
hergehenden Vocal ein i entwickelt“, S. 153 „bei wurzelhaftem
ρ tritt (in dem Suffix -ρο) meistens, aber nicht ausnahms-
los, λ ein“. S. 170 wird für die Gestaltung des K-Lautes ein
entweder - oder der Entwickelung zugelassen. Diesen Einräu-
mungen gegenüber verstehe ich nicht, warum derselbe For-
scher anderswo, z. B. S. 106 in Bezug auf den Zusammenhang
von δασύς und δαυλός, S. 194 in Bezug auf die ursprüngliche
Identität des Verbalausgangs -αω und -αζω aus -ajāmi sich
des Lieblingsausdrucks der neuen Schule, „unmöglich“, be-
dient *) In der That könnte man einwenden, dass diese ganz
allgemeinen Fragen, die mit den in der Politik verrufenen
Doktorfragen eine gewisse Aehnlichkeit haben, eine umständ-
liche Erörterung kaum verdienen. Aber eben jenes „unmög-
lich“ zeigt, dass diese Fragen von praktischer Bedeutung sind,
denn in unzähligen Fällen werden frühere Aufstellungen nur
desshalb von jüngeren Forschern mit diesem kurzen Worte ab-
gewiesen, weil sie zu jenem an die Spitze gestellten Axiom
nicht passen oder nicht zu passen scheinen. Eben desshalb
schien es nöthig zu zeigen, dass es mit jenem Axiom doch
seine Schwierigkeiten habe, und dass unter den berufensten
Mitforschern darüber keineswegs allgemeine Uebereinstimmung
herrsche. Soll übrigens jener Grundsatz mehr die Bedeutung

*) Will man etwa auch sanskr. pibāmi (trinke), das doch gewiss auf
pipâ-mi zurückgeht, will man der Aspiration in λύχνο-ς, πάσχω (wofür
jetzt die ältere Form πάσκω [elisch, I. A. 112, 8] vorliegt) und andern sehr
vereinzelten Abweichungen von weit verbreiteter Regelmässigkeit die Exi-
stenz absprechen? Will man leugnen, dass lat. pēdo mit gr. πέρδομαι
und sanskr. pṛd identisch ist, nur aus dem Grunde, weil eine entspre-
chende Ausstossung des r nicht nachweisbar ist? C. Pauli in seinen
Etrusk. Forsch. u. Stud. III (Zahlwörter) S. 44 glaubt mit mir daran.
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[21/0029] sachen zuzulassen, deren lautliche Regelmässigkeit nicht nach- weisbar ist. So heisst es S. 29: „Die Ursache der Unregel- mässigkeit ist vorläufig unklar“, S. 108 „in einigen Fällen hat sich aus dem Stimmton des Spiranten s nach einem vor- hergehenden Vocal ein i entwickelt“, S. 153 „bei wurzelhaftem ρ tritt (in dem Suffix -ρο) meistens, aber nicht ausnahms- los, λ ein“. S. 170 wird für die Gestaltung des K-Lautes ein entweder - oder der Entwickelung zugelassen. Diesen Einräu- mungen gegenüber verstehe ich nicht, warum derselbe For- scher anderswo, z. B. S. 106 in Bezug auf den Zusammenhang von δασύς und δαυλός, S. 194 in Bezug auf die ursprüngliche Identität des Verbalausgangs -αω und -αζω aus -ajāmi sich des Lieblingsausdrucks der neuen Schule, „unmöglich“, be- dient *) In der That könnte man einwenden, dass diese ganz allgemeinen Fragen, die mit den in der Politik verrufenen Doktorfragen eine gewisse Aehnlichkeit haben, eine umständ- liche Erörterung kaum verdienen. Aber eben jenes „unmög- lich“ zeigt, dass diese Fragen von praktischer Bedeutung sind, denn in unzähligen Fällen werden frühere Aufstellungen nur desshalb von jüngeren Forschern mit diesem kurzen Worte ab- gewiesen, weil sie zu jenem an die Spitze gestellten Axiom nicht passen oder nicht zu passen scheinen. Eben desshalb schien es nöthig zu zeigen, dass es mit jenem Axiom doch seine Schwierigkeiten habe, und dass unter den berufensten Mitforschern darüber keineswegs allgemeine Uebereinstimmung herrsche. Soll übrigens jener Grundsatz mehr die Bedeutung *) Will man etwa auch sanskr. pibāmi (trinke), das doch gewiss auf pipâ-mi zurückgeht, will man der Aspiration in λύχνο-ς, πάσχω (wofür jetzt die ältere Form πάσκω [elisch, I. A. 112, 8] vorliegt) und andern sehr vereinzelten Abweichungen von weit verbreiteter Regelmässigkeit die Exi- stenz absprechen? Will man leugnen, dass lat. pēdo mit gr. πέρδομαι und sanskr. pṛd identisch ist, nur aus dem Grunde, weil eine entspre- chende Ausstossung des r nicht nachweisbar ist? C. Pauli in seinen Etrusk. Forsch. u. Stud. III (Zahlwörter) S. 44 glaubt mit mir daran.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/29>, abgerufen am 21.11.2024.