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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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es mit der in neuerer Zeit mehrfach besprochenen Epenthese,
worüber ich auf die Schrift von Meinck, de epenthesi Graeca
L. 1881, verweise. Die Epenthese kann für Wörter wie hom.
eini neben eni (lat. in, osk. en), teino, tektaina, ekhthairo, im
kyprischen ailos = allos, in despoina u. a. unmöglich ge-
leugnet, ebenso unmöglich aber, wie xenios, eleutherios, balios,
u. s.w. beweisen, als eine nothwendige Lautbewegung nach-
gewiesen werden. Freilich werden dabei die Zeiten wohl zu
unterscheiden sein. Es war mir merkwürdig, aus der Ab-
handlung von W. Förster "Umlaut im Romanischen" (Gröber's
Ztschr. für roman. Philol. III Halle 1879) zu lernen, dass die
entsprechenden Erscheinungen im Romanischen ebenfalls nicht
"so allgemein und unbedingt eintreten, wie ein sonstiges Laut-
gesetz". Es soll damit natürlich nicht weiterer Untersuchung
vorgegriffen, sondern nur das factische festgestellt werden.
Ich halte die Epenthese oder den Vorklang, für einen in einer
frühen Sprachperiode versuchten, später aufgegebenen sprach-
lichen Vorgang 1).

Auch für die Vocalentfaltung zwischen Consonanten weiss
G.Meyer § 92 nur nachzuweisen, dass sie "nicht selten"
eintrete 2) Geradezu selten ist die Ausstossung einer ganzen
Silbe im Inlaut unter dem Einfluss einer gleich oder ähnlich
lautenden nachfolgenden Silbe, z. B. in emedimnon für emime-
dimnon
, amphoreus für amphiphoreus, tetrakhmon für tetradrakh-

1) Ein jüngerer Gelehrter, Mich. Haberlandt (Zur Geschichte einiger
Personalausgänge. Wien 1882 S. 5), nennt die Epenthese "einen für das
Griechische noch ganz und gar problematischen Vorgang". Aber kein
Mensch hat diese problematische Natur zu beseitigen vermocht. Sie passt
nicht recht zu den jetzt beliebten allgemeinen Sätzen. Aber wie, wenn
die Schuld nicht an der geschmähten Epenthese, sondern an jenen
Sätzen läge?
2) Trotzdem bedient sich Brugmann Stud. IX 313 dieser rein laut-
lichen und durch kein Lautgesetz geforderten Annahme, um für die so-
genannten aeolischen Optativformen wie luseianzu einem hypothetischen
*lusjan zu gelangen.

es mit der in neuerer Zeit mehrfach besprochenen Epenthese,
worüber ich auf die Schrift von Meinck, de epenthesi Graeca
L. 1881, verweise. Die Epenthese kann für Wörter wie hom.
εἰνί neben ἐνί (lat. in, osk. en), τείνω, τέκταινα, ἐχθαίρω, im
kyprischen αἶλος = ἄλλος, in δέσποινα u. a. unmöglich ge-
leugnet, ebenso unmöglich aber, wie ξένιος, ἐλευθέριος, βαλιός,
u. s.w. beweisen, als eine nothwendige Lautbewegung nach-
gewiesen werden. Freilich werden dabei die Zeiten wohl zu
unterscheiden sein. Es war mir merkwürdig, aus der Ab-
handlung von W. Förster „Umlaut im Romanischen“ (Gröber's
Ztschr. für roman. Philol. III Halle 1879) zu lernen, dass die
entsprechenden Erscheinungen im Romanischen ebenfalls nicht
„so allgemein und unbedingt eintreten, wie ein sonstiges Laut-
gesetz“. Es soll damit natürlich nicht weiterer Untersuchung
vorgegriffen, sondern nur das factische festgestellt werden.
Ich halte die Epenthese oder den Vorklang, für einen in einer
frühen Sprachperiode versuchten, später aufgegebenen sprach-
lichen Vorgang 1).

Auch für die Vocalentfaltung zwischen Consonanten weiss
G.Meyer § 92 nur nachzuweisen, dass sie „nicht selten"
eintrete 2) Geradezu selten ist die Ausstossung einer ganzen
Silbe im Inlaut unter dem Einfluss einer gleich oder ähnlich
lautenden nachfolgenden Silbe, z. B. in ἑμέδιμνον für ἡμιμέ-
διμνον
, ἀμφορεύς für ἀμφιφορεύς, τέτραχμον für τετράδραχ-

1) Ein jüngerer Gelehrter, Mich. Haberlandt (Zur Geschichte einiger
Personalausgänge. Wien 1882 S. 5), nennt die Epenthese „einen für das
Griechische noch ganz und gar problematischen Vorgang“. Aber kein
Mensch hat diese problematische Natur zu beseitigen vermocht. Sie passt
nicht recht zu den jetzt beliebten allgemeinen Sätzen. Aber wie, wenn
die Schuld nicht an der geschmähten Epenthese, sondern an jenen
Sätzen läge?
2) Trotzdem bedient sich Brugmann Stud. IX 313 dieser rein laut-
lichen und durch kein Lautgesetz geforderten Annahme, um für die so-
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[31/0039] es mit der in neuerer Zeit mehrfach besprochenen Epenthese, worüber ich auf die Schrift von Meinck, de epenthesi Graeca L. 1881, verweise. Die Epenthese kann für Wörter wie hom. εἰνί neben ἐνί (lat. in, osk. en), τείνω, τέκταινα, ἐχθαίρω, im kyprischen αἶλος = ἄλλος, in δέσποινα u. a. unmöglich ge- leugnet, ebenso unmöglich aber, wie ξένιος, ἐλευθέριος, βαλιός, u. s.w. beweisen, als eine nothwendige Lautbewegung nach- gewiesen werden. Freilich werden dabei die Zeiten wohl zu unterscheiden sein. Es war mir merkwürdig, aus der Ab- handlung von W. Förster „Umlaut im Romanischen“ (Gröber's Ztschr. für roman. Philol. III Halle 1879) zu lernen, dass die entsprechenden Erscheinungen im Romanischen ebenfalls nicht „so allgemein und unbedingt eintreten, wie ein sonstiges Laut- gesetz“. Es soll damit natürlich nicht weiterer Untersuchung vorgegriffen, sondern nur das factische festgestellt werden. Ich halte die Epenthese oder den Vorklang, für einen in einer frühen Sprachperiode versuchten, später aufgegebenen sprach- lichen Vorgang 1). Auch für die Vocalentfaltung zwischen Consonanten weiss G.Meyer § 92 nur nachzuweisen, dass sie „nicht selten" eintrete 2) Geradezu selten ist die Ausstossung einer ganzen Silbe im Inlaut unter dem Einfluss einer gleich oder ähnlich lautenden nachfolgenden Silbe, z. B. in ἑμέδιμνον für ἡμιμέ- διμνον, ἀμφορεύς für ἀμφιφορεύς, τέτραχμον für τετράδραχ- 1) Ein jüngerer Gelehrter, Mich. Haberlandt (Zur Geschichte einiger Personalausgänge. Wien 1882 S. 5), nennt die Epenthese „einen für das Griechische noch ganz und gar problematischen Vorgang“. Aber kein Mensch hat diese problematische Natur zu beseitigen vermocht. Sie passt nicht recht zu den jetzt beliebten allgemeinen Sätzen. Aber wie, wenn die Schuld nicht an der geschmähten Epenthese, sondern an jenen Sätzen läge? 2) Trotzdem bedient sich Brugmann Stud. IX 313 dieser rein laut- lichen und durch kein Lautgesetz geforderten Annahme, um für die so- genannten aeolischen Optativformen wie λύσειανzu einem hypothetischen *λυσϳαν zu gelangen.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/39>, abgerufen am 21.11.2024.