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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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der Metathesis an, welche Erscheinung ich aus einem unvoll-
kommenen, gleichsam schillernden und schwankenden Bilde
der zu sprechenden Silbe, das in der Seele entstand, zu er-
klären suche. Auf ähnliche Weise habe ich mir und andern
in meinen Vorlesungen die Erscheinungen der Assimilation von
jeher zurecht gelegt. Es ist also nicht ganz richtig, wenn
Brugmann, Morphol. Unters. I S. V, sich folgendermassen aus-
drückt : "Die ältere Sprachforschung bekümmerte sich um die
seelische Seite des Sprachprocesses so gut wie gar nicht".
Nur möchte man fragen: Sind denn diese Abirrungen, Ver-
wechselungen, Angleichungen die einzigen Vorgänge in der
Seele der sprechenden? Gehört denn die regelmässige Fort-
pflanzung des überlieferten Sprachgutes nicht ebenfalls der
Seele an? Oder sollen wir das Gedächtniss, sollen wir das
Festhalten der überlieferten Sitte, des Glaubens, des Rechts
vom Seelenleben ausschliessen ? Selbst die bewusste Thätig-
keit des denkenden Menschen kann unmöglich aus dem Leben
der Seele ausgeschieden werden. Mir ist nicht bekannt, dass
ein Psycholog etwa nur den Traum, den Rausch oder die
Fieberphantasien als Objekt seiner Wissenschaft betrachtet
hätte. Sollten wir etwa das Versprechen in höherem Grade
für einen psychologischen Vorgang erklären als das Sprechen?
Auch andere Forscher haben an dieser Beschränkung des Be-
griffes "psychologisch" Anstoss genommen. Misteli, sonst den
neueren Anschauungen sehr zugeneigt, äussert gelegentlich:
"Das Uebersetzen in psychologische termini hilft nicht". Ascoli
in seiner lettera glottologica (1881) S. 9 u. 12 erklärt sich mit
seinen Schülern gegen diese Bezeichnung, die allerdings für
ferner stehende einen gewissen Goldschimmer über die neueren
Ansichten zu verbreiten geeignet ist. Brugmann selbst macht
die Bemerkung, dass selbst solche Vorgänge, welche man in
der Regel als rein lautliche betrachte, z. B. die Erscheinungen
der Assimilation im innern eines Wortes, auf einem seelischen
Vorgange beruhen. Dem sprechenden schwebt in solchen

der Metathesis an, welche Erscheinung ich aus einem unvoll-
kommenen, gleichsam schillernden und schwankenden Bilde
der zu sprechenden Silbe, das in der Seele entstand, zu er-
klären suche. Auf ähnliche Weise habe ich mir und andern
in meinen Vorlesungen die Erscheinungen der Assimilation von
jeher zurecht gelegt. Es ist also nicht ganz richtig, wenn
Brugmann, Morphol. Unters. I S. V, sich folgendermassen aus-
drückt : „Die ältere Sprachforschung bekümmerte sich um die
seelische Seite des Sprachprocesses so gut wie gar nicht“.
Nur möchte man fragen: Sind denn diese Abirrungen, Ver-
wechselungen, Angleichungen die einzigen Vorgänge in der
Seele der sprechenden? Gehört denn die regelmässige Fort-
pflanzung des überlieferten Sprachgutes nicht ebenfalls der
Seele an? Oder sollen wir das Gedächtniss, sollen wir das
Festhalten der überlieferten Sitte, des Glaubens, des Rechts
vom Seelenleben ausschliessen ? Selbst die bewusste Thätig-
keit des denkenden Menschen kann unmöglich aus dem Leben
der Seele ausgeschieden werden. Mir ist nicht bekannt, dass
ein Psycholog etwa nur den Traum, den Rausch oder die
Fieberphantasien als Objekt seiner Wissenschaft betrachtet
hätte. Sollten wir etwa das Versprechen in höherem Grade
für einen psychologischen Vorgang erklären als das Sprechen?
Auch andere Forscher haben an dieser Beschränkung des Be-
griffes „psychologisch“ Anstoss genommen. Misteli, sonst den
neueren Anschauungen sehr zugeneigt, äussert gelegentlich:
„Das Uebersetzen in psychologische termini hilft nicht“. Ascoli
in seiner lettera glottologica (1881) S. 9 u. 12 erklärt sich mit
seinen Schülern gegen diese Bezeichnung, die allerdings für
ferner stehende einen gewissen Goldschimmer über die neueren
Ansichten zu verbreiten geeignet ist. Brugmann selbst macht
die Bemerkung, dass selbst solche Vorgänge, welche man in
der Regel als rein lautliche betrachte, z. B. die Erscheinungen
der Assimilation im innern eines Wortes, auf einem seelischen
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[45/0053] der Metathesis an, welche Erscheinung ich aus einem unvoll- kommenen, gleichsam schillernden und schwankenden Bilde der zu sprechenden Silbe, das in der Seele entstand, zu er- klären suche. Auf ähnliche Weise habe ich mir und andern in meinen Vorlesungen die Erscheinungen der Assimilation von jeher zurecht gelegt. Es ist also nicht ganz richtig, wenn Brugmann, Morphol. Unters. I S. V, sich folgendermassen aus- drückt : „Die ältere Sprachforschung bekümmerte sich um die seelische Seite des Sprachprocesses so gut wie gar nicht“. Nur möchte man fragen: Sind denn diese Abirrungen, Ver- wechselungen, Angleichungen die einzigen Vorgänge in der Seele der sprechenden? Gehört denn die regelmässige Fort- pflanzung des überlieferten Sprachgutes nicht ebenfalls der Seele an? Oder sollen wir das Gedächtniss, sollen wir das Festhalten der überlieferten Sitte, des Glaubens, des Rechts vom Seelenleben ausschliessen ? Selbst die bewusste Thätig- keit des denkenden Menschen kann unmöglich aus dem Leben der Seele ausgeschieden werden. Mir ist nicht bekannt, dass ein Psycholog etwa nur den Traum, den Rausch oder die Fieberphantasien als Objekt seiner Wissenschaft betrachtet hätte. Sollten wir etwa das Versprechen in höherem Grade für einen psychologischen Vorgang erklären als das Sprechen? Auch andere Forscher haben an dieser Beschränkung des Be- griffes „psychologisch“ Anstoss genommen. Misteli, sonst den neueren Anschauungen sehr zugeneigt, äussert gelegentlich: „Das Uebersetzen in psychologische termini hilft nicht“. Ascoli in seiner lettera glottologica (1881) S. 9 u. 12 erklärt sich mit seinen Schülern gegen diese Bezeichnung, die allerdings für ferner stehende einen gewissen Goldschimmer über die neueren Ansichten zu verbreiten geeignet ist. Brugmann selbst macht die Bemerkung, dass selbst solche Vorgänge, welche man in der Regel als rein lautliche betrachte, z. B. die Erscheinungen der Assimilation im innern eines Wortes, auf einem seelischen Vorgange beruhen. Dem sprechenden schwebt in solchen

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/53>, abgerufen am 21.11.2024.