durften mit den schlichten Pfarrern in bescheidener Amts- tracht nicht verschmelzen; der umsichtige Ceremonienmei- ster hatte ein Musikchor zwischen beiden eingeschoben.
Den Tag darauf am 5ten Mai wurden die Reichs- stände eröffnet. Der Klerus nahm an der rechten, der Adel an der linken Seite des Thrones Platz. Die schwarze Schaar des dritten Standes lagerte im Hintergrunde des großen prächtigen Saales. Ein Paar tausend Menschen füllten die hinter den Säulen laufenden doppelten Galle- rien. Als das Königspaar eintrat, umgeben von den Prinzen von Geblüt, den Herzogen und Pärs, geleitet von Ministern, Staatsräthen, Hofleuten, stand Alles auf und freudige Zurufe wurden gehört. Der König er- hob sich vom Throne, verlas unbedeckten Hauptes seine Rede: "Er habe gern eine in Abgang gekommene Ge- wohnheit erneuert, die Reichsstände berufen und so hof- fentlich eine neue Quelle für das Glück seiner Unterthanen eröffnet. Bei seiner Thronbesteigung habe er eine unge- heure Staatsschuld vorgefunden, sie sey unter seiner Re- gierung noch vermehrt durch einen wenn auch ehrenvollen Krieg; indem neue Auflagen nöthig wurden, sey die un- gleiche Vertheilung derselben noch auffallender ans Licht getreten. Um so beruhigender die Bereitwilligkeit, welche sich in den beiden ersten Ständen offenbare, auf ihre Vor- züge in der Besteurung zu verzichten. Sparsamkeit werde das Übrige thun; die Finanzetats sollen vorgelegt werden. Die Geister sind in großer Aufregung, eine Sucht nach
durften mit den ſchlichten Pfarrern in beſcheidener Amts- tracht nicht verſchmelzen; der umſichtige Ceremonienmei- ſter hatte ein Muſikchor zwiſchen beiden eingeſchoben.
Den Tag darauf am 5ten Mai wurden die Reichs- ſtände eröffnet. Der Klerus nahm an der rechten, der Adel an der linken Seite des Thrones Platz. Die ſchwarze Schaar des dritten Standes lagerte im Hintergrunde des großen prächtigen Saales. Ein Paar tauſend Menſchen füllten die hinter den Säulen laufenden doppelten Galle- rien. Als das Königspaar eintrat, umgeben von den Prinzen von Geblüt, den Herzogen und Pärs, geleitet von Miniſtern, Staatsräthen, Hofleuten, ſtand Alles auf und freudige Zurufe wurden gehört. Der König er- hob ſich vom Throne, verlas unbedeckten Hauptes ſeine Rede: „Er habe gern eine in Abgang gekommene Ge- wohnheit erneuert, die Reichsſtände berufen und ſo hof- fentlich eine neue Quelle für das Glück ſeiner Unterthanen eröffnet. Bei ſeiner Thronbeſteigung habe er eine unge- heure Staatsſchuld vorgefunden, ſie ſey unter ſeiner Re- gierung noch vermehrt durch einen wenn auch ehrenvollen Krieg; indem neue Auflagen nöthig wurden, ſey die un- gleiche Vertheilung derſelben noch auffallender ans Licht getreten. Um ſo beruhigender die Bereitwilligkeit, welche ſich in den beiden erſten Ständen offenbare, auf ihre Vor- züge in der Beſteurung zu verzichten. Sparſamkeit werde das Übrige thun; die Finanzetats ſollen vorgelegt werden. Die Geiſter ſind in großer Aufregung, eine Sucht nach
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durften mit den ſchlichten Pfarrern in beſcheidener Amts-
tracht nicht verſchmelzen; der umſichtige Ceremonienmei-
ſter hatte ein Muſikchor zwiſchen beiden eingeſchoben.
Den Tag darauf am 5ten Mai wurden die Reichs-
ſtände eröffnet. Der Klerus nahm an der rechten, der
Adel an der linken Seite des Thrones Platz. Die ſchwarze
Schaar des dritten Standes lagerte im Hintergrunde des
großen prächtigen Saales. Ein Paar tauſend Menſchen
füllten die hinter den Säulen laufenden doppelten Galle-
rien. Als das Königspaar eintrat, umgeben von den
Prinzen von Geblüt, den Herzogen und Pärs, geleitet
von Miniſtern, Staatsräthen, Hofleuten, ſtand Alles
auf und freudige Zurufe wurden gehört. Der König er-
hob ſich vom Throne, verlas unbedeckten Hauptes ſeine
Rede: „Er habe gern eine in Abgang gekommene Ge-
wohnheit erneuert, die Reichsſtände berufen und ſo hof-
fentlich eine neue Quelle für das Glück ſeiner Unterthanen
eröffnet. Bei ſeiner Thronbeſteigung habe er eine unge-
heure Staatsſchuld vorgefunden, ſie ſey unter ſeiner Re-
gierung noch vermehrt durch einen wenn auch ehrenvollen
Krieg; indem neue Auflagen nöthig wurden, ſey die un-
gleiche Vertheilung derſelben noch auffallender ans Licht
getreten. Um ſo beruhigender die Bereitwilligkeit, welche
ſich in den beiden erſten Ständen offenbare, auf ihre Vor-
züge in der Beſteurung zu verzichten. Sparſamkeit werde
das Übrige thun; die Finanzetats ſollen vorgelegt werden.
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/201>, abgerufen am 24.11.2024.
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