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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

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Mittelpunct der Berathschlagungen ruft, sie, die die Lei-
denschaften und die Interessen ihres Volks theilen, können
leicht vergessen, daß ein Eid sie zu Soldaten gemacht hat,
und sich erinnern, daß die Natur sie zu Menschen machte.
Gefahr, Sire, droht auch unsern Arbeiten, welche unsere
erste Pflicht sind und nur unter der Bedingung wahren Er-
folg und ungestörten Fortgang haben können, wenn wir
von jedermann als völlig frei betrachtet werden. Aber es
liegt außerdem in den Leidenschaften der Menschen eine ge-
fährliche Ansteckung; wir sind nur Menschen; das Mis-
trauen gegen uns selbst, die Furcht schwach zu erscheinen
können uns über das Ziel hinaus führen; man wird uns
mit heftigen, übertriebenen Rathschlägen bestürmen, und
die nüchterne Vernunft, die ruhige Weisheit ertheilen ihre
Orakelsprüche nicht inmitten von Tumult, von Unordnung
und Aufruhr. Sire, noch eine weit schrecklichere Gefahr
liegt im Hintergrunde, und unser bestürztes Erscheinen
möge Ihnen Zeuge davon seyn. Zu mancher großen Re-
volution ist der Anstoß weit weniger auffallend gewesen,
und mehr als ein volksverderbliches Unternehmen hat sich
minder traurig, minder furchtbar angekündigt." Es wa-
ren Worte der Weissagung, die sich bald genug erfüllten.

Der König antwortete nach drei Tagen, die Zusam-Juli 11.
menziehung von Truppen sey durch die bekannten schmäh-
lichen Auftritte hervorgerufen und sogar für die Freiheit
der reichsständischen Berathungen nothwendig; dafern je-
doch ein ungegründetes Mistrauen stattfinde, sey der König

Mittelpunct der Berathſchlagungen ruft, ſie, die die Lei-
denſchaften und die Intereſſen ihres Volks theilen, können
leicht vergeſſen, daß ein Eid ſie zu Soldaten gemacht hat,
und ſich erinnern, daß die Natur ſie zu Menſchen machte.
Gefahr, Sire, droht auch unſern Arbeiten, welche unſere
erſte Pflicht ſind und nur unter der Bedingung wahren Er-
folg und ungeſtörten Fortgang haben können, wenn wir
von jedermann als völlig frei betrachtet werden. Aber es
liegt außerdem in den Leidenſchaften der Menſchen eine ge-
fährliche Anſteckung; wir ſind nur Menſchen; das Mis-
trauen gegen uns ſelbſt, die Furcht ſchwach zu erſcheinen
können uns über das Ziel hinaus führen; man wird uns
mit heftigen, übertriebenen Rathſchlägen beſtürmen, und
die nüchterne Vernunft, die ruhige Weisheit ertheilen ihre
Orakelſprüche nicht inmitten von Tumult, von Unordnung
und Aufruhr. Sire, noch eine weit ſchrecklichere Gefahr
liegt im Hintergrunde, und unſer beſtürztes Erſcheinen
möge Ihnen Zeuge davon ſeyn. Zu mancher großen Re-
volution iſt der Anſtoß weit weniger auffallend geweſen,
und mehr als ein volksverderbliches Unternehmen hat ſich
minder traurig, minder furchtbar angekündigt.“ Es wa-
ren Worte der Weiſſagung, die ſich bald genug erfüllten.

Der König antwortete nach drei Tagen, die Zuſam-Juli 11.
menziehung von Truppen ſey durch die bekannten ſchmäh-
lichen Auftritte hervorgerufen und ſogar für die Freiheit
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doch ein ungegründetes Mistrauen ſtattfinde, ſey der König

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[223/0233] Mittelpunct der Berathſchlagungen ruft, ſie, die die Lei- denſchaften und die Intereſſen ihres Volks theilen, können leicht vergeſſen, daß ein Eid ſie zu Soldaten gemacht hat, und ſich erinnern, daß die Natur ſie zu Menſchen machte. Gefahr, Sire, droht auch unſern Arbeiten, welche unſere erſte Pflicht ſind und nur unter der Bedingung wahren Er- folg und ungeſtörten Fortgang haben können, wenn wir von jedermann als völlig frei betrachtet werden. Aber es liegt außerdem in den Leidenſchaften der Menſchen eine ge- fährliche Anſteckung; wir ſind nur Menſchen; das Mis- trauen gegen uns ſelbſt, die Furcht ſchwach zu erſcheinen können uns über das Ziel hinaus führen; man wird uns mit heftigen, übertriebenen Rathſchlägen beſtürmen, und die nüchterne Vernunft, die ruhige Weisheit ertheilen ihre Orakelſprüche nicht inmitten von Tumult, von Unordnung und Aufruhr. Sire, noch eine weit ſchrecklichere Gefahr liegt im Hintergrunde, und unſer beſtürztes Erſcheinen möge Ihnen Zeuge davon ſeyn. Zu mancher großen Re- volution iſt der Anſtoß weit weniger auffallend geweſen, und mehr als ein volksverderbliches Unternehmen hat ſich minder traurig, minder furchtbar angekündigt.“ Es wa- ren Worte der Weiſſagung, die ſich bald genug erfüllten. Der König antwortete nach drei Tagen, die Zuſam- menziehung von Truppen ſey durch die bekannten ſchmäh- lichen Auftritte hervorgerufen und ſogar für die Freiheit der reichsſtändiſchen Berathungen nothwendig; dafern je- doch ein ungegründetes Mistrauen ſtattfinde, ſey der König Juli 11.

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/233>, abgerufen am 21.11.2024.