Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

liche Ehe ward erst im dritten Jahre vollzogen. Marie
Antoinette, jung, reizend, lebenslustig, ernsthafter Bildung
und Lectüre abgeneigt, konnte sich in das steife Hofceremo-
niell nicht finden, beseitigte so viel davon als möglich und
suchte die bequemere Hausweise, die durch den lothringi-
schen Fürstenstamm an den wiener Hof gekommen war,
einzuführen. Sie brachte zuerst statt der schwerfälligen
alten Pracht den raschen Wechsel in Kleidung und Woh-
nung auf, der freilich um so kostspieliger ausfiel. Ein
Misgriff war es, daß sie ihren Umgang und ihre Lust-
barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien
ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich
war, an welche sich sorgfältig geführte Tagebücher über
seine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts
schlossen. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen
von beispielloser Höhe, mit gewaltigen Federn geschmückt,
Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da-
men verrückten, indem sie ihn in die Mitte ihrer Gestalt
verpflanzten. Diese Hofcirkel waren voller Wechsel, Mun-
terkeit und Scherz, man sang, man tanzte, recitirte Ge-
dichte, fein und unfein wie der Tag sie brachte, maskirte
sich, bewunderte die Königin, wenn sie im engen Cirkel
auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen
in die Schlüpfrigkeit des verderbtesten Welttones konnte
da nicht ausbleiben, wenn auch jede ernstere Verirrung
vermieden ward. Die Künste und die Wissenschaften fan-
den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der

liche Ehe ward erſt im dritten Jahre vollzogen. Marie
Antoinette, jung, reizend, lebensluſtig, ernſthafter Bildung
und Lectüre abgeneigt, konnte ſich in das ſteife Hofceremo-
niell nicht finden, beſeitigte ſo viel davon als möglich und
ſuchte die bequemere Hausweiſe, die durch den lothringi-
ſchen Fürſtenſtamm an den wiener Hof gekommen war,
einzuführen. Sie brachte zuerſt ſtatt der ſchwerfälligen
alten Pracht den raſchen Wechſel in Kleidung und Woh-
nung auf, der freilich um ſo koſtſpieliger ausfiel. Ein
Misgriff war es, daß ſie ihren Umgang und ihre Luſt-
barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien
ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich
war, an welche ſich ſorgfältig geführte Tagebücher über
ſeine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts
ſchloſſen. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen
von beiſpielloſer Höhe, mit gewaltigen Federn geſchmückt,
Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da-
men verrückten, indem ſie ihn in die Mitte ihrer Geſtalt
verpflanzten. Dieſe Hofcirkel waren voller Wechſel, Mun-
terkeit und Scherz, man ſang, man tanzte, recitirte Ge-
dichte, fein und unfein wie der Tag ſie brachte, maskirte
ſich, bewunderte die Königin, wenn ſie im engen Cirkel
auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen
in die Schlüpfrigkeit des verderbteſten Welttones konnte
da nicht ausbleiben, wenn auch jede ernſtere Verirrung
vermieden ward. Die Künſte und die Wiſſenſchaften fan-
den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="15"/>
liche Ehe ward er&#x017F;t im dritten Jahre vollzogen. Marie<lb/>
Antoinette, jung, reizend, lebenslu&#x017F;tig, ern&#x017F;thafter Bildung<lb/>
und Lectüre abgeneigt, konnte &#x017F;ich in das &#x017F;teife Hofceremo-<lb/>
niell nicht finden, be&#x017F;eitigte &#x017F;o viel davon als möglich und<lb/>
&#x017F;uchte die bequemere Hauswei&#x017F;e, die durch den lothringi-<lb/>
&#x017F;chen Für&#x017F;ten&#x017F;tamm an den wiener Hof gekommen war,<lb/>
einzuführen. Sie brachte zuer&#x017F;t &#x017F;tatt der &#x017F;chwerfälligen<lb/>
alten Pracht den ra&#x017F;chen Wech&#x017F;el in Kleidung und Woh-<lb/>
nung auf, der freilich um &#x017F;o ko&#x017F;t&#x017F;pieliger ausfiel. Ein<lb/>
Misgriff war es, daß &#x017F;ie ihren Umgang und ihre Lu&#x017F;t-<lb/>
barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien<lb/>
ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich<lb/>
war, an welche &#x017F;ich &#x017F;orgfältig geführte Tagebücher über<lb/>
&#x017F;eine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen<lb/>
von bei&#x017F;piello&#x017F;er Höhe, mit gewaltigen Federn ge&#x017F;chmückt,<lb/>
Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da-<lb/>
men verrückten, indem &#x017F;ie ihn in die Mitte ihrer Ge&#x017F;talt<lb/>
verpflanzten. Die&#x017F;e Hofcirkel waren voller Wech&#x017F;el, Mun-<lb/>
terkeit und Scherz, man &#x017F;ang, man tanzte, recitirte Ge-<lb/>
dichte, fein und unfein wie der Tag &#x017F;ie brachte, maskirte<lb/>
&#x017F;ich, bewunderte die Königin, wenn &#x017F;ie im engen Cirkel<lb/>
auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen<lb/>
in die Schlüpfrigkeit des verderbte&#x017F;ten Welttones konnte<lb/>
da nicht ausbleiben, wenn auch jede ern&#x017F;tere Verirrung<lb/>
vermieden ward. Die Kün&#x017F;te und die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften fan-<lb/>
den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] liche Ehe ward erſt im dritten Jahre vollzogen. Marie Antoinette, jung, reizend, lebensluſtig, ernſthafter Bildung und Lectüre abgeneigt, konnte ſich in das ſteife Hofceremo- niell nicht finden, beſeitigte ſo viel davon als möglich und ſuchte die bequemere Hausweiſe, die durch den lothringi- ſchen Fürſtenſtamm an den wiener Hof gekommen war, einzuführen. Sie brachte zuerſt ſtatt der ſchwerfälligen alten Pracht den raſchen Wechſel in Kleidung und Woh- nung auf, der freilich um ſo koſtſpieliger ausfiel. Ein Misgriff war es, daß ſie ihren Umgang und ihre Luſt- barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich war, an welche ſich ſorgfältig geführte Tagebücher über ſeine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts ſchloſſen. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen von beiſpielloſer Höhe, mit gewaltigen Federn geſchmückt, Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da- men verrückten, indem ſie ihn in die Mitte ihrer Geſtalt verpflanzten. Dieſe Hofcirkel waren voller Wechſel, Mun- terkeit und Scherz, man ſang, man tanzte, recitirte Ge- dichte, fein und unfein wie der Tag ſie brachte, maskirte ſich, bewunderte die Königin, wenn ſie im engen Cirkel auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen in die Schlüpfrigkeit des verderbteſten Welttones konnte da nicht ausbleiben, wenn auch jede ernſtere Verirrung vermieden ward. Die Künſte und die Wiſſenſchaften fan- den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/25
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/25>, abgerufen am 23.11.2024.