zwei Souveräns in demselben Staate aufstellen. Man mischte die Massen geschäftig ein, manche Franzosen hiel- ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur- sache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein schrift- licher Vorschlag herum, nach Versailles zu ziehen zur Un- terstützung der patriotischen Abgeordneten; die Vetofreunde müssen ausgestoßen und nachdem sie so ihrer Unverletzbarkeit beraubt sind, muß ihnen der Proceß gemacht werden.
Auf diesem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau seine Meisterschaft, während Sieyes, Begriffe spaltend, unter die Mittelmäßigkeit herabsank. Aber Neckers ge- brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand.
Sept. 1.Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Besorgniß wider- fahren, in die Hände eines einzigen Menschen die Macht niederzulegen, daß er sagen dürfe: "Ich widersetze mich der allgemeinen Einsicht." Allein, indem der Redner sich in Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsansichten von der Entstehung des Staats durch willkürliche Satzungen an- zustoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch schlechte Wah- len von Volksvertretern möglich sind, daß es diesen ein- fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber steht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern, zu verewigen, ja sogar die ausübende Gewalt in sich auf- zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der Revolution gegen Karl I. vorgekommen. Ganz gewiß, er will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürsten sich ei- nem guten Gesetze widersetzen, allein es kann auch be-
zwei Souveräns in demſelben Staate aufſtellen. Man miſchte die Maſſen geſchäftig ein, manche Franzoſen hiel- ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur- ſache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein ſchrift- licher Vorſchlag herum, nach Verſailles zu ziehen zur Un- terſtützung der patriotiſchen Abgeordneten; die Vetofreunde müſſen ausgeſtoßen und nachdem ſie ſo ihrer Unverletzbarkeit beraubt ſind, muß ihnen der Proceß gemacht werden.
Auf dieſem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau ſeine Meiſterſchaft, während Sieyes, Begriffe ſpaltend, unter die Mittelmäßigkeit herabſank. Aber Neckers ge- brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand.
Sept. 1.Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Beſorgniß wider- fahren, in die Hände eines einzigen Menſchen die Macht niederzulegen, daß er ſagen dürfe: „Ich widerſetze mich der allgemeinen Einſicht.“ Allein, indem der Redner ſich in Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsanſichten von der Entſtehung des Staats durch willkürliche Satzungen an- zuſtoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch ſchlechte Wah- len von Volksvertretern möglich ſind, daß es dieſen ein- fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber ſteht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern, zu verewigen, ja ſogar die ausübende Gewalt in ſich auf- zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der Revolution gegen Karl I. vorgekommen. Ganz gewiß, er will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürſten ſich ei- nem guten Geſetze widerſetzen, allein es kann auch be-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0268"n="258"/>
zwei Souveräns in demſelben Staate aufſtellen. Man<lb/>
miſchte die Maſſen geſchäftig ein, manche Franzoſen hiel-<lb/>
ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur-<lb/>ſache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein ſchrift-<lb/>
licher Vorſchlag herum, nach Verſailles zu ziehen zur Un-<lb/>
terſtützung der patriotiſchen Abgeordneten; die Vetofreunde<lb/>
müſſen ausgeſtoßen und nachdem ſie ſo ihrer Unverletzbarkeit<lb/>
beraubt ſind, muß ihnen der Proceß gemacht werden.</p><lb/><p>Auf dieſem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau<lb/>ſeine Meiſterſchaft, während Sieyes, Begriffe ſpaltend,<lb/>
unter die Mittelmäßigkeit herabſank. Aber Neckers ge-<lb/>
brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand.</p><lb/><p><noteplace="left">Sept. 1.</note>Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Beſorgniß wider-<lb/>
fahren, in die Hände eines einzigen Menſchen die Macht<lb/>
niederzulegen, daß er ſagen dürfe: „Ich widerſetze mich der<lb/>
allgemeinen Einſicht.“ Allein, indem der Redner ſich in<lb/>
Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsanſichten von der<lb/>
Entſtehung des Staats durch willkürliche Satzungen an-<lb/>
zuſtoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch ſchlechte Wah-<lb/>
len von Volksvertretern möglich ſind, daß es dieſen ein-<lb/>
fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber<lb/>ſteht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern,<lb/>
zu verewigen, ja ſogar die ausübende Gewalt in ſich auf-<lb/>
zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der<lb/>
Revolution gegen Karl <hirendition="#aq">I.</hi> vorgekommen. Ganz gewiß, er<lb/>
will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürſten ſich ei-<lb/>
nem guten Geſetze widerſetzen, allein es kann auch be-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[258/0268]
zwei Souveräns in demſelben Staate aufſtellen. Man
miſchte die Maſſen geſchäftig ein, manche Franzoſen hiel-
ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur-
ſache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein ſchrift-
licher Vorſchlag herum, nach Verſailles zu ziehen zur Un-
terſtützung der patriotiſchen Abgeordneten; die Vetofreunde
müſſen ausgeſtoßen und nachdem ſie ſo ihrer Unverletzbarkeit
beraubt ſind, muß ihnen der Proceß gemacht werden.
Auf dieſem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau
ſeine Meiſterſchaft, während Sieyes, Begriffe ſpaltend,
unter die Mittelmäßigkeit herabſank. Aber Neckers ge-
brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand.
Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Beſorgniß wider-
fahren, in die Hände eines einzigen Menſchen die Macht
niederzulegen, daß er ſagen dürfe: „Ich widerſetze mich der
allgemeinen Einſicht.“ Allein, indem der Redner ſich in
Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsanſichten von der
Entſtehung des Staats durch willkürliche Satzungen an-
zuſtoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch ſchlechte Wah-
len von Volksvertretern möglich ſind, daß es dieſen ein-
fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber
ſteht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern,
zu verewigen, ja ſogar die ausübende Gewalt in ſich auf-
zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der
Revolution gegen Karl I. vorgekommen. Ganz gewiß, er
will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürſten ſich ei-
nem guten Geſetze widerſetzen, allein es kann auch be-
Sept. 1.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/268>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.