Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. "Nach meiner Definition," sprach Sieyes, "ist Gesetz der Wille der Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der Bildung des Gesetzes haben. Vergeblich würde man den Beweis versuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich- neter Antheil an der Bildung des Gesetzes gebühre. Könnte sein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten gleichstehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen? Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme eines Präsidenten gelten. Welche Vorstellung man sich auch von einem Veto mache, sie ist immer diesem Princip entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht keinen integrirenden Theil des Gesetzes aus: denn das Recht ein Gesetz zu verhindern ist nichts anders als das Gesetz machen; darin ist gar kein Unterschied. Der Mensch welcher sagt: ich will nicht daß das und das geschehe, sagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet nicht sey. Mithin muß die Majorität der gesetzgebenden Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han- deln, und das Veto, einerlei ob absolut oder suspensiv, ist nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent- lichen Willen geschleudert. Ohne Grund sagt man: wenn die ausübende Gewalt nicht mit einem absoluten oder doch einem aufschiebenden Veto bekleidet ist, so wird die gesetzgebende Gewalt in dieselbe eingreifen. Denn es ist die Constitution ja dazu da, die Gewalten zu binden, ohne daß sie etwas verändern, etwas neuern können. Die
Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. „Nach meiner Definition,“ ſprach Sieyes, „iſt Geſetz der Wille der Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der Bildung des Geſetzes haben. Vergeblich würde man den Beweis verſuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich- neter Antheil an der Bildung des Geſetzes gebühre. Könnte ſein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten gleichſtehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen? Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme eines Präſidenten gelten. Welche Vorſtellung man ſich auch von einem Veto mache, ſie iſt immer dieſem Princip entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht keinen integrirenden Theil des Geſetzes aus: denn das Recht ein Geſetz zu verhindern iſt nichts anders als das Geſetz machen; darin iſt gar kein Unterſchied. Der Menſch welcher ſagt: ich will nicht daß das und das geſchehe, ſagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet nicht ſey. Mithin muß die Majorität der geſetzgebenden Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han- deln, und das Veto, einerlei ob abſolut oder ſuspenſiv, iſt nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent- lichen Willen geſchleudert. Ohne Grund ſagt man: wenn die ausübende Gewalt nicht mit einem abſoluten oder doch einem aufſchiebenden Veto bekleidet iſt, ſo wird die geſetzgebende Gewalt in dieſelbe eingreifen. Denn es iſt die Conſtitution ja dazu da, die Gewalten zu binden, ohne daß ſie etwas verändern, etwas neuern können. Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="264"/>
Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. „Nach meiner<lb/>
Definition,“ſprach Sieyes, „iſt Geſetz der Wille der<lb/>
Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der<lb/>
Bildung des Geſetzes haben. Vergeblich würde man den<lb/>
Beweis verſuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich-<lb/>
neter Antheil an der Bildung des Geſetzes gebühre. Könnte<lb/>ſein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten<lb/>
gleichſtehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen?<lb/>
Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme<lb/>
eines Präſidenten gelten. Welche Vorſtellung man ſich<lb/>
auch von einem Veto mache, ſie iſt immer dieſem Princip<lb/>
entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht<lb/>
keinen integrirenden Theil des Geſetzes aus: denn das<lb/>
Recht ein Geſetz zu verhindern iſt nichts anders als das<lb/>
Geſetz machen; darin iſt gar kein Unterſchied. Der Menſch<lb/>
welcher ſagt: ich will nicht daß das und das geſchehe,<lb/>ſagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet<lb/>
nicht ſey. Mithin muß die Majorität der geſetzgebenden<lb/>
Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han-<lb/>
deln, und das Veto, einerlei ob abſolut oder ſuspenſiv,<lb/>
iſt nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent-<lb/>
lichen Willen geſchleudert. Ohne Grund ſagt man: wenn<lb/>
die ausübende Gewalt nicht mit einem abſoluten oder<lb/>
doch einem aufſchiebenden Veto bekleidet iſt, ſo wird die<lb/>
geſetzgebende Gewalt in dieſelbe eingreifen. Denn es iſt<lb/>
die Conſtitution ja dazu da, die Gewalten zu binden,<lb/>
ohne daß ſie etwas verändern, etwas neuern können. Die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[264/0274]
Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. „Nach meiner
Definition,“ ſprach Sieyes, „iſt Geſetz der Wille der
Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der
Bildung des Geſetzes haben. Vergeblich würde man den
Beweis verſuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich-
neter Antheil an der Bildung des Geſetzes gebühre. Könnte
ſein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten
gleichſtehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen?
Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme
eines Präſidenten gelten. Welche Vorſtellung man ſich
auch von einem Veto mache, ſie iſt immer dieſem Princip
entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht
keinen integrirenden Theil des Geſetzes aus: denn das
Recht ein Geſetz zu verhindern iſt nichts anders als das
Geſetz machen; darin iſt gar kein Unterſchied. Der Menſch
welcher ſagt: ich will nicht daß das und das geſchehe,
ſagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet
nicht ſey. Mithin muß die Majorität der geſetzgebenden
Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han-
deln, und das Veto, einerlei ob abſolut oder ſuspenſiv,
iſt nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent-
lichen Willen geſchleudert. Ohne Grund ſagt man: wenn
die ausübende Gewalt nicht mit einem abſoluten oder
doch einem aufſchiebenden Veto bekleidet iſt, ſo wird die
geſetzgebende Gewalt in dieſelbe eingreifen. Denn es iſt
die Conſtitution ja dazu da, die Gewalten zu binden,
ohne daß ſie etwas verändern, etwas neuern können. Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/274>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.